Tag 14 – Ein Buch aus deiner Kindheit
Astrid Lindgren (Else von Hollander-Lossow): Kati in Amerika | Italien | Paris
Kati lebt mit ihrer gestrengen Tante in einer klitzekleinen Dachwohnung in Stockholm. Aus irgendeinem Grund, den ich vergessen habe, will sie im ersten Band nach Amerika reisen – die Tante sagt erst, dass das selbstverständlich überhaupt nicht in Frage kommt, und als nächstes sagt sie, dass sie mitfährt. Was nun ungefähr genau nicht das ist, was Kati sich vorgestellt hat, aber nun. Besser zu zweit als gar nicht. Und siehe: die Tante verliebt sich, heiratet und bleibt in Amerika (=USA).
In Band zwei hat Kati die Wohnung folglich plötzlich für sich allein. Ihr Freund Jan will sofort heiraten und einziehen, aber Kati winkt ab. Stattdessen zieht ihre Freundin Eva mit ein, die mit Kati zusammen als Sekretärin im selben Anwaltsbüro arbeitet. Die beiden tippen irgendwann spaßeshalber im Fußballtoto, gewinnen überraschend eine Menge Geld und beschließen, dieses Geld in eine „Gesellschaftsreise“ nach Italien zu stecken. Wo sie Lennart kennenlernen. Vor allem Kati lernt Lennart kennen. Oh, Lennart. Vermutlich nach Thomas Lieven der zweite literarische Mann, in den ich mich verliebt habe.
Naja, und in Band drei geht es dann auf Hochzeitsreise nach Paris. Ich verrate aber nicht, mit wem!
Man sieht es dem Buch an: ich habe es in meiner Jugend ungefähr achttausend Mal gelesen. Weil ich eine alte Kitschtante bin. Denn das ist natürlich alles unfassbar brav und betulich und so zauberhaft und alles. Und witzig ist es auch. Und lehrreich! Seitdem kann ich zum Beispiel einen Satz fließend auf Italienisch sagen, nämlich: Mi arricci i baffi. Das bedeutet „dreh mir den Schnurrbart“ und ist sicher ein sehr nützlicher Satz.
Die Übersetzung stammt von Else von Hollander-Lossow, die wunderbare Dinge getan hat. Da gibt es beispielsweise eine Szene, in der eine der vier Sekretärinnen im Anwaltsbüro erzählt, wie ihr Chef ihr morgens gesagt hat, sie habe schöne Beine, mittags durchblicken ließ, dass mit seiner Frau nicht alles so toll sei, abends musste sie länger arbeiten, und schließlich lud er sie zum Essen ein.
„Dass die Männer es nicht begreifen!“
„Was begreifen sie nicht?“, fragte ich.
„Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt“, sagte Eva.
Ein Goethezitat! Habe ich natürlich erst Jahre später gemerkt, als ich das Buch immer noch auswendig konnte und jemand diesen Satz zitierte, und ich überrascht frug: Wie, Du hast Kati gelesen? Welche Kati, fragte er.
Noch so was: als Eva und Kati in Italien sind, sagt Eva, sie wäre gern Katharina di Medici gewesen. Vor dem Abendbrot noch schnell ein paar Todesurteile unterzeichnen, das hätte ihr gefallen. „Und wenn der Kopf dann rollt, dann sag ich ‚Hoppla!’“
Das habe ich erst bemerkt, als wir vor einigen Jahren im Theater die Dreigroschenoper sahen. Da zitiert die Seeräuberjenny auf einmal Kati in Italien!
Würde die Übersetzerin noch leben, dann würde ich ihr eine Mail schicken. Ich würde sie fragen, ob Astrid Lindgren etwa Goethe und Brecht zitiert, oder ob sie das selbst war. Das glaube ich nämlich. Ich glaube, die Übersetzerin hat Goethe und Brecht eingefügt, einfach so, weil es passt, und weil es Spaß macht. Und ich finde das großartig. GROSSARTIG! So großartig, dass ich sowas auch tue, wenn es sich gerade anbietet. So großartig, dass ich sogar schon einmal ein Kati-Zitat wo untergebracht habe. Das ist aber so unauffällig, dass es wahrscheinlich nur A. gemerkt hat. Vielleicht sollte ich das Buch noch mal lesen, nur um zu gucken, ob noch mehr solche Zitate drin sind. Liebe Frau von Hollander-Lossow: meine Verehrung.
anglogermantranslations Sonntag, 24. Oktober 2010 um 20:32 Uhr [Link]
Ach, Isa, ich bin geplättet. Dass Du das so „großartig“ findest. Da ich das selbst ständig mache – solche Zitate möglichst unauffällig einflechten –, hielt ich das für gängige Praxis. Erika Fuchs hat das doch auch ständig getan. Spontan erinnere ich mich jetzt nur an einen Fall (Das war bei dem Buch, bei dem ich die Schreibmaschinen vor Frust vom Tisch gefegt habe.). Eine endlos lange Sexszene, bei der mir der Geduldsfaden gerissen ist. Da habe ich dann die Sache abgekürzt mit „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Notfalls schmeißt man das im Lektorat wieder raus, dachte ich. Aber nichts da. Nach Erscheinen ruft mich eine Freundin bei der Lektüre lachend an. „Gib’s zu, das hast Du da reingeschmuggelt!“ Passte aber gut. Goethe kanns eben oft besser.
Isabel Bogdan Sonntag, 24. Oktober 2010 um 20:38 Uhr [Link]
Ja, Erika Fuchs ist ja ebenfalls großartig! Ich sollte vielleicht mal etwas von Dir Übersetztes lesen – denn tatsächlich ist mir das sonst noch nie aufgefallen, kann mich nicht erinnern.
Jedenfalls: den Goethe habe ich ja bemerkt, als ich noch gar nicht ans Übersetzen dachte. Und den Brecht, als ich gerade damit anfing. Da war ich schwer beeindruckt, dass Übersetzer sowas tun, kackfrech, und fand es toll.
Stephan Sonntag, 24. Oktober 2010 um 21:28 Uhr [Link]
Oh, entschuldige die hässliche URL. Hier noch einmal in ordentlich, vorhergenden Kommentar bitte löschen.
Schönes (bestelltes, aber noch nicht selbst gelesenes) Buch über Dr. Erika Fuchs (hatte Denis Scheck im Buchmesses-TV empfohlen).
Isabel Bogdan Sonntag, 24. Oktober 2010 um 21:30 Uhr [Link]
Hui, danke! Der Autor scheint ja, wenn man sich die Kurzbio so anguckt, ein rechter Spaßvogel zu sein. Aber wird natürlich gewunschzettelt. Wenn schon mal ein Buch über eine Übersetzerin erscheint.
Und wenn ich wüsste, wie das geht, würde ich sofort machen, dass hier jeder seine eigenen Kommentare bearbeiten kann.
Steffi Montag, 25. Oktober 2010 um 15:00 Uhr [Link]
*hach* das hab ich auch gelesen. bestimmt genauso oft, wenn nicht. genau die ausgabe. ist grad wie heimkommen. in dieselbe kategorie gehört für mich „Britt-Marie erleichtert ihr Herz“. anybody?
Isabel Bogdan Montag, 25. Oktober 2010 um 15:07 Uhr [Link]
Nee, kenne ich gar nicht! Vielleicht sollte ich das noch nachholen …
percanta Montag, 25. Oktober 2010 um 16:28 Uhr [Link]
Ich hab das auch gelesen! Und bin mal eiskalt von Freundin E-M erwischt worden, als ich überlege, wieso ich eigentlich den Namen „Lennart“ ganz gut fand. „Wegen Kati“, sagte sie, „Du hast doch bestimmt Kati gelesen“, und obwohl ich diesen Zusammenhang vergessen hatte, hat sie recht, wie immer.
Auch die trostreiche Stelle, dass sie halt zu der Art Mädchen gehört, die man heiratet. „Britt-Marie“ hab ich natürlich gelesen, Astrid Lindgren ist eine der wenigen Autorinnen, wo ich das Gesamtwerk kenne, dieses Buch hat aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Anders dagegen die „Brüder Löwenherz“, das erste Buch, bei dem ich geweint habe, und von da an immer. Wegen einer Stelle aus „Mio, mein Mio“ habe ich mal an Astrid Lindgren geschrieben (aber nur einen Standardbrief zurückbekommen, anders als Michael Ende, dem ich mit etwa 10 einen erbosten Brief schrieb und der mir ausführlichst und per Hand antwortete… aber ich schweife ab). Hauptzitaten-Schutthalden von Astrid Lindgren sind bei mir aber nicht Kati, sondern „Bullerbü“ („Weihnachten in…“) und „Tomte Tummetott“. Ist ja bald wieder.
Isabel Bogdan Montag, 25. Oktober 2010 um 16:41 Uhr [Link]
Was hast Du ihr denn geschrieben, und was stand in der Pauschalantwort?
percanta Montag, 25. Oktober 2010 um 16:53 Uhr [Link]
Wir hatten „Mio, mein Mio“ in der 5. oder 6. Klasse gelesen und ich war über eine Stelle bzw. deren Interpretation mit meinem Lehrer uneinig. Also hab ich einfach mal der Autorin geschrieben und nachgefragt. Genaue Stelle weiß ich nicht mehr… Antwort begann etwa „Liebe Kinder und alle, die mir geschrieben haben…“ und besagte, dass sie sich über die Post freut, aber keine Zeit hat, jedem zu antworten. Auf dem farbigen Papier waren auch Zeichnungen von Ilon Wiekland, alles eine fertige Kopie. Aber die Adresse von A. Lindgren steht heute noch im Adressbuch meiner Mama.
Heute vertrete ich ja vehement die Auffassung, dass bei der Analyse literarischer Texte die Intention des Autors *nicht* von Interesse ist, sondern nur das, was dort steht, aber nun. Für 5. Klasse geht das in Ordnung.
Gaga Nielsen Montag, 8. November 2010 um 18:47 Uhr [Link]
(nur informationshalber ganz am Rande)