„Irgendwo bellte ein Hund.“

Einer der abgedroscheneren Sätze der Literaturgeschichte. Kommt in allen Genres und in den besten Familien vor, wie die taz hier so schön darlegt. Im Gegensatz, beispielsweise, zum ebenso abgedroschenen „Es war, als hätte jemand ein Licht in ihr angezündet“, das ist eindeutig eine Liebesschnulze oder Chick-Lit, und es ist Kitsch.
Aber der Satz mit dem Hund – wahlweise auch: „In der Ferne bellte ein Hund“ –, geht immer und überall, und er ist natürlich an sich erstmal kein Kitsch, sondern so voll atmosphärisch dicht und so, aber man hat ihn halt ein paarmal zu oft gelesen. Herr TWSchneider hat mir auf Facebook, weil ebendieser Satz in Jane Gardams Letzte Freunde steht, einen kleinen Seitenhieb verpasst, der mich jetzt schon seit gestern beschäftigt, denn es stellt sich ja in der Tat die Frage: Was macht denn die Übersetzerin, wenn im Original steht:

A lost dog barking out of sight.

Schreibt man da: „In weiter Ferne war das Bellen eines einsamen Hundes zu hören“, nur um nicht „Irgendwo bellte ein Hund“ zu schreiben? Ich meine: Nein. Denn da liest man ja laut und deutlich „die Übersetzerin wollte wohl nicht ‚Irgendwo bellte ein Hund‘ schreiben“ mit. Oder? Da muss man doch erst recht „Irgendwo bellte ein Hund“ schreiben und hoffen, dass jeder Leser kapiert, dass das ein Zitat ist oder eine Art Running Gag der Weltliteratur und nur ironisch gemeint sein kann. Das denke ich, und das hoffe ich, und ich hoffe außerdem, dass Jane Gardam einen solchen Satz auch nicht ganz ohne Augenzwinkern meinen kann. Gleichzeitig weiß ich genau, dass es als Scherz nicht funktioniert.
Es ist nämlich so: Im Pfau kommt der Satz „Irgendwo blökte ein Schaf“ vor. Den habe ich jetzt auf knapp 60 Lesungen vorgelesen, und es hat noch nie jemand gelacht. Einer von zwei Gags, die noch kein einziges Mal funktioniert haben. Und jetzt? Mal meinen eigenen Humor überdenken? Oder bei nächster Gelegenheit noch deutlicher werden, wie etwa Jo Lendle, der in „Was wir Liebe nennen“ schreibt:

In der Ferne bellte kein Hund.

Großartiger Satz, ich habe laut gelacht, aber es geht halt ein bisschen die Subtilität flöten. Oder gar die Subversivität. Ist es subversiv, einen Satz zu schreiben, der einfach überhaupt nicht (mehr) geht? Oder fällt das nur unter „Witze, die niemand kapiert“? Ich weiß es nicht.

Vor einer ähnlichen Frage steht man übrigens bei der Neuübersetzung von Klassikern. Was macht man mit ikonischen Sätzen? Was macht man, wenn man den kleinen Prinzen neu übersetzt, aus „man sieht nur mit dem Herzen gut usw“ – macht man das krampfhaft irgendwie anders? Oder lässt man es so, weil der Satz ja gut ist, wie er ist? Die einen so, die anderen so, klar. Keine Ahnung, was ich täte. Vermutlich würde ich es bei der etablierten Version belassen, denn irgendwann gilt so ein Satz ja als „richtig“.

Mal sehen, vielleicht kriege ich ja im nächsten Roman ein „Irgendwo schrie ein Pfau“ unter.

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