Wenn alle Welt Fußball guckt, das letzte Deutschland-Spiel der EM, dann ist eindeutig ein guter Zeitpunkt, ins Kino zu gehen. Außer uns waren noch vier weitere Menschen dort.
Eigentlich wollten wir was ganz anderes sehen. Eigentlich wollten wir den Stefan-Zweig-Film sehen, das wollen wir auch immer noch, aber der lief nicht, vermutlich wegen Fußball. Deswegen also Nur wir drei gemeinsam. „Dieser Film beruht nicht auf einer wahren Geschichte – er ist eine wahre Geschichte“, heißt es im Trailer. Und zwar die Geschichte von Hibat, der unter dem Schah von Persien politisch aktiv war und acht Jahre im Gefängnis saß. Dann ist der Schah geflohen, Khomeini kam, Hibat und seine Freunde wurden aus dem Gefängnis entlassen, aber nichts wurde besser, sondern alles noch schlimmer. Hibat heiratete, bekam einen Sohn, und dann wurde der politische Druck so hoch, dass sie ins Ausland fliehen mussten, er und seine Frau und das Baby. Sie landeten irgendwann in Frankreich in der Banlieue von Paris, wo natürlich auch nicht gleich alles super war, aber langsam besser wurde. Das Baby ist heute erwachsen, ist Komiker geworden, nennt sich Kheiron und ist der Regisseur und Hauptdarsteller dieses Films.
Und jetzt weiß ich auch nicht recht, was ich sagen soll. Der Film wird als Komödie angekündigt. Der Stoff ist natürlich überhaupt nicht komisch, im Gegenteil, es ist nicht lustig im iranischen Gefängnis. Schon gar nicht, wenn man sich weigert, den Kuchen zu essen, den der Schah den Gefangenen spendiert hat; das sind schon Szenen, wo ich weggucke. Und an den Stellen, wo der Film lustig ist, ist er das irgendwie zu unentschlossen, fand ich. Die besten Witze sind quasi schon im Trailer verbraten. Man wandelt auf einem schmalen Grat, wenn man einen solchen Stoff als Komödie inszeniert, und ich bin nicht sicher, ob ich die Umsetzung für gelungen halte. Es ist manchmal lustig, ja. Es ist manchmal hart. Vor allem aber hätte es einem an vielen Stellen sehr viel näher gehen können, hat mich aber irgendwie nicht richtig erreicht. Was auch daran liegen könnte, dass die Figuren teilweise nicht richtig klar sind. Die Frau zum Beispiel – klug, wunderschön, teilweise sehr witzig und charmant, und dann wieder so unsagbar zickig (ob das lustig sein soll?), das erschließt sich einem gar nicht. Und auch Hibat selbst – sein politisches Engagement wird teilweise eher behauptet, als dass man es ihm abnehmen würde, aber dann kommen die fiesen Gefängnisszenen. Im zweiten Teil, in Frankreich, zerfasert dann alles ein bisschen, Privatleben, Geldverdienen, das Engagement im Jugendzentrum, es wird puzzlestückhaft und hört irgendwann einfach auf.
Dabei ist das alles überhaupt nicht „schlecht“. Wirklich nicht. Ich glaube nur, es wäre besser gegangen.
Am 22. Juni trafen sich im Rahmen des Aktionsbündnisses Wir machen das unter Federführung von Stephanie Krawehl von der Buchhandlung Lesesaal und Christiane Hoffmeister vom Büchereck Niendorf zwei Autorinnen und vier Geflüchtete zum Gespräch in der Veranstaltungsreihe Begegnungsort Buchhandlung. Moderiert von Kristine Bilkau und Isabel Bogdan berichteten ein Erwachsener und ein Jugendlicher aus Syrien sowie zwei Jugendliche aus Afghanistan im Büchereck Niendorf aus ihrem Leben.
Einer spricht sehr gut Englisch. Einer spricht sehr gut Deutsch. Zwei sprechen nicht gut Deutsch und gar kein Englisch. Ihre Muttersprache ist Pashtu, wir haben einen Dolmetscher für Arabisch, aber keinen für Pashtu. Also muss es auf Deutsch gehen. Es macht nichts, dass sie nicht so gut sprechen, denn das ist ja auch Teil des Themas. Es macht doch etwas, denn manchmal verstehen wir sie nicht. Wir verstehen aber, dass einer als Vierzehnjähriger von den Taliban rekrutiert werden sollte und deswegen geflohen ist. Wir verstehen nicht, was mit seinem Vater und seinem Bruder geschehen ist. Wir verstehen aber, dass sein Vater und sein Bruder tot sind, und wir verstehen, dass seine Mutter weiß, dass er in Deutschland lebt, seine anderen Geschwister ihn aber für ebenfalls tot halten, denn so ist es sicherer für sie. Wir sind unsicher, wie weit wir fragen sollen, was wir dürfen, wo die Grenze ist. Wir sind unsicher, ob wir seinen Namen öffentlich sagen sollen, oder ob auch das gefährlich ist. Er möchte gern Polizist werden, was aber nach deutscher Gesetzeslage zumindest schwierig ist. Vielleicht Feuerwehrmann. Aber erstmal möchte er besser Deutsch lernen.
Ein anderer möchte Medizin studieren oder Krankenpfleger werden, er macht gerade ein Praktikum bei einem Zahnarzt. Aber erstmal möchte er besser Deutsch lernen. Auch seine Geschichte war schwer zu verstehen, das Wort Daesh kam darin vor. Die beiden sind eher schüchtern, außerdem sprachlich unsicher; aber sie sitzen hier vor einem Publikum und erzählen von sich, schnell und leise.
Der dritte Jugendliche lebt in einer deutschen Familie. Er ist erst seit neun Monaten hier, in der Schule geht es ihm zu langsam, er spricht hervorragend Deutsch. Er würde gern das deutsche Abitur machen, aber das darf er nicht, denn er hat das syrische Abitur, und das wird hier anerkannt. Zweimal Abitur machen geht nicht. Vielleicht besucht er trotzdem die deutsche Oberstufe, um schneller weiterzulernen. Danach will er Zahnmedizin oder Medizintechnik studieren. Er geht davon aus, dass er Asyl bekommen wird, denn er ist nicht nur Syrer, sondern auch noch Kurde, und das ist noch schlimmer, sagt er und lacht vorsichtig. Er trägt ein Gedicht vor, das er seiner Freundin zum Geburtstag geschrieben hat, es geht um die Liebe. Mit der Freundin ist er jetzt nicht mehr zusammen, sie ist immer noch in Syrien.
What makes people leave their home?
What makes people leave their family?
What makes people leave their house, their country, their friends?
What makes people leave their job?
What makes people leave everything they have?
What makes people take a boat in the middle of the night?
It is hope. Hope for a better life (or for life at all), hope for a future, hope for peace and safety. Hope is what makes people leave their home. Hope is everything they have. Hope is what keeps them going. They have nothing else left but hope.
Der Vierte, ein erwachsener Mann aus Syrien, hat sich lange diese Fragen gestellt, warum Menschen alles aufgeben, was sie sind und haben, warum sie ihr Leben aufs Spiel setzen und bei Nacht in ein kleines Boot steigen, bis er selbst bei Nacht in ein kleines Boot gestiegen ist. Als in dem Boot Panik aufkam, hat er sich auf seinen Beruf besonnen, sein Beruf ist Kommunikation, er hat die Leute beruhigt. Es gibt eine Chance von fünfzig Prozent, sagt er, man kommt mit dem Boot auf der anderen Seite an, oder man kommt nicht an.
Und wenn man dann endlich in Deutschland ist, oder einem anderen Land, dann wird nicht plötzlich alles gut. Dann muss man warten. Auf eine Unterkunft, ein Interview in der Behörde, einen Antrag, einen Arzt, ein Bett, das nächste Interview, auf Bearbeitung des Antrags, auf eine Arbeitserlaubnis, auf Deutschunterricht, auf Klärung des Aufenthaltsstatus, man muss warten, warten, warten, und das ist nicht so einfach, wenn man arbeiten und ein neues Leben anfangen und für sich selbst sorgen möchte. Warten. Das ist das, was er in Deutschland gelernt habe, sagt er, warten. Dass man in Deutschland immer warten muss. (In anderen Ländern kann man diese Dinge mit Bakshish erledigen, kommt an anderer Stelle heraus.) Ansonsten möchte er nicht so viel über sich sprechen, sondern lieber allgemein bleiben.
Der Betreuer der Jugendlichen, ein Mann aus dem Irak, der seit über zwanzig Jahren in Deutschland ist, spielt zum Abschluss auf der Oud und erzählt uns, die Oud sei gewissermaßen die Mutter aller Saiteninstrumente. Er spielt ein arabisches Lied, und ein paar einzelne Leute singen mit, dann spielt er Hava Nagila, und alle singen mit, und dann spielt er Muss i denn, und alle lachen, und dann gibt es ein wundervolles Essen, das ein libanesischer Restaurantbesitzer spendiert hat. Man steht noch herum und unterhält sich, ein Freund der drei Jungs ist auch da und hat seine helle Freude am Lieferfahrrad der Buchhandlung, er darf natürlich damit fahren. Eine alte Dame verabredet sich mit einem der Jugendlichen für den nächsten Tag, um ihm ein bisschen Hamburg zu zeigen, weil sie herausgefunden hat, dass seine Schule ganz in der Nähe ihrer Wohnung liegt. Und wir merken, dass wir wissen wollen, wie es für die Vier weitergeht, ob sie ankommen, ob sich ihre Hoffnungen erfüllen, und beschließen, dass wir uns alle wieder verabreden müssen.
Christoph Maria Herbst liest den Pfau auf NDR Kultur in der Reihe „am Morgen vorgelesen“! Vom 27. Juni bis zum 8. Juli 2016 sind insgesamt zehn Teile zu hören, immer morgens von 8:30 Uhr bis 9 Uhr. Und dann für jeweils 24 Stunden online. Ich freu mich! Im Radio! Zehn halbe Stunden!