Leif Randt: Schimmernder Dunst über CobyCounty
Boah, puh! Was für ein eigenartiges Buch. Ich-Erzähler Wim Endersson ist Mitte zwanzig und hat das Glück, in CobyCounty zu leben, schon immer: CobyCounty ist eine Art Paradies, es ist immer das Meer zu sehen, es ist scheinbar immer schönes Wetter (nur nicht, wenn es regnet, dann ist immer gleich „Starkregen“, aber der geht schnell vorbei); man hat unverbindliche Affären, und wenn die zu Ende gehen, leidet man halt ein bisschen und geht dann auf eine Tanzparty und betrinkt sich und fängt die nächste unverbindliche Affäre an. Alle arbeiten irgendwie im Kulturbetrieb oder im Tourismus, alle verdienen gutes Geld und sind glücklich und gesund und sehen gut aus und tragen qualitativ hochwertige Frühlingstextilien, denn jetzt wird Frühling. Und Frühling ist in diesem Paradies aus Plastik eine ganze besondere Jahreszeit, es gibt Partys und die schönsten Touristen der Welt kommen, und viele Einwohner von CobyCounty nehmen sich einfach mal zwei Monate frei, und alles ist toll.
Bis es einem immer unbehaglicher wird und immer unangenehmer und geradezu gruselig. Diese ganze Künstlichkeit und Oberflächlichkeit und Fassadenputzerei geht bis in die Sprache hinein, in der dauernd Dinge „relativ“ oder „ziemlich“ oder „fast“ irgendwas sind, und die immer ein bisschen aufgesetzt und künstlich wirkt. Da heißen die SMS dann schon mal Short Message oder Kurznachricht, der Fernseher wird zum TV-Gerät, immer alles ein bisschen unecht.
Es gipfelt schließlich in einem Satz, mit dem Wim seine Mutter beschreibt: „Meine Mutter wird immer ehrlich zu sich selbst sein, denke ich, sie wird sich einfach für immer etwas vormachen.“ Dieser Satz beschreibt ebensogut den Erzähler selbst (hier, ehrliches Sichwasvormachen: „Ich umarme ihn auf meine neue, herzliche Art“) und das ganze CobyCounty – und wenn man es weiterdenkt, trifft es wahrscheinlich sogar in echt auf die meisten Menschen zu, wir sind doch irgendwie alle immer ehrlich zu uns selbst und machen uns immer etwas vor. Was jetzt nach viel schwererem Tobak klingt als das Buch vielleicht ist, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht kommt es nur so leicht daher. Huiuiui. Beeindruckendes Buch, und auf jeden Fall eine Leseempfehlung.
Und was Anke sagt: irre gutes Cover. Eine silbern schimmernde Fläche und silbern schimmernde, geprägte Buchstaben. Alles so schön clean hier.
Leif Randt bekommt einen Regalplatz zwischen zwei Lieblingsautoren: Tilman Rammstedt und Elisabeth Rank.
Leif Randt: Schimmernder Dunst über CobyCounty. Berlin Verlag, 191 Seiten. 18,90 €.
E-Book 17,99 €.
UPDATE: Ha! Leif Randt bekommt den Düsseldorfer Literaturpreis. Herzlichen Glückwunsch!
Uschi aus Aachen Montag, 12. März 2012 um 07:45 Uhr [Link]
Warum das jetzt aber eine Empfehlung ist, habe ich gerade irgendwie fast gar nicht verstanden…
Isabel Bogdan Montag, 12. März 2012 um 09:54 Uhr [Link]
Oh. Hm, wahrscheinlich habe ich schon geahnt, dass es nicht zwangsläufig so ankommt, und es deswegen dazugeschrieben. Aber „eigenartig“ und „unangenehm“ muss für mich bei Büchern nichts Schlechtes sein. Mit „eigenartig“ meine ich nur, dass es eben etwas sehr eigenes hat, das es von anderen Büchern unterscheidet.
Neulich habe ich hier kurz Werbung für ein von mir übersetztes Buch gemacht, das gerade erschienen ist: Das Ende der Unschuld von Megan Abbott. Das ist auch ein unangenehmes Buch. Ich habe gar nichts selbst dazu geschrieben, nur den Klappentext ins Blog kopiert, denn da ist mir beim Übersetzen etwas Merkwürdiges passiert: ich wusste hinterher gar nicht mehr, ob es gut-unangenehm ist oder schlecht-unangenehm. Bislang sind alle Leser begeistert, es wird mit Eugenides‘ „Selbstmordschwestern“ verglichen, und das finde ich auf jeden Fall gut-unangenehm. Scheint also bei Megan Abbott auch so zu sein. Wahrscheinlich war ich beim Übersetzen zu nah dran und habe einfach die Distanz verloren.
Jedenfalls: Wenn Du das Randt-Buchcover anklickst, kommst Du zu den Rezensionen beim Perlentaucher. Vielleicht ergeben die noch ein klareres Bild.
fzerozero Montag, 12. März 2012 um 12:42 Uhr [Link]
Ich habe das Buch im letzten Herbst gelesen und empfehle es ebenfalls.
Für mich funktioniert der Roman als Dystopie, als gesellschaftlicher Spiegel, als intellektuelles Spiel, als Entwicklungsentwurf unserer Jugend- und Kindergeneration.
Mit Figuren, die als vollkommen ironieerfüllte, distanzierte, egozentrierte Wahrnehmungsapparate durch ein durchgestyltes, apple-artiges Setting laufen. Und wenn sie aufeinanderknallen, dann macht es nichts, als leise „pling“. Dementsprechend habe ich CobyCounty eher mit dem Kopf, als mit dem Herzen gelesen. Anstrengende, interessante Lektüre.
Isabel Bogdan Montag, 12. März 2012 um 17:37 Uhr [Link]
Ja, danke, so treffend hätte ich es nicht formuliert bekommen. Aber genau so isses.