Das Klavier (4)

(Hier ist Teil 1, hier Teil 2, und hier Teil 3.)

Nach ein paar Nachrichten und Telefonaten in verschiedene Richtungen und etwas Hin und Her wird das Klavier schließlich abgeholt. Ich kann nicht mal zum Abschied ein paar Töne drauf klimpern, denn die Mechanik ist ja schon ausgebaut. Es kommen also zwei vergnügte starke Männer und nehmen mein Klavier einfach mit. Mit so einem Spezial-Rollwagen die Treppe runter, ich gucke vorsichtshalber nicht hin, weil ich Angst habe, es rutscht ihnen weg. Als sie unten angekommen sind, gehe ich mit dem Klavierhocker und den Glasuntersetzern, auf denen es gestanden hat, hinterher, denn das sollen sie natürlich alles mitnehmen.

Und dann wird es auf dem LKW festgezurrt, und ich verdrücke ein kleines Tränchen, denn natürlich schmerzt es jetzt doch ein bisschen, dieses wirklich sehr schöne Stück herzugeben. Aber es ist einfach zu schade, wenn es nur herumsteht und nichts weiter tut als gut auszusehen. Und jetzt habe ich kein Klavier mehr.

Ich schicke K. die Fotos von der Abholaktion, und nicht viel später kommen Fotos von ihr zurück, von meinem Klavier in ihrem Wohnzimmer.
Die Mechanik war längst fertig überarbeitet und wurde drei Tage später bei K. wieder eingebaut. Inzwischen weiß sie auch, dass ich mir wünsche, es mal zu besuchen, es zu hören und zu sehen, und sie sagt, das ist natürlich überhaupt kein Problem, klar können wir mal gucken kommen. Einmal muss es noch nachgestimmt werden. Ich hoffe, es macht sie glücklich.

Statt des Klaviers ist in unserem Wohnzimmer jetzt irgendwie ein Loch. Und immer, wenn ich die leere Wand sehe, kommt mir Element of Crime in den Sinn:

Das Klavier, auf dem du nicht spielen kannst,
Der Abwasch, den du immer verschiebst,
Und die Schokolade, die du in Krankenhausmengen verbrauchst,
Das alles kommt mit
Und ich auch.

2 Kommentare

  1. Christiane Montag, 4. August 2025 um 22:45 Uhr [Link]

    Liebe Isa,
    eigentlich wollte ich Dir eine Mail schreiben, finde die Adresse aber nicht mehr im VdÜ-Verzeichnis, in dem ich auch nicht mehr stehe. Anrufen wollte ich um diese Uhrzeit nicht, ohnehin bist Du wohl auch gerade wieder auf Helgoland?
    Die Klaviergeschichte weckte Kindheitserinnerungen. Ich war etwa 11, als meine Tante und mein Onkel mich mit einem sehr schönen schwarzen Klavier aus zweiter Hand beschenkten. Sie kauften es in Bochum und schickten es zu mir nach Bielefeld. Meiner Mutter war es ein Dorn im Auge, da viel zu groß für die kleine Wohnung. Fortan kam ein Mal die Woche ein 76-jähriger Klavierlehrer ins Haus und traktierte mich eher weniger mit Tonleitern als mit einem Querschnitt durch die Musikgeschichte. Zum Üben hatte ich nicht so viel Lust, nutzte ich doch jede freie (und unfreie nachts unter der Bettdecke) zum Lesen. Als ich später in die große weite Welt zog, verkauften meine Eltern das gute Stück und empfahlen mir die Anschaffung eines kleineren Exemplars. Das habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit getan und mir ein Rollpiano gekauft, wirklich sehr platzsparend. Das hatte ich ja schon fast vergessen – jetzt müsste ich nur mal wieder üben, obwohl ich doch nach wie vor viiiiiiiel lieber lese. Suum cuique. Übrigens wäre der Grund meines Anrufs der Film „Und dann kam Dad“ gewesen. Kennst Du ihn? Ich musste unwillkürlich an Dich denken, als Robert de Niro den ahnungslosen Mayflower-Nachkommen das köstliche sizilianische Mahl servierte. Passt jetzt eigentlich nicht zum Klavier-Artikel, aber sei’s drum!

    Ein Klavier, ein Klavier!
    Christiane

    P. S.: In unserem Haus hatte jemand aus dem 4. Stock einen Flügel gekauft. Wie freuten sich die Transporteure, als sie den Personenlift erblickten. Sie schoben das Ding passgenau hinein, aber es war so schwer, dass sich der Lift nicht rührte. Was haben die Leute geflucht.

  2. Isabel Bogdan Dienstag, 5. August 2025 um 09:05 Uhr [Link]

    Liebe Christiane, huch, tatsächlich finde ich mich auch nicht im Ü-Verzeichnis! Was ist denn da los? Mitglied bin ich noch, auch wenn ich schon eine Weile nichts mehr übersetzt habe. Muss ich mal erfragen, ob man da irgendetwas hätte machen müssen. Den Film kenne ich nicht, danach gucke ich mal! (Und nee, ich bin nicht auf Helgoland, sondern gerade in Frankreich, wo es total herrlich ist. Jetzt ab in die Seine!)

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