Der November steht vor der Tür. Irgendwann im November werden die Hamburger Alsterschwäne ins Winterquartier verfrachtet. Ich habe letztes Jahr zugeguckt, als sie zusammengetrieben und auf Boote verladen wurden – eigentlich für „Sachen machen“, aber dann passte es da irgendwie nicht recht rein. Hier jetzt also ein Jahr später:
Schwäne
Seit sechseinhalb Jahren lebe ich jetzt in Hamburg. Seit sechseinhalb Jahren höre ich von den „berühmten Hamburger Alsterschwänen“, die angeblich sogar Touristen anlocken, und seit sechseinhalb Jahren denke ich: hä? Schwäne sind schön, keine Frage, die Alsterschwäne auch, aber mal ehrlich: etwas so Besonderes sind sie nun nicht, jede Stadt hat Schwäne, jedes mittelgroße Gewässer hat Schwäne. Da brauchen die Hamburger sich auf ihre Alsterschwäne nicht groß was einzubilden. Dachte ich. (mehr …)
Gastbeitrag von Jenny Merling
„An und für dich“ erzählt von zwei befreundeten Paaren, alle Mitte Dreißig, alle oberflächlich zufrieden mit ihrem Leben, alle bei näherer Betrachtung doch nicht so ganz glücklich.
Saffy arbeitet in einer Werbeagentur, verdient gut, ist die Freundin von Soapstar Greg und rechnet demnächst mit einem Heiratsantrag. Ihre Freundin Jess, freiberufliche Journalistin, verdient nicht ganz so gut und hat mit Conor, dem Lehrer, der abends an seinem Lebenstraum in Form eines Romans schreibt, zwei Kinder.
Alles läuft also fröhlich vor sich hin, bis es bei Saffy und Greg kracht, weil sich herausstellt, dass die Zukunftspläne der beiden eigentlich sehr auseinandergehen, und Jess und Conor sich in die Haare kriegen, weil Conor endlich einen Verleger für sein Buch gefunden hat, deshalb den Job als Lehrer an den Nagel hängt und die sonst so unangepasste Jess plötzlich merkt, dass ihr ein bisschen spießige Sicherheit doch lieber wäre.
Mit unterschiedlichem Erfolg versuchen es die vier Protagonisten daraufhin erst einmal eine Weile ohne einander. Währenddessen entspannt sich Saffys schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, als diese schwer erkrankt. Bevor die beiden jedoch Zeit haben, sich mit der Krankheit zu arrangieren und die neu entdeckte Mutter-Tochter-Beziehung ein wenig zu genießen, wird sie dank einer Entdeckung, die die gemeinsame Vergangenheit der beiden angeht, schon wieder belastet.
Es ist ein Roman über Paare und Familien, Eltern und Kinder, verschiedenste zwischenmenschliche Beziehungen eben, alles ist komplizierter, als es auf den ersten Blick wirkt, aber eigentlich auch doch wieder ganz einfach. Nur nicht vorhersehbar. Und deshalb gut.
Meine persönliche Beziehung zum Roman lässt sich sich in drei Situationen zusammenfassen, die sich mit wechselnden Akteuren aber unwesentlich wechselnden Dialogen in den letzten Wochen immer wieder abgespielt haben, seitdem „An und für dich“ am 16. August herausgekommen ist. Und auch schon eine Weile davor, wenn ich ehrlich bin.
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auf der Couch
„Ach übrigens, Onkel X/Arbeitskollegin Y/Nachbarin Z will sich mein Buch kaufen.“
„Und?“
„Ich weiß nicht … der/die liest doch sonst nur so Schinken über U-Boote im Zweiten Weltkrieg/Fachliteratur zur Psychotherapie/Krimis. Und das ist jetzt so … na ja, was für Frauen eben. Das gefällt ihm bestimmt gar nicht.“
„Lass die das doch alle selbst entscheiden!“
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Ein Unterhaltungsroman.
Und sofort dieses Gefühl, sich verteidigen zu müssen dafür, dass man den übersetzt hat und es nicht mal schlimm fand. Damit muss mal Schluss sein. Das Buch wurde geschrieben, um zu unterhalten, und das tut es. Und zwar so, dass ich – ja, ich verwende jetzt einen Klischeesatz! – sowohl laut lachen als auch weinen musste. Bekanntermaßen müssen Isa und ich ja schon bei der Merci-Werbung weinen, sind also vielleicht kein Maßstab, aber man kann auf jeden Fall festhalten, dass es ein sehr gelungenes und unterhaltsames Buch ist. Viel Spaß beim Lesen, Onkel, Arbeitskollegen und Nachbarn!
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am Telefon
„An und …“
„… für dich.“
„An und für dich?“
„Ja, Opa.“
„Nicht ‚für sich‛?“
„Nein, Opa.“
„‚An und für dich‛ also.“
„Genau.“
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Ein Unterhaltungsroman, der „An und für dich“ heißt.
Isas und mein Vorschlag, ihn nach den vier Hauptpersonen einfach „Saffy, Conor, Jess und Greg“ zu nennen (dieser Rhythmus! diese Schlichtheit!), wurde leider abgelehnt. Vielleicht befürchtete man, zu viele würden es in Gedanken um „und deine Mudda“ ergänzen und dann lieber die Finger davon lassen.
Zwischendurch stand von Verlagsseite auch einmal eine Variante im Raum, in der das Wort „Supermann“ vorkam – der Schutzpatron der Übersetzer (gibt’s übrigens wirklich, heißt Hieronymus) hat uns da zum Glück jedoch beigestanden und diesen Titel verhindert. Sorry, KiWi! Nun haben wir also dieses Wortspiel auf dem Cover und wer das Buch liest, weiß am Ende auch, wieso es so heißt. Und was will man denn mehr von einem Titel, als dass er einen erst verwirrt und das Buch damit zumindest interessant macht, und sich dann am Ende von selbst erklärt.
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abends im Bett
„Du?“
„Hm?“
„Ich hab jetzt ein Buch.“
„Ich weiß.“
„Ja, aber … ich hab jetzt ein Buch. Ein echtes. Steht mein Name drin. Und Isas. In unserem Buch, weißte?“
„Ja. Und jetzt schlaf.“
…
*Geschnüffel*
„Lass mich raten – du musstest gerade wieder an dein Buch denken?“
„Mh.“
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Mein Unterhaltungsroman.
Es ist nämlich nicht einfach eine weitere in der langen Reihe von Isas Übersetzungen, nein, es ist gleichzeitig auch noch meine erste „richtige“, das heißt: erschienene Übersetzung.
Zum ersten Mal ein ganzes Buch übersetzen, nicht nur ein paar Seiten wie in der Uni. Allein entscheiden (zumindest, bis Isa und die Lektorin sich drauf stürzen), was ich für eine adäquate Übertragung ins Deutsche halte. Das Internet ob seines Unterhaltungsfaktors und Ablenkungspotentials verfluchen. Fehler machen. Was von Isa lernen. Selbst super Ideen haben. Den verdammten Mist nicht mehr sehen können. Das Internet sehr lieb haben. Sich fragen, was man sich eigentlich bei der ganzen Sache gedacht hat, denn werden kann das ja hier wohl nie was. Am Ende sehr glücklich sein und feststellen, dass Übersetzerin tatsächlich – wie auch bisher angenommen – der beste Beruf der Welt ist. Das ist „An und für dich“ für mich.
Ach ja, und mein absoluter Lieblingssatz lautet: „Nee, oder?“ (S. 179)
Weil man mir in der Uni beigebracht hat, dass man so was nicht in eine Übersetzung schreiben darf, weil Isa und ich uns trotzdem einig waren, dass das ungläubige „You‘re kidding!“ nur so und nicht anders in diesem Zusammenhang übersetzt werden kann und weil die wundervolle KiWi-Lektorin Helga Frese-Resch mit uns einer Meinung war und diesen Satz tatsächlich im Buch gelassen hat.
Ella Griffin (Jenny Merling, Isabel Bogdan): An und für dich. Kiepenheuer & Witsch, 476 Seiten, 16,99 €.
Als E-Book 14,99 €
ich ertrinke gerade in Arbeit, und das geht auch noch bis Mitte September so weiter. Literaturhaus war gut (fanden wir selbst jedenfalls), und morgen lese ich in Berlin! Halb acht im „Bad Kreuzberg“, Blücherstraße 17, Kreuzberg. Ich freu mich, wenn Ihr kommt!
Und nächste Woche geht’s dann hier auch wieder weiter, versprochen. Madeira ist noch nicht fertigerzählt!
Jaja, ich bin spät dran – wer die anderen Blogs auch alle liest, die schon drüber geschrieben haben, kann hier aufhören zu lesen, ich schreibe jetzt nämlich auch nur dasselbe. Also erstens: blöder Titel, zweitens: super Buch. Mannmann, der Titel klingt echt wie eine Witzesammlung. (Und dann noch der Untertitel, „Teutonische Abenteuer“, was für ein Quark.)
Alexandra, genannt Ola, wächst in Polen auf. Eines Tages findet sie im Keller ihrer Oma einen Quellekatalog, und seitdem hat sie eine sehr genaue Vorstellung vom Paradies. Und dann kombiniert sie schnell, dass dieses Paradies viel mit den Buchstaben B, R und D zu tun hat, und mit dem Wort „rausfahren“.
Und genau das tut ihre Familie irgendwann auch: rausfahren, in die BRD, ins Paradies. Wo jeder seine eigene Coladose hat, wo es rosa Jogginganzüge mit Mickey Mouse drauf gibt und unfassbar viele Sorten Haribo und Fruchtjoghurt.
Und wo, wie sich dann natürlich herausstellt, auch nicht alles so super ist. In der Aussiedlerbaracke, wo es plötzlich für die gesamte Familie ein Zimmer gibt, und nicht mehr ein Haus, wie in Polen. Wo der Vater keine Arbeit findet, weil er nicht genug „angeben“ kann. Und wo Ola in der Schule nur schwer Freunde findet – unter anderem, weil „Made in China“ in Deutschland eben nicht der Gipfel des luxuriösen Chics ist. Und so weiter.
Man macht sich das ja nicht immer so klar. Also, ich jedenfalls. Wie es ist, „Ausländer“ zu sein, in einer anderen Kultur zu leben, Dinge nicht zu verstehen, weil sie eben zu Hause anders waren, und teilweise gar nicht auf die Idee zu kommen, dass es sich um eins dieser kulturellen Missverständnisse handelt. (Immerhin habe ich ein Jahr in Tokyo gelebt – wie es sich anfühlt, anders auszusehen, weiß ich also, aber als Deutsche in Japan hat man natürlich mit vollkommen anderen Vorurteilen zu tun als als Polin in Deutschland.) Vollends zieht es einem die Schuhe aus, als Ola zu einer Klassenkameradin nach Hause eingeladen wird, weil deren Eltern finden, ihre Tochter „solle auch mal mit Ausländern spielen“. Und da nicht nur Ola, sondern auch Alexandra Tobor als Kind nach Deutschland gekommen ist, nehme ich an, dass diese Geschichte möglicherweise nicht frei erfunden ist.
Der Kulturschock eines Kindes und seiner Familie wird mit soviel Herz und Witz beschrieben, dass man beim Lesen nicht nur seinen Horizont erweitert, sondern auch noch bestens unterhalten wird. Sehr schönes Buch!
Alexandra Tobor: Sitzen vier Polen im Auto. Ullstein, 272 Seiten, 9,99 €. Als E-Book 8,99 €.
(Die Links führen zum Osiander-Webshop.)
NACHTRAG: In ihrem Blog gibt die Autorin noch ein paar Hintergrundinformationen.
Ich stehe ja auf Gerbrand Bakker (und Andreas Ecke, der ihn so toll übersetzt). „Oben ist es still“ ist immer noch eins meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre; „Juni“ fand ich auch großartig. Der aktuelle Roman, „Umweg“, liegt auf dem SuB und ist demnächst dran. Zwischendrin habe ich erstmal „Komische Vögel“ gelesen, eine Sammlung von Kolumnen und Blogtexten, in denen es um Tiere geht. Die kurzen Nicht-Geschichten sind mal komisch, mal nachdenklich und oft voll mit interessantem Tier- und Pflanzenwissen. Und vor allem mit einer beträchtlichen Tierliebe, und zwar der Sorte Tierliebe, bei der man selbst nicht tierverrückt sein muss, um sie zu schätzen zu wissen und zu mögen. Und nicht zuletzt strotzt es vor eigenartigen Einfällen und Gedankengängen, die dafür sorgen, dass man Bakker selbst vielleicht für einen etwas komischen Vogel hält, aber für einen, den man unbedingt mögen muss. Und hinten drin ist sogar noch ein Register aller erwähnten Tierarten, dessen Umfang einen dann doch noch mal verblüfft. Super zum Immer-mal-wieder-zwischendurch-Lesen, ein großer Spaß.
Gerbrand Bakker (Andreas Ecke): Komische Vögel. Insel Verlag, 106 Seiten. 8,99 €.
Auch als E-Book.
(Die Links führen zum Osiander-Webshop.)