Serie: Downton Abbey
Noch ein berühmtes erstes Mal: Ich habe eine Serie geguckt. Am Stück, auf DVD, Folge um Folge, Staffel um Staffel. Die erste Staffel habe ich zu Weihnachten bekommen, und danach sofort alle weiteren ausgeliehen und am Stück inhaliert, sechs komplette Staffeln in vier Wochen. Sen-sa-tio-nell.
Wir befinden uns auf dem hochherrschaftlichen Adelssitz Downton Abbey. Hier lebt Lord Grantham mit seiner Frau, Lady Cora, einer Amerikanerin, und den drei erwachsenen Töchtern Mary, Edith und Sybil. Dummerweise ist der Besitz an den Titel gekoppelt, und der Titel kann nur an einen Mann weitervererbt werden. Der Erbe ist ein Cousin namens Patrick, und damit das Anwesen in der Familie bleibt, ist Mary, die älteste Tochter, mit ihm verlobt. Sie liebt ihn allerdings nicht besonders, im Gegensatz zu ihrer Schwester Edith. Ist aber auch egal, denn die Serie beginnt 1912, und Patrick befindet sich dummerweise auf der Titanic und fällt folglich gleich mal aus. Der nächste in der Erbfolge ist der bürgerliche Matthew Crawley, ein Rechtsanwalt. Ein Mann mit einem BE-RUF! Schockschwerenot. Das gehört sich ja nun wirklich nicht, ist aber nicht zu ändern.
Was sich gehört, ist überhaupt das Hauptthema der ganzen Serie. Und wie es sich verändert. Wir haben einen ganzen Keller voller Dienstboten und eine sehr fein ausdefinierte Hierarchie unter den Dienern. Butler, Hausdame, Kammerdiener und –zofen, erster Diener, zweiter Diener, einfache Diener, Laufburschen, Chauffeur, Köchin, Küchenmädchen, und so weiter. Selbstverständlich stehen alle Diener beim Essen auf, wenn der Butler Mr. Carson zwischendurch aufsteht oder hereinkommt. Auch sonst stehen selbstverständlich alle Herren auf, wenn eine Dame den Raum betritt oder sich vom Tisch erhebt. Ebenso selbstverständlich zieht man sich zum Essen um.
Nur Matthew Crawley weiß das alles natürlich erstmal nur so halb. Der Bürgerliche. Er zieht mit seiner Mutter ins Dorf und muss das erstmal alles lernen, ist aber selbst nicht sicher, ob er das überhaupt will. Im Dorf leben auch die alte Dowager Countess Grantham, der unangefochtene Star der ganzen Serie (Maggie Smith!).
Und dann geht es los mit Intrigen und Missverständnissen, mit Verliebtheiten und Krankheiten, mit Glück und Pech, mit Schicksalen und Dummheiten und dem Leben. Oben bei den Herrschaften wie auch unten bei den Dienern, und Donnerwetter! sogar zwischen oben und unten. Von 1914 bis 1918 ist bekanntermaßen Krieg, der natürlich auch an Downton nicht spurlos vorübergeht. Und nach dem Krieg werden die Kleider immer noch schöner.
Man könnte sich jetzt fragen, warum man sich das angucken soll, das klingt ja alles ein bisschen nach Historien-Groschenroman. Ist es irgendwie auch, wenn man nur die Storylines betrachtet. Aber.
Die Kleider. Die KLEIDER! *atmet ein paarmal in eine Tüte*
Danke, geht wieder. Das Tolle an der Serie (außer den Kleidern, habe ich die Kleider schon erwähnt?) sind eigentlich drei Dinge: Zum einen sind wirklich alle Rollen perfekt besetzt. Alle. Unfassbar. Sämtliche Darsteller spielen wahnsinnig gut und sind wie für die jeweilige Rolle gemacht, als hätte man sie ihnen auf den Leib geschrieben. Sensationell, wirklich.
Zweitens ist die Entwicklung der Figuren hervorragend angelegt. Manche entwickeln sich mehr, andere weniger, wie im wirklichen Leben; plausibel ist es in allen Fällen. Lady Edith zum Beispiel, die am Anfang ein bisschen das hässliche Entlein unter den Schwestern ist, nicht gerade vom Glück verwöhnt und ein wenig dauerbeleidigt vom Leben. Wie sie das nach und nach aufbricht und an Selbstbewusstsein gewinnt, ohne eine komplette Wendung zu vollziehen, ist großartig. Oder Carson, der einfach so ist, wie er ist, und da ändert sich auch nicht groß was. Und natürlich sowieso der Hammer: Die alte Lady, die nach außen hin immer biestig und pikiert ist und so unfassbar die Nase rümpfen kann, und die einen dann aber doch immer wieder mit Warmherzigkeit und Bodenständigkeit überrascht. Ich bin in alle verliebt.
Und dann fangen irgendwann die ersten an, einem auf die Nerven zu gehen, und auch das ist ganz groß. Diese unerträgliche, dackelblickhafte Über-Anständigkeit von … ach, ich will nicht spoilern. Oder dieses sanftmütig-dümmliche Dauerlächeln mit schiefgelegtem Kopf. Waahh! Großartig.
Und überhaupt: Lady Sybil. Ach, Sybil! Und Tom. Und Mrs Patmore. Und Mrs Hughes. Und alle. Toll.
Und drittens schließlich: Die Dialoge. Vor allem die mit der alten Lady. Sie kann so unfassbar bissig sein. Und das mit einer so gepflegten Ausdrucksweise und einer Contenance, dass man zu dem Schluss kommen muss, dass das eigentlich das einzig vernünftige Streiten ist, weil es in einer solchen Höflichkeit unverschämt ist, dass man hinterher einfach mit der normalen Höflichkeit weitermachen kann, aber nicht so viel Geschirr zerschlagen ist. Oder halt auch doch. Großartig, ganz großartig, das alles. Und natürlich die Kleider.
Die Kleider! Und die ganze Ausstattung. Die Autos! Das Geschirr! Die Dienstbotenklingeln! Die Höflichkeit, die Contenance, das ganze Unausgesprochene. Und oh, das Drama. Herrlich. Schade, dass es vorbei ist, ich hätte glatt noch weitergeguckt.
„Second thoughts are vastly overrated.“ (Lady Grantham)
kaltmamsell Montag, 1. Februar 2016 um 16:42 Uhr [Link]
Und die Kleider erst!
Was dich vielleicht interessieren könnte: Ein Podcast über sprachliche Anachronismen in Downton Abbey (u.a.).
http://www.slate.com/articles/podcasts/lexicon_valley/2012/06/lexicon_valley_anachronisms_in_mad_men_downton_abbey_and_edith_wharton_.html
Lena Montag, 1. Februar 2016 um 17:04 Uhr [Link]
Sehr schön beschrieben und rezensiert. Wenn ich die Serie nicht sowieso schon lieben würde, käme sie jetzt auf meine große „Serien-die-ich-noch-gucken-will“-Liste :)
Lisa Montag, 1. Februar 2016 um 17:27 Uhr [Link]
man kann das später einfach auch noch mal gucken. kann ich nur empfehlen! und ja, die dialoge, die dialoge!
Frank Montag, 1. Februar 2016 um 18:29 Uhr [Link]
Warum ist diese Serie so gelobt und in aller Munde? Könnte man sich stattdessen auch „Das Haus am Eaton Place“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Haus_am_Eaton_Place) anschauen?
Isabel Bogdan Montag, 1. Februar 2016 um 18:39 Uhr [Link]
Ja, das kann man wahrscheinlich. Man kann auch ein sehr dickes Buch lesen oder ganz viele Kekse essen. (Ich kenne das Haus am Eaton Place nicht und habe keine Ahnung, ob ich es vergleichbar gut fände.)
Jon Dienstag, 2. Februar 2016 um 15:56 Uhr [Link]
Sie! kennen! Das! Haus! am! Eaton! Place! nicht!? Schock! Ein Klassiker aus den 70ern.
Im Original heißt es Upstairs Downstairs. Upstairs die Herrschaft, Downstairs die Dienerschaft, darunter Gordon Jackson als Buttler Hudson.
Natürlich geht im Verlauf der Serie ein Teil der Herrschaftsfamilie mit der Titanic unter. Woher die Downtown Abbey Schreiber wohl auf die Idee mit der Titanic gekommen sind … oder dem Herrschaft – Dienerschaft Konstrukt? Die Sache mit dem Chauffeur, die Kriegszeit, …?
Isabel Bogdan Dienstag, 2. Februar 2016 um 16:22 Uhr [Link]
Ja. Es ist schon mein Ernst, wenn ich sage, dass ich nix kenne.
ferdi Dienstag, 2. Februar 2016 um 16:29 Uhr [Link]
„Unskinkable“ war die Titanic in der Tat auch nicht.
Sandra Dirks Dienstag, 2. Februar 2016 um 23:09 Uhr [Link]
Oha, Isabel,
es fällt so schwer stark zu bleiben, wenn ich Deinen genialen Beitrag lese, aber ich WILL die Serie im ZDF oder auf ZDFneo schauen. Die sollen sich verdammt noch mal beeilen. Da wir keinen DVD-Player mehr am TV haben, nur ein Laufwerk für den PC im Schrank, will ich eben den vollen Komfort auf dem Sofa vor dem TV *stampftmitdemFußauf* Sach bloß nicht wie es endet! :-)
Liebe Grüße
Sandra
lihabiboun Mittwoch, 3. Februar 2016 um 11:06 Uhr [Link]
Oh my dear – Sie wußten gar nicht, daß diese Serie 120% süchtig macht? Nein? Na, dann wissen Sie es ja jetzt. //Geht ab, mit dem Gedanken spielend, sich eine Woche Urlaub zu nehmen, um sich alle Folgen nochmal reinpfeifen zu können//
:o)
LiFe Donnerstag, 4. Februar 2016 um 21:59 Uhr [Link]
mal ganz nebenbei: die BBC Serie „All creatures great and small“ war auch nicht schlecht….oder? Waren auch herrliche Dialoge.
Uschi aus Aachen Sonntag, 7. Februar 2016 um 17:28 Uhr [Link]
Hier guckt der Gatte noch lieber als ich selbst „Downton Abbey“ – wegen ALLEM, was da oben so schön beschrieben ist. Und ich persönlich finde, „Das Haus am Eaton Place“ ließ vergleichsweise an Pracht und Epos vermissen…