Liebes Tagebuch,

jetzt war ich zwei Tage größtenteils zu Hause. Das war auch ganz gut so – es war viel Input in der ersten Woche, viel Fremdes und Ungewohntes und viel Eingewöhnen. An diesen zwei Tagen habe ich gelesen und im Internet herumgelungert, was ich halt immer so mache, und bin ein bisschen durch meine Wohngegend gestromert, habe aber nicht viel gemacht. „Viel“ kommt jetzt wieder: heute und morgen habe ich Uni, ich will versuchen, mit den Studenten ein Kapitel aus „Tschick“ ins Chinesische zu übersetzen. Das ist ein Experiment, denn natürlich verstehe ich kein Wort von ihrer Übersetzung, aber dann müssen sie mir eben auf Deutsch erklären, was die Probleme sind, was für Lösungsideen sie haben, und warum die auch wieder zweifelhaft sind. Wir machen Kapitel 18, aus dem ich auch hier zitiert habe, ich bin sehr gespannt, wie das läuft.
Am Donnerstag fahre ich dann wahrscheinlich nach Suzhou, wo es wunderschön sein muss. Dort soll ich auch einen kleinen Vortrag an der Uni halten, dafür bringen sie mich dort unter, was wirklich super ist. Und dann fahre ich am Samstag wohl weiter nach Shanghai, das ist dann nämlich nur noch 20 Minuten mit der Bahn entfernt, und gucke mir übers Wochenende Shanghai an. Wo ich dann endgültig allein sein werde, da betüddelt mich niemand mehr.
Es bleibt also alles spannend. Ich habe gehört, Leute hielten mich für cool – „was Du alles machst“ und „Du traust Dich was“ und so. Hier, ich verrate Euch ein Geheimnis: so cool bin ich gar nicht. Ich finde das schon alles ganz schön aufregend und auch ein bisschen beängstigend. (Bitte keine Ratschläge und Aufmunterungssprüche jetzt, so schlimm isses dann auch nicht.)
Jetzt aber ab an die Uni!

Patenkindwunsch

Post! Von Herrn Buddenbohm. Sein jüngerer Sohn ist mein Patenkind. Er schreibt:

Ich: „Soll ich Isa was ausrichten von dir?“
Sohn II: „Ja, mach mal.“
Ich: „Und was?“
Sohn II: „Egal.“
Ich: „Nein, egal wünscht man nicht. Da sagt man einen Wunsch für jemanden. So wie viel Spaß oder Gesundheit oder guten Appetit oder gute Reise.“
Sohn II: „Dann sag Isa, ihr Bett soll sehr kuschelig sein.“

Wie rührend ist das denn bitte? Dann gehe ich da jetzt endlich auch hin, in mein kuscheliges Bett, und träume von Sohn II. (Note to myself: Süßigkeiten nicht vergessen. Bevor ich abflog, fragte er nämlich, ob es in China auch Süßigkeiten gibt, und ob ich ihm welche mitbringe. Und ob es hier auch richtige Süßigkeiten gibt oder nur chinesische.)

Essen

Es wurde angeprangert, ich hätte noch nicht genügend Essensbilder gepostet. Dabei esse ich natürlich andauernd ganz tolle Sachen – ich bin aber wirklich keine gute Fotografin, die meisten Bilder sind unscharf (zu nah, zu dunkel), und ich habe dann keinen Nerv, lange rumzuprobieren, bis ich schöne Bilder habe, wenn alle anderen längst essen.
Am Freitag war Besuch an der Uni: Professor Steffen Martus hat seine Biografie der Brüder Grimm vorgestellt und einen sehr interessanten Vortrag gehalten. Er kam zusammen mit einer Dame vom Goetheinstitut Peking, und ich war hinterher mit zum Essen eingeladen. In einem superschicken Restaurant irgendwo im 54. Stock. Es war bestimmt irgendwie unangemessen, dass ich da fotografiert habe, und ich habe auch längst nicht alle Speisen (und schon gar nicht alle scharf) geknipst. Es war jedenfalls wahnsinnig gut, alles.

SAMSUNG CAMERA PICTURESKeine Ahnung, was das ist. War knusprig und unfassbar lecker. Mönchsbart? Und das Helle – irgendwas Nussiges?

SAMSUNG CAMERA PICTURESEine Wurzel, vielleicht sowas ähnliches wie Schwarzwurzel oder so, wir haben es nicht herausbekommen. Geht anscheinend einen Meter tief in die Erde. Süß zubereitet, mit einer Art Himbeermarmelade.

SAMSUNG CAMERA PICTURESMais, Bohnenpaste. Sieht toller aus, als ich es dann fand. Mais halt. *achselzuck*

SAMSUNG CAMERA PICTURESSüße Reissuppe. Nicht sonderlich fotogen, schmeckt aber sensationell. Süß und fruchtig. Irgendetwas ist darin leicht angegoren, sagten die Chinesinnen.

SAMSUNG CAMERA PICTURESViel. Und das war noch nicht alles, es kam immer noch etwas nach. Ich habe gelesen, in China würde immer zu viel Essen aufgefahren, damit es nicht am Ende aussieht, als hätte es nicht genug gegeben. Es gab noch verschiedene Fleischgerichte (das scharfe Rindfleisch! Rrrrrr!), einen ganzen Fisch, Tofu, Süßkartoffeltaler mit grünem Tee, anderes Gemüse, noch mehr Gemüse … Boah.

Samstag war ich mit ein paar Studenten „auf dem Berg“, wie man hier sagt; dazu später mehr. Aber erstmal haben wir in einem traditionellen Nanjinger Restaurant gegessen, oder sagen wir: in einem auf traditionell gemachten, mit entsprechend gekleidetem Personal. Es gab Nanjinger Spezialitäten. Allerdings bekomme ich den Eindruck, dass hier alles eine Nanjinger Spezialität ist. Die Nanjinger Küche hat offenbar viele süß zubereitete Spezialitäten; ich mag das, diese Abwechslung. Man bestellt eigentlich immer lauter Gerichte, die in der Mitte stehen und die sich dann alle teilen, da kann man schön zwischen süß und würzig abwechseln.

SAMSUNG CAMERA PICTURESLotoswurzel in süß. Von der Konsistenz her im ersten Moment nicht ganz mein Ding, aber geschmacklich super.

SAMSUNG CAMERA PICTURESIch weiß nicht, wie das heißt. Wusste auch keiner der Studenten. Endivie? Stängelkohl? Kai Lan?

SAMSUNG CAMERA PICTURES„Lila Kartoffel“, sagen die Studis, das ist wohl noch etwas anderes als Süßkartoffel. Noch lilaler. Hier als Bällchen mit knuspriger Kruste und einer süßen, flüssigen Füllung mit schwarzem Sesam. Himmlisch. Ich wiederhole mich, es ist einfach alles toll.

SAMSUNG CAMERA PICTURESNudelsuppe. Könnt ich mich ja sowieso reinlegen.

SAMSUNG CAMERA PICTURESRettichrösti.

SAMSUNG CAMERA PICTURESSüße Suppe mit irgendwelchen Wurzeln drin. Suppe sehr lecker, die Wurzeln haben so eine mehlige Konsistenz, die im Mund immer mehr wird. Nicht mein Lieblingsdings, aber die Suppe, die Suppe! Süß, warm und lecker! Mit kleinen Blütenblättern drin!

Abends, nachdem wir den ganzen Tag herumgelaufen waren, gab es dann nur noch was Kleines an der U-Bahnstation. Sieht jetzt aus wie die große Langeweile zum Schluss, schmeckt aber natürlich super. Die Taschen sind mit Gemüse gefüllt, es gibt sie auch in X Fleisch-Varianten. Dazu gibt es Soyasoße mit Knoblauch und scharfem Zeug (Sambal Oelek?). Die sechs Taschen haben mir an dem Abend gut gereicht, sie kosten vier Yuan, das sind ungefähr fünfzig Cent. Also, alle zusammen. Nicht pro Stück.

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Heiratsmarkt

Es geht auf den 11.11. zu, den Tag der Singles. Eins-eins, eins-eins, was für ein einsamer Tag. Eine gute Gelegenheit, sich selbst oder die eigenen Kinder auf den Heiratsmarkt zu bringen. Vielleicht auch ohne das Wissen der Kinder. Auf den Zetteln stehen die Eckdaten (Alter, Größe, Einkommen, kurze Selbstvorstellung und Partner-Wunschvorstellung), keine Bilder. Sie sind nach Jahrgängen sortiert, bis runter zu den 1940er Jahrgängen, und schön nach Männlein und Weiblein getrennt. Blaue Zettel für die Männer, rosa für die Frauen. Und eine Extra-Abteilung für Leute, die im Ausland leben. Ein paar selbstgemachte Zettel sind auch dabei und hängen getrennt von den anderen. Wer Interesse an einem Profil hat, schreibt mit der Hand seine Telefonnummer darunter. Ich sehe sofort allerhand Möglichkeiten zu Schabernack, aber vielleicht tun Chinesen sowas ja nicht. Wir hatten den Eindruck, dass die Besserverdienenden deutlich mehr Telefonnummern bekommen haben als die Schlechterverdienenden. Man sieht das auf dem Bild mit den drei Zetteln: der mit 30.000 ¥ hat keine Telefonnummer, der mit 80.000 ¥ ein paar, und der mit 250.000 ¥ eine Menge. Ich habe aber nicht geguckt, ob sich das wirklich durchzieht, vielleich hat der ja auch die nettesten Eigenschaften. Oder besser formuliert.

Wir werden von drei älteren Männern noch unverhohlener angestarrt als normalerweise eh schon.

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Nach dem ersten Befremden (okay, so befremdet war ich auch wieder nicht, ich wusste nämlich schon, was das hier ist, denn Meike Winnemuth hat davon auch schon berichtet) denke ich: eigentlich auch nichts anderes als Kontaktanzeigen in der Zeitung oder im Internet. Nur eben so viel analoger, dass es einen verblüfft.

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