Ach ja, Superlative. Seufz. Sehr gut gefällt mir Der Ursprung der Welt von Jorge Edwards (Sabine Giersberg). Die Gestaltung stammt von Julie August.
Jo, gestreift halt. Aber man ahnt was, oben rechts. „Der Ursprung der Welt“ ist der Titel eines Gemäldes von Gustave Courbet von 1866, das damals ein Skandal war. Das Bild spielt in dem Buch eine wichtige Rolle: Ein Mann entdeckt im Nachlass seines besten Freundes, eines Fotografen, Fotos, die dem berühmten Gemälde nachgestellt sind. Der Kopf der Frau ist – wie auch auf dem Gemälde – nicht zu sehen, aber er hat doch den Verdacht, dass es sich um seine eigene Frau handelt. Er wird eifersüchtig, und diese Eifersucht wirft ihn völlig aus der Bahn, er wird geradezu besessen von der Vorstellung, seine Frau könnte ein Verhältnis mit seinem besten Freund gehabt haben. Lange her, dass ich es gelesen habe (ich hoffe, die Inhaltsangabe stimmt), aber ich weiß, dass ich es unglaublich großartig und überzeugend fand. Sehr beeindruckend. Und mit einem wunderbar gelösten Schluss. Das ist eine dringende Leseempfehlung, 160 Seiten, kann man schnell mal eben. Und es sieht wunderschön aus.
Was man da oben sieht, ist natürlich nur der Schutzumschlag. Weiße Streifen auf halbtransparenten schmaleren Streifen. Das Gemälde „Der Ursprung der Welt“ hat Julie August verschä dezent darunter versteckt.
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Wenn jemand durchs Fenster reinguckt und sieht, wie man mit geschlossenen Augen am Regal entlangtappt, die Hände über Buchrücken gleiten lässt und schließlich eins rauszieht, der muss ja … ach, egal.
Heinrich Mann: Die kleine Stadt. Ich habe dieses Buch nicht gelesen, es gehört dem Gatten. Wenn ich’s recht bedenke, habe ich wahrscheinlich gar nichts von Heinrich Mann gelesen. Ein schönes Buch, in grünes Leinen gebunden, am Rücken ein bisschen ausgeblichen, sehr schöne Schriftart auf dem Rücken. Keine Schrift auf dem Cover. Ich weiß nicht, ob es mal einen Schutzumschlag dazu gab. Es hat 442 Seiten, die nach altem Buch riechen. Erschienen ist es 1960 bei Claassen, eine „Einmalige Sonderausgabe in der Reihe Die Bücher der Neunzehn, Band 65.“
Die Bücher der Neunzehn, weiß Wikipedia, „war ein in den 1950er- bis 1970er-Jahren von 19 deutschen Verlagen durchgeführtes Gemeinschaftsprojekt zur Herausgabe einer Buchreihe von anspruchsvollen Büchern bedeutender Philosophen und Schriftsteller in guter Ausstattungsqualität zu sehr günstigen Preisen.“
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Die Frage bringt mich auf die Idee, ein einziges Bücherbord haben zu wollen. Nicht, um nur einen Meter Bücher zu haben, sondern ein einziges, langes, langes Bord, das sich durch die komplette Wohnung zieht, an allen Wänden entlang, durch alle Zimmer, so kurz unter Augenhöhe, mitten an der Wand, eine einzige, lange Schlange. Würde bestimmt toll aussehen. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. So sieht’s aus:
Ich liebe dieses Regal. Sehr. Beim Essen gucke ich die Bücher an, alle Gäste, die auf der entsprechenden Tischseite sitzen, gucken die Bücher an, und ich freue mich immer darüber. Gleichzeitig frustriert es mich auch. Denn manchmal gehe ich einzelne Fächer durch, gucke, was ich gelesen habe und stelle fest: die meisten dieser Bücher habe ich nicht gelesen. Ich bin, was das Lesen betrifft, auch wirklich spätberufen; irgendwann im Laufe dieser Fragenliste werde ich das sicher auch noch erzählen. Jedenfalls: es sind 49 Fächer, in einem Fach sind im Schnitt gut 20 Bücher. Wenn man die frei in der Wohnung herumflottierenden und die verliehenden Bücher noch dazunimmt, sagen wir 50 mal 20, dann sind das ungefähr 1000 Bücher – vielleicht doch nicht ganz so schlimm, dass ich sie nicht alle gelesen habe. Andererseits denke ich auch immer, so viele sind das doch gar nicht, ist doch nur ein Regal. Ach so: das ist nur die Belletristik. An einer anderen Wand ist noch ein etwas kleineres Regal mit Anthologien, Bildbänden, Comics, Kinderbüchern und meinen Übersetzungen. Und dann gibt es natürlich noch das Arbeitszimmer mit Schulbüchern, Nachschlagewerken und Sachbüchern.
Dieses Regal ist das einzige, was hier immer tadellos aufgeräumt ist. Streng alphabetisch nach Autor, in Spalten, also erst von oben nach unten. Das vierte und das neunte Buch von vorn und hinten gaben nicht so viel her. Stattdessen zeige ich Euch das vierte und das neunte Fach. Das vierte Fach von vorn:
(Irgendwann kriege ich raus, wie man Bilder verkleinert, ohne dass sie unscharf werden.)
Zoe Beck: Wenn es dämmert und Das alte Kind. Beide gelesen, Zoe Beck ist das Pseudonym von Henrike Heiland, die hier zwei Einträge weiter unten im Video zu sehen ist. Jurek Becker hat der Mann gelesen, Beckett vermutlich auch. Belle de Jour habe ich von der Übersetzerin Andrea Fischer bekommen, nicht gelesen. Ich glaube, ich hatte sie dem Verlag empfohlen, weil ich selbst keine Zeit hatte, das zu übersetzen. Von Saul Bellow habe ich Ravelstein gelesen, sensationell gefunden. Humboldt noch nicht gelesen, will ich aber. Dann Tahar Ben Jelloun, Der letzte Freund, gelesen, gut gefunden. Benn nicht gelesen. Bennett alle gelesen; da, wo die Lücke ist, gehören die beiden ungelesenen hin, die auf dem SuB (Stapel ungelesener Bücher) liegen. Bergengrün nicht gelesen. Thomas Bernhard: Wittgensteins Neffe gelesen, super gefunden, Rest trotzdem nicht gelesen. Noch nicht. F.W. Bernstein, Die Gedichte (Das heißt diesem Falle: alle), immer mal wieder drin rumgelesen, großartig natürlich.
Und das ist das neunte Fach von hinten, also von unten, Ihr versteht schon:
Das ist eines der frustrierenden Fächer, denn davon habe ich ungefähr nichts gelesen.
Ingo Schulze nicht gelesen. Der ist jetzt aber wirklich bald mal fällig, kann ja wohl nicht angehen. Das Reclamheft ist Schwitters, das habe ich komplett gelesen. Walter Scott und David Sedaris nicht. Kathrin Seddig habe ich gelesen und super gefunden. Dann kommt reichlich Anna Seghers, hat der Mann alles gelesen, ich nicht. Von Lutz Seiler mal ein paar Gedichte versucht, nicht verstanden. Seligmann und Semprun nicht gelesen. Und schließlich Shakespeare, naja, Macbeth in der Schule. Das Anglistikstudium habe ich komplett shakespearelos hinter mich gebracht. Später mal ein paar Sonette in der Übersetzung von Christa Schuenke in der wunderschönen Ausgabe des Straelener Manuskripte-Verlags gelesen.
Ceterum censeo, dass noch viel mehr Blogger ihre Bücherregale zeigen sollten.
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Astrid Lindgren (Else von Hollander-Lossow): Kati in Amerika | Italien | Paris
Kati lebt mit ihrer gestrengen Tante in einer klitzekleinen Dachwohnung in Stockholm. Aus irgendeinem Grund, den ich vergessen habe, will sie im ersten Band nach Amerika reisen – die Tante sagt erst, dass das selbstverständlich überhaupt nicht in Frage kommt, und als nächstes sagt sie, dass sie mitfährt. Was nun ungefähr genau nicht das ist, was Kati sich vorgestellt hat, aber nun. Besser zu zweit als gar nicht. Und siehe: die Tante verliebt sich, heiratet und bleibt in Amerika (=USA).
In Band zwei hat Kati die Wohnung folglich plötzlich für sich allein. Ihr Freund Jan will sofort heiraten und einziehen, aber Kati winkt ab. Stattdessen zieht ihre Freundin Eva mit ein, die mit Kati zusammen als Sekretärin im selben Anwaltsbüro arbeitet. Die beiden tippen irgendwann spaßeshalber im Fußballtoto, gewinnen überraschend eine Menge Geld und beschließen, dieses Geld in eine „Gesellschaftsreise“ nach Italien zu stecken. Wo sie Lennart kennenlernen. Vor allem Kati lernt Lennart kennen. Oh, Lennart. Vermutlich nach Thomas Lieven der zweite literarische Mann, in den ich mich verliebt habe.
Naja, und in Band drei geht es dann auf Hochzeitsreise nach Paris. Ich verrate aber nicht, mit wem!
Man sieht es dem Buch an: ich habe es in meiner Jugend ungefähr achttausend Mal gelesen. Weil ich eine alte Kitschtante bin. Denn das ist natürlich alles unfassbar brav und betulich und so zauberhaft und alles. Und witzig ist es auch. Und lehrreich! Seitdem kann ich zum Beispiel einen Satz fließend auf Italienisch sagen, nämlich: Mi arricci i baffi. Das bedeutet „dreh mir den Schnurrbart“ und ist sicher ein sehr nützlicher Satz.
Die Übersetzung stammt von Else von Hollander-Lossow, die wunderbare Dinge getan hat. Da gibt es beispielsweise eine Szene, in der eine der vier Sekretärinnen im Anwaltsbüro erzählt, wie ihr Chef ihr morgens gesagt hat, sie habe schöne Beine, mittags durchblicken ließ, dass mit seiner Frau nicht alles so toll sei, abends musste sie länger arbeiten, und schließlich lud er sie zum Essen ein.
„Dass die Männer es nicht begreifen!“
„Was begreifen sie nicht?“, fragte ich.
„Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt“, sagte Eva.
Ein Goethezitat! Habe ich natürlich erst Jahre später gemerkt, als ich das Buch immer noch auswendig konnte und jemand diesen Satz zitierte, und ich überrascht frug: Wie, Du hast Kati gelesen? Welche Kati, fragte er.
Noch so was: als Eva und Kati in Italien sind, sagt Eva, sie wäre gern Katharina di Medici gewesen. Vor dem Abendbrot noch schnell ein paar Todesurteile unterzeichnen, das hätte ihr gefallen. „Und wenn der Kopf dann rollt, dann sag ich ‚Hoppla!’“
Das habe ich erst bemerkt, als wir vor einigen Jahren im Theater die Dreigroschenoper sahen. Da zitiert die Seeräuberjenny auf einmal Kati in Italien!
Würde die Übersetzerin noch leben, dann würde ich ihr eine Mail schicken. Ich würde sie fragen, ob Astrid Lindgren etwa Goethe und Brecht zitiert, oder ob sie das selbst war. Das glaube ich nämlich. Ich glaube, die Übersetzerin hat Goethe und Brecht eingefügt, einfach so, weil es passt, und weil es Spaß macht. Und ich finde das großartig. GROSSARTIG! So großartig, dass ich sowas auch tue, wenn es sich gerade anbietet. So großartig, dass ich sogar schon einmal ein Kati-Zitat wo untergebracht habe. Das ist aber so unauffällig, dass es wahrscheinlich nur A. gemerkt hat. Vielleicht sollte ich das Buch noch mal lesen, nur um zu gucken, ob noch mehr solche Zitate drin sind. Liebe Frau von Hollander-Lossow: meine Verehrung.
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Immer dieser Quatsch mit dem Hassen. Es gibt natürlich einen Haufen Bücher, die ich mal super fand und jetzt nicht mehr. Erst hatte ich vor, hier „Der blöde Prinz“ zu antworten. Aber dann fiel mir auf: ist ja Quatsch, natürlich hasse ich ihn nicht. Ich finde immer noch, dass das ein wirklich nettes Kinderbuch ist. Man kann’s halt nur nicht mehr hören. Und der Satz „ach nein, das ist schon auch für Erwachsene“ lässt mich immer vermuten, dass diese Erwachsenen sonst überhaupt nicht lesen und womöglich ein etwas schlichtes Gemüt haben, und gleich hinterher schelte ich mich selbst für meine Arroganz. Denn den kleinen Prinzen scheiße zu finden, ist genauso einfach, wie ihn super zu finden. Es ist so einfach, sich darüber lustig zu machen, irgendwie wohlfeil. Und ja, klar tue ich das auch.
Es gibt genügend Leute, die sich auf ihrer Hochzeit in der Kirche vorlesen lassen „Du bist Zeit deines Lebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast, sagte der Fuchs“, und die Hälfte der versammelten Gemeinde ist gerührt. Ich nicht, ich denke „schnarch“, aber da kann der kleine Prinz ja nichts für, und das Brautpaar auch nicht. Das Brautpaar ist nämlich durchaus nicht blöd, bloß weil es den blöden Prinzen gut findet.
Und so habe ich nun auch diese Frage zweckentfremdet, wie die meisten anderen auch, und sage den Kleiner-Prinz-Hassern: seid nachsichtig. Nicht alles, was abgedroschen ist, ist auch gleich schlecht. Man sieht nur mit dem Herzen gut.
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