Übersetzerschelte. Eine Antwort
Oh, super, da hat mal wieder jemand die 10 nervigsten Patzer bei Buchübersetzungen zusammengestellt. Nämlich Jens Baumeister für lesen.net.
Es liegt vielleicht in der Natur der Dinge, dass ich solche Rundumschläge meist irgendwie wohlfeil finde. Und logischerweise kommen sofort die Kommentatoren, die reflexhaft sagen, deswegen läsen sie nur noch im Original, oder wahlweise einen Übersetzungsfehler beitragen, den sie selbst mal gefunden haben. Schönes Erfolgserlebnis, sei Euch gegönnt. Entschuldigung, wenn ich hier schnippisch werde, aber es ist alles so wahnsinnig vorhersehbar.
Trotzdem will ich kurz auf einige Punkte eingehen. Um von vorne anzufangen, da steht in der Vorrede:
[Übersetzungen] sind niemals ideal, denn immer schiebt sich mit dem Übersetzer eine weitere Person zwischen Autor und Leser, und immer gehen dabei ein paar Nuancen des Originals verloren. Selbst die besten Übersetzer können das nicht vermeiden.
Natürlich gehen immer ein paar Nuancen des Originals verloren. Dafür kommen neue dazu, die es in der Originalsprache nicht gab. Das Buch verändert sich also ein wenig – aber „anders“ ist ja nicht zwangsläufig schlechter. Die erwähnten „besten Übersetzer“ zum Beispiel beheben eine ganze Menge Fehler, die im Original übersehen wurden. Gerade in den USA wird anscheinend kaum noch lektoriert, das übernimmt der deutsche Übersetzer dann gleich mit.
Bei denen, die immer gleich sagen, dass sie „nur noch im Original“ (also: Englisch, meistens) lesen, habe ich übrigens einen pauschalen Zweifel, ob sie die sprachliche Qualität des Originals wirklich beurteilen können. Ich vermute eher, dass Autoren generell für große Künstler gehalten werden und man daher annimmt, im Original müsse alles gut, wahr und schön sein. Übersetzer hingegen hält man eher für mittelmäßige Handwerker, die die Kunst dann kaputtmachen. So isses aber nicht. Here is some breaking news: Autoren sind auch Menschen. Übersetzer auch.
Kommen wir zu den 10 konkreten „nervigsten Patzern“, die in dem Text aufgelistet sind:
10. „Übereifer“
Es geht hier gar nicht um Übereifer, sondern um die Übersetzung sprechender Namen. Das ist ein sehr schwieriges Thema, die Frage muss immer wieder neu entschieden werden, bei jedem Buch, teilweise sogar bei jedem Namen innerhalb eines Buches. Ich habe nie Fantasy oder sowas übersetzt; wenn es in meinen Büchern sprechende Namen gab, blieben sie immer im Original stehen, weil es eben Namen waren. Aber bei Fantasy ist das was anderes – wenn es um Kinderbücher geht, wird man sie eher übersetzen, bei Erwachsenenbüchern kommt es immer drauf an. Worauf? Auf tausenderlei Überlegungen, auf Wenns und Abers und persönliche Vorlieben der Übersetzerin oder des Lektors, auf … ich weiß es nicht, nicht mein Genre. Aber ich würde mal davon ausgehen, dass in den allermeisten Fällen sich mehr als eine Person den Kopf darüber zerbrochen hat, was denn nun die beste Lösung ist. Was auch immer am Ende entschieden wurde: irgendwer wird die Entscheidung falsch finden und dafür auch gute Gründe haben.
9. „Unnötige Kreativität“
Auch hier geht es gar nicht um unnötige Kreativität. Es geht um einen Einzelfall, in dem der Name des Protagonisten von Bourne zu Borowski geändert wurde. „Rätselhaft“ sei das, heißt es im Artikel – ich würde vorschlagen, dann einfach mal beim Verlag oder Übersetzer nachzufragen, was denn der Grund war. Niemand ändert einen Protagonistennamen deswegen, weil er „unnötig kreativ“ ist. Es wird schon einen Grund gegeben haben.
Michel aus Lönneberga heißt auf Schwedisch übrigens Emil. Der Name Emil war in Deutschland in Kinderbüchern aber sozusagen schon besetzt. Das ist weder ein nerviger Patzer, noch unnötige Kreativität, sondern eine bewusste und sicher nicht einfache Entscheidung. An der mit Sicherheit mehr als eine Person beteiligt war. Und eine, über die man diskutieren kann, klar.
Dass man „Rama“ erstmal nicht im Titel haben wollte, finde ich herzlich wenig rätselhaft. Das brauche ich euch wohl nicht noch aufs Butterbrot zu schmieren.
8. Wortspielverderber
Ja, Wortspiele sind manchmal nicht übersetzbar, ja, da ist manchmal Schwund. Ein guter Übersetzer wird für ein gestrichenes Wortspiel irgendwo anders eins einbauen, wo es auf Deutsch hinpasst, aber im Original vielleicht nicht steht.
Als Beispiel wird hier ein Buchtitel angeführt. Titel werden in der Marketingabteilung gemacht. Ich bin nicht immer sicher, ob die Marketingabteilung das Buch überhaupt gelesen hat, der Übersetzer jedenfalls hat wenig bis gar keinen Einfluss, schon gar nicht in den genannten Genres. Bei der Neuübersetzung von Klassikern – etwa, wenn „Schuld und Sühne“ dann plötzlich „Verbrechen und Strafe“ heißt – kann sich die Übersetzerin mal durchsetzen. Aber das sind eher Einzelfälle.
7. Falsche Freunde
Sind wir alle schon mal drauf reingefallen. Manchmal ist irre viel Zeitdruck, da passiert sowas schon mal. Das sollte es nicht, es ist superärgerlich. Geschenkt.
Passiert aber sogar „den ganz Großen des Fachs“, heißt es im Artikel, namentlich Harry Rowohlt. Hier noch mal zum Mitschreiben: Harry Rowohlt ist nur deswegen einer der ganz Großen bzw. der ganz Große, weil er eine lustige Kolumne schreibt und eine lustige Rolle in der Lindenstraße hat und lustige Lesungen macht. Anders gesagt: weil er schon anderweitig einen gewissen Ruhm hat, und nicht deswegen, weil er so viel besser übersetzen würde als andere. Er mag ein guter Übersetzer sein (ich weiß das nicht mal wirklich; ein paar Bemerkungen von ihm fand ich diskutabel, aber egal), aber es gibt da draußen einen Haufen andere Kollegen, die das mindestens ebenso gut machen. Ich ahne, dass die meisten Leute, die so überzeugt behaupten, Harry Rowohlt sei der Beste, nicht besonders viele weitere Übersetzernamen nennen könnten.
6. Genre-Anbiederung
Da geht es schon wieder um Titel, siehe oben. Macht die Marketingabteilung. Und ja, die möchte, dass man bestimmte Genres sofort erkennt, damit sie von den richtigen Leuten gekauft werden. Vgl. auch die Covergestaltung von Nackenbeißern oder Chick-Lit.
5. Markenbildung
Hier geht es überraschenderweise mal um Titel.
4. Übertriebene Hektik
Da musste ein Übersetzer aus einer Rohfassung übersetzen. Das kommt in der Tat vor und ist in der Tat sensationell beknackt. Wie überhaupt die Eile der deutschen Verlage, bestimmte Übersetzungen möglichst noch gestern zu veröffentlichen, gelegentlich ein wenig hysterisch anmutet. Stimmt. Und dass das zu Lasten der Übersetzungsqualität geht, stimmt auch. Das ist aber ein organisatorisches Problem.
3. Mangelnde Sachkenntnis
Klar. Wir recherchieren natürlich, wir haben auch das Gefühl, wirklich *alles* recherchiert zu haben, und dann hat man doch was übersehen. Auch hier gilt, wie bei den falschen Freunden: kann passieren, soll aber nicht. Lässt sich nicht immer vermeiden, ist aber peinlich.
2. Missverstandene Anspielungen
Ja, genau, das fällt ebenfalls unter mangelnde Sachkenntnis. Hängt natürlich damit zusammen, dass der Übersetzer eben nicht exakt denselben Wissensstand hat wie die Autorin. Ein lautes Hurra auf das Internet – ich kann mir kaum vorstellen, wie Leute übersetzt haben, als sie für jeden Pups in die Bibliothek mussten. Wir haben jetzt wunderbare Möglichkeiten. Und nutzen die im Allgemeinen auch. Dass man mal nicht merkt, das irgendetwas eine Anspielung ist: passiert. Siehe oben, kann passieren, soll aber nicht.
1. Fehlgeschlagenes Gedankenlesen
Oh, da geht es um Titel.
Wir halten fest: bereinigt von Beispielen und Redundanzen und den leidigen Titeln sind die „nervigsten Patzer“ bei Buchübersetzungen also folgende:
- Wortspiele
- Falsche Freunde
- Mangelnde Sachkenntnis
Da möchte ich doch glatt kurz den Loriot machen: „Ach was.“
Jenny Freitag, 16. Mai 2014 um 07:50 Uhr [Link]
Und vor allem: Wenn man sich mal deine „Zusammenfassung“ ansieht, muss ich noch hinzufügen – das passiert den Autor*innen genauso oft. Klar, mit falschen Freunden oder Wortspielen hat ein*e Muttersprachler*in keine Probleme, aber wie oft berichtigen wir als Übersetzer*innen die SACHfehler des Originals? Das fängt an mit so winzigen Details wie Leuten, die sich aufs Bett setzen, sich mit jemandem unterhalten und sich dann während der Unterhaltung aufs Bett setzen. Ach nee, die saßen ja schon. Gut, wenn der*die Übersetzer*in aufgepasst hat und das ändert. Und geht weiter mit dem Erwähnen von „XYZ, der größten Schmetterlingsart der Welt … “ – kurz nachgeschlagen: stimmt nicht, ist die drittgrößte, bis hin zu Entfernungen (sind es zwischen Hamburg und Stockholm wirklich nur 600km mit dem Auto? Kurz nachgeschlagen: Nee, eher 1000.) oder auch realen Möglichkeiten – kann ich von der „spanischen Hafenstadt Albacete“ überhaupt rüber nach Marokko sehen? Wäre zumindest ein ehrgeiziges Unterfangen, Albacete liegt nämlich 350km landeinwärts, vielleicht war ja Almería gemeint, das wäre eine Hafenstadt und sie fängt auch mit A an… Alles tatsächliche Beispiele, und das sind nur die Sachen, die mir spontan einfallen.
Wer sagt: Ich lese lieber das Original, weil ich da zu der Geschichte noch den Genuss der Fremdsprache habe, dem sage ich: Kann ich verstehen, mache ich auch gern. Wer aber sagt: Ich lese lieber das Original, da sind keine Fehler drin, dem sage ich: Haha. Und wer meint, sich über Leute erheben zu müssen, die Fehler machen, mit dem rede ich gar nicht erst.
Dentaku Freitag, 16. Mai 2014 um 09:38 Uhr [Link]
Das ist interessant. Was macht ihr denn mit solchen Sachfehlern in der Übersetzung? Werden die behutsam geradegebogen oder genau so falsch übersetzt (weil: steht ja so auch im Original)?
Isabel Bogdan Freitag, 16. Mai 2014 um 09:48 Uhr [Link]
Die werden geradegebogen. Normalerweise sind das auch solche Kleinigkeiten wie Jenny erzählt, dass sich jemand zweimal aufs Bett setzt oder so. Das lässt man dann einfach einmal weg.
Ansonsten kann man manchmal natürlich auch den Autor fragen, ob der Mörder nun einen braunen oder blauen Hut aufhat.
Einmal hatte ich den Fall, dass die Protagonistin Nachrichtensprecherin war, ihre Sendung kam immer mittwochs. Das war ihr Glück, denn so war sie im Studio (in den USA), als in Berlin die Mauer fiel und hat die Korrespondenten am Telefon moderiert usw. und wurde berühmt. Nur dass die Mauer an einem
FreitagDonnerstag Abend fiel (Danke, Elinor! Da hab ihc doch glatt mein eigenes Rechercheergebnis falsch im Kopf), das kommt auch mit Zeitverschiebung und etwas Großzügigkeit nicht hin.Ich habe im Verlag nachgefragt, was ich machen soll, denn dass ihre Sendung immer mittwochs war, zog sich durchs ganze Buch.
Ergebnis: Ich übersetzte (wie Jens es auch in seinem Artikel schreibt), aus einer Rohfassung. Auf Nachfrage der deutschen Lektorin beim amerikanischen Verlag hieß es dann, ich solle sofort den Stift fallen lassen, es würde alles nochmal überarbeitet, ganze Handlungsstränge neu angelegt, und das endgültige Manuskript käme in ca. sechs Wochen.
Es kam nach sechs Monaten. Da hatte ich gerade überhaupt keine Zeit, weil ich an etwas anderem saß. Das Buch wurde dann von jemand anderem übersetzt, ich weiß gar nicht, ob sie das mit dem Wochentag noch geändert haben.
Also: Flüchtigkeitsfehler korrigieren wir stillschweigend. Größere Sachen, die das ganze Buch betreffen: schwierig. Da sprechen wir mit dem Lektorat und/oder der Autorin.
Wolfgang Herrndorf schrieb mal, es gibt Fehler, die sind egal, und andere, die sind nicht egal. Wenn er schreibt, am Mittwoch, dem 5. Juli 1953 hat es fürchterlich geregnet, in Wahrheit war aber schönes Wetter, dann ist das egal und im Rahmen der künstlerischen Freiheit kann man es machen. Wenn der 5. Juli 1953 aber gar kein Mittwoch war: das geht nicht, das ist dann einfach falsch.
Wo genau jetzt die Grenze zwischen okayen und nichtokayen Fehlern verläuft, ist dann wieder schwierig und Ermessenssache und eine Frage des Einzelfalls.
Annika Freitag, 16. Mai 2014 um 08:10 Uhr [Link]
Sehr guter Beitrag.
Ich muss ja gestehen, dass ich früher auch oft schimpfte, wenn etwas meiner Ansicht nach falsch übersetzt war. Aber dann arbeitete ich selbst eine Weile als Übersetzerin und habe seitdem einen Heidenrespekt vor Literaturübersetzern. Ich habe nur Technische Dokumentation übersetzt, also ausschließlich mein Fachgebiet, und war dabei auch oft recht kreativ, habe also einiges für den deutschen Markt angepasst. In meinem Fach lokalisiert man in der Regel ohnehin fast mehr, als man tatsächlich übersetzt.
Literaturübersetzung stelle ich mir spätestens seit dieser Zeit wahnsinnig schwierig vor. Oft kommt es vor, dass ich etwas auf Englisch lese oder auch in einer Serie höre und ewig darüber nachdenke, wie man das denn nun übersetzen kann. Meistens ohne Ergebnis. Natürlich fehlen mir die Fachkenntnisse eines Übersetzers, schließlich habe ich das Fach nicht studiert. Aber genau das ist der Knackpunkt: Die allermeisten Kritiker haben es nicht studiert und sich außerdem vermutlich selbst noch nie an einer Übersetzung versucht, können also nur schlecht nachvollziehen, wie schwierig das eigentlich ist.
Übersetzungen von Eigennamen, wie es bei Games of Thrones der Fall ist, stören mich oft auch, aber das ist in erster Linie Geschmackssache. Und für Menschen, die kein Englisch sprechen, sind solche Übersetzungen schon sinnvoll. Ich erinnere mich auch noch, dass sich viele Leute bei Harry Potter über die Übersetzung von Hermine Granger (im Original Hermione Granger) aufgeregt hatten, diese Eindeutschung fand ich aber sehr sinnvoll. Hermione klingt nunmal bescheuert, wenn man es auf deutsch aussprechen will, und genau das würden sehr viele Leser automatisch tun.
Florian Freitag, 16. Mai 2014 um 20:39 Uhr [Link]
Und im Englischen klingt Hermione nicht auch bescheuert? Hermine ist ein altmodischer, aber noch halbwegs verständlicher Name, das ist Hermione eben nicht (und ist das nicht auch aus Shakespeare?).
Jens Baumeister Freitag, 16. Mai 2014 um 08:44 Uhr [Link]
Hallo, tut mir leid, wenn der Artikel als Übersetzerschelte ankam – so war er nicht gemeint. Vor allem als „mäßige Handwerker“ würde ich Übersetzer nie bezeichnen. Im Gegenteil – es ist m.E. anspruchsvoller, einen Text zu übersetzen, als einen eigenen zu schreiben. Schließlich muss man gutes Sprachgefühl für zwei Sprachen haben und auch noch die Intention eines anderen Autors verstehen. Ob der von mir als Positivbeispiel erwähnte Harry Rowohlt nun wirklich so viel toller ist als andere, kann man sicher diskutieren. Er hat sich einen Namen erarbeitet – aber ob das an außergewöhnlicher Qualität liegt oder an gutem Selbst-Marketing kann ich tatsächlich nicht beurteilen.
Apropos Marketing: Natürlich hast Du Recht, dass Titel vom Marketing entschieden werden. Für mich als Leser kommen sie als Teil „der Übersetzung“ (sprich: der deutschen Fassung) daher, aber Arbeit des Übersetzers sind sie nicht. Beim Markenbildungs-Teil hatte ich darum ja explizit dem Verlag den Schwarzen Peter zugeschoben.
Dass der Text für erfahrene Übersetzer keine großen Neuigkeiten bereit hält, war mir klar – aber, wie gesagt, als Schelte war er nicht gedacht. Sorry, wenn es so herüber kam.
Isabel Bogdan Freitag, 16. Mai 2014 um 10:13 Uhr [Link]
Vielen Dank für die schnelle Reaktion! Ich habe natürlich auch ein bisschen schnippisch reagiert und es überspitzt – Entschuldigung, die Reflexe.
Christoph Freitag, 16. Mai 2014 um 09:19 Uhr [Link]
Herrlich.
Ich bin Laie auf dem Gebiet der Übersetzung (habe manchmal Probleme, meine eigenen Schriftsätze zu verstehen), finde die Diskussion um richtig oder falsch aber herrlich.
Fehler passieren, keine Frage. Nur, ist es immer ein Fehler?
Da haben wir Juristen es leichter. Entweder bin ich Richter und darf entscheiden. Oder ich bin Anwalt, und wenn es schief geht, ist der Richter schuld (wenn es gut geht, ist es allein mein Verdienst). Ich habe als Jurist leider nicht gelernt, mit Sprache umzugehen. Großes Manko, denn Sprache ist Hauptwerkzeug der Juristen. Was ich gelernt habe ist, daß Sprache interpretiert wird. Ist halt nicht Mathe.
Es wird immer jemanden geben, der es anders interpretiert als ich es gemeint habe.
Und der größte Kritiker ist nur deshalb Kritiker geworden, weil er selber es nicht besser kann.
Isabel Bogdan Freitag, 16. Mai 2014 um 10:05 Uhr [Link]
Ja, mit „richtig“ und „falsch“ kommt man auch beim Übersetzern sehr oft nicht weiter. Es gibt natürlich echte Fehler. Natürlich ist Steve Jobs nicht mit Silikon reich geworden. Und eine Englische „billion“ ist keine deutsche Billion, sondern eine Milliarde.
Bei anderen Dingen ist es nicht so einfach. Zum Beispiel kann „falsches“ Deutsch in der wörtlichen Rede die einzig richtige Übersetzung sein, weil Menschen eben nicht immer „richtig“ sprechen. Zum Übersetzen von Dialekt oder sehr einfacher Umgangssprache kann man herrlich irgendwelche grammatikalischen Besonderheiten einbauen, die nicht „korrekt“ sind, aber eben gut funktionieren. (Mir macht das ja am meisten Spaß. Wenn ich jemanden dauernd „wie“ statt „als“ sagen lasse oder so.)
Da geht es dann mehr um ein Gespür für Sprache und Tonlage und was im Moment angemessen ist, nicht so sehr um „richtig“ und „falsch“.
Christoph Freitag, 16. Mai 2014 um 11:10 Uhr [Link]
Richtig heißt es „als wie“.
Zumindest vor den Toren Kölns.
Aber das weißt Du ja ;-)
Jenny Freitag, 16. Mai 2014 um 10:20 Uhr [Link]
Die Frage „okay oder nicht okay“, also „so lassen oder ändern“ stellt sich mir auch immer wieder bei so Sachen wie Homophobie. Lass ich jetzt den homophoben Witz im Buch drin, der nicht etwa eine Figur als nicht auf der Höhe der Zeit charakterisieren, sondern tatsächlich lustig sein und das Lesepublikum erheitern soll? Weil es ja nicht mein Buch ist, ich nicht die Autorin bin, ich da nicht drin rummachen sollte? Oder änder ich das, weil ich als diejenige, die den Text Leuten zugänglich macht, die kein Englisch können oder lesen wollen, damit auch ein Stück weit die Realität forme, also die Welt, in der wir leben? Bei Büchern für Erwachsene tröste ich mich oft damit, dass die meisten das ja hoffentlich genauso ekelhaft finden wie ich und sich ihren Teil denken. Aber bei Behindertenfeindlichkeit in Kinderbüchern z.B.? Schön, wenn man dann tolle Lektor*innen hat, die derselben Meinung sind und mich so was streichen lassen. Aber es gibt sicher auch Argumente, das stehen zu lassen. Oder?
Ganz ernsthaft, bei dieser Thematik werd ich Idealistin und kann mich schwer dem Grundsatz „hey, die*der Autor*in wollte das halt so“ beugen. Da behaupte ich noch lieber, dass man nur ne Stunde mit dem Auto von Düsseldorf nach Potsdam braucht, damit fühl ich mich wohler. ;)
Aber was jetzt der wirklich richtige Umgang ist, weiß ich trotzdem nicht.
Isabel Bogdan Freitag, 16. Mai 2014 um 10:29 Uhr [Link]
Jaaaa, ganz schwieriges Thema. Ich hatte mal ein Buch, in dem mehrfach Witze über Dicke gemacht wurden. „Meine Freunde vermitteln mir nur noch Dates mit Dicken – sehe ich aus, als hätte ich es SO nötig?“ und sowas. Ganz streichen ging nicht, ich habe versucht, es so weit wie möglich runterzudimmen, also beispielsweise nie „fett“ geschrieben, sondern „dick“, weil mir das weniger respektlos vorkam. Aber da windet man sich.
Christoph Freitag, 16. Mai 2014 um 11:08 Uhr [Link]
Richtig heißt es „als wie“.
Zumindest vor den Toren Kölns.
Aber das weißt Du ja ;-)
Jill Sonntag, 18. Mai 2014 um 11:05 Uhr [Link]
Ich erwarte nicht, dass das Original fehlerfrei ist. Aber ich würde eben gern das Original lesen. Und wenn der Autor da -ismen-Witze macht, eben selbst entscheiden, ob ich den Autor dann in Zukunft nicht mehr lese. Ich möchte nicht, dass jemand anders für mich entscheidet, ob ich ismen-Witze zu lesen bekomme.
Sabine Freitag, 16. Mai 2014 um 13:08 Uhr [Link]
Danke.
Ich bin mal innerlich hochgegangen, als ich in der Rezension eines von mir übersetzten Buches lesen musste, die Übersetzung sei so schlecht: Schließlich sprächen hier ja drei unterschiedliche Figuren, und die Passagen würden sich im Original doch sicher stilistisch unterscheiden – das sei aber in der Übersetzung total verloren gegangen. Hmpf. Über die Treue zum Original zu urteilen, ohne das Original gelesen zu haben, fand ich schon gewagt. (Und nein: Es gab da keine stilistischen Unterschiede.)
Wie weit ich bei der Korrektur von sachlichen Fehlern eingreife, entscheide ich auch nach Positionierung des Buches: Bei reiner Unterhaltungsliteratur, die konsumiert und weggelegt wird, habe ich da keine Skrupel. Und das Fehlen des Lektorats fällt mir bei den Originalen auch auf …
Trotzdem gibt es natürlich gute und schlechte Übersetzungen, das muss man auch mal sagen. Wie bei allem.
Britta Freitag, 16. Mai 2014 um 13:08 Uhr [Link]
Ich habe selbst Sprachen studiert und weiß, wie schwierig manchmal eine Übersetzung sein kann, aber ich stolpere einfach zu oft über ganz offensichtlich falsch übersetzte Begriffe wie „Gläser“ statt „Brille“, „weiße Krawatte“ statt „Frack“ und weiß nicht, ob ich lachen oder schimpfen soll, wenn bei Marten t‘Haart ein totes Kaninchen in einer „Dose“ bestattet wird – die holländische „Dose“ ist im deutschen nämlich ein „Karton“…. Da fragt man sich doch schon mal, ob die übersetzende Person eigentlich weiß, was sie da übersetzt…..
Hannes Freitag, 16. Mai 2014 um 19:29 Uhr [Link]
Britta, wie sagt man so schön aufgeblasen „da bin ich ganz bei Ihnen“ :-)
Wo für mich der Spaß aufhört ist dann, wenn ich als halbgebildeter Laie gebündelt Fehler finde, die einem Sprachfachmann / einer Fachfrau im Leben nicht gehäuft passieren sollten. Einfach nie-nicht. Nicht mal nach einer durchsoffenen Woche, aufgelockert mit regelmäßigem Kokskonsum, oder was Übersetzer so für Spaß halten.
trippmadam Freitag, 16. Mai 2014 um 19:47 Uhr [Link]
Rezensionen von Übersetzungen sind häufig ärgerlich. Natürlich gibt es Übersetzungen, die einfach falsch klingen. Vor langer, langer Zeit, während meines Auslandssemesters, bin ich allerdings fast verzweifelt an der Übersetzung eines Autors, der damals in dem betreffenden Land ein Modeautor war. Der Dozent war heilfroh, mal ein waschechte Deutsche in seiner Übung zu haben und hat mich den Unterricht fast allein bestreiten lassen. Der Autor war schlicht fade. Man konnte seinen Texten ums Verplatzen kein Leben einhauchen. Ich weiß nicht, warum der damals so in Mode war. Später gab es eine „offizielle“ deutsche Übersetzung eines seiner anderen Bücher , die ziemlich verrissen wurde. Die Übersetzerin konnte definitiv nichts dafür. Das Original war schon mies.
Ich lese sehr gerne im Original, einfach, um zu lernen. Manchmal lese ich auch Original und Übersetzung parallel, und erfreue mich an einer schönen Übersetzung. Aber gerade, weil ich weiß, wie es geht, bin ich eher bereit, Fehler zu verzeihen. Oft gibt es ja auch mehrere Möglichkeiten, eine Textstelle zu übersetzen.
Andrea Freitag, 16. Mai 2014 um 22:59 Uhr [Link]
Ich kann aus eigener peinlicher Praxis berichten, dass überarbeitete und übernächtigte Übersetzer_innen auch ohne Koks und mit recht wenig Alkohol „chestnut“ mit „Walnuss“ übersetzen und „tomato“ mit „potato“ verwechseln können. Und – peinlichster Patzer ever – aus „canine“ … doch, tatsächlich: „Kaninchen“ machen können. (Gott, jetzt ist es raus.) Das meiste davon fällt einem zum Glück im zweiten oder dritten Durchgang auf. Wenn es denn Zeit für einen dritten Durchgang gibt, vor dem man den Text mal ein paar Tage beiseite legen kann, um die blinden Flecken zu löschen. Für den Rest gibt es ein Lektorat. Wenn es denn ein Lektorat gibt.
(Sorry, das sollte eine Antwort auf Hannes werden. Schon wieder falsch gemacht, ganz ohne Koks.)
Frl. Wahrheit Samstag, 17. Mai 2014 um 11:36 Uhr [Link]
<>
Als Beispiel ein Gedicht von Vladimir Chlebnikov:
Кузне́чик
Крылышкуя золотописьмом
Тончайших жил,
Кузнечик в кузов пуза уложил
Прибрежных много трав и вер.
«Пинь, пинь, пинь!» — тарарахнул зинзивер.
О, лебедиво!
О, озари!
1) Rosemarie Ziegler
Der Grashüpfer
Flitternd mit der Goldschrift
aus feinsten Äderchen
legte der Grashüpfer in seinen Bauchkorb
Schilf und allerlei Ufergräser
Pin, pin, pin!, polterte der Zinziver.
Oh beschwan!
Oh erscheine!
2) Paul Celan
Das Heupferdchen
Flügelchend mit dem Goldbrief
aus feinstem Faserwerk,
packte das Heupferdchen seinen Wanst korbvoll
mit Ufernem: Schilfen und Gräsern.
Pinj, pinj, pinj! pardauzte die Roßpappel.
O schwanings,
O aufschein!
3) Ernst Jandl
der grashüpfer
flüxelnd mitz goldsgekrixel
miniminz ädergestricks
drüxt gratzhüpfer in seins bauchs büxel
schilpf und anzer uferblipf
pfilpf, pfilpf, pfilpf! schimpfelt zinziver
beschwan beschwampf
kompf her! kompf her!
4) Oskar Pastior
grashupfer
rasch war der goldschrieb gefluttert
tupfig sehr ädrigst verbostelt
da lupfte der hupfer den bauchkorb
verbarg er die binsige rupfe
tschiribombös profelurte kikieglitz
o schwansam
teich auf!
5) Peter Urban 1
Der Heuschreck
Flittelnd mit seinem Goldschrieb
splitterfeiner Fasern
spickt der Heuschreck sich dem Schnappsack
voll mit Schilf und Ufergrasen
Pinn, pinn, pinn!, tschilpft Sinsiwjér dahin.
O Schwanicht!
Seischein.
6) Peter Urban 2
Kuh s net schick!
Grill ich Kuh, ja? Soll Otto bis um …
Dann TSCH! heisch ich, still!
Kuh s net schick! Kuh soff, puh! Sau! Ulla schielt.
Blieb resch, nich? Gott traf ihr schwer:
Pin-pin-pin, tararach! Null-Sinn Sie! Wer?!
Oh, lebet denn wohl.
Oh, Hosen ihr!
Und welche dieser Übersetzungen ist nun die „beste“?
Andrea Kluitmann Freitag, 16. Mai 2014 um 23:49 Uhr [Link]
@trippmadam: Immer. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, eine Textstelle zu übersetzen.
trippmadam Dienstag, 20. Mai 2014 um 10:33 Uhr [Link]
Vermutlich – aber ich wollte nicht gleich mit so einem Absolutheitsanspruch ankommen, deshalb die vorsichtigere Formulierung „es gibt oft“. ;-)
Kata Freitag, 16. Mai 2014 um 23:56 Uhr [Link]
Au ja. „Church of Isa“. Ich beichte mit. Meinen Lieblingsfehler habe ich in meinem allerersten Buch gemacht (das auch noch unter dem Namen einer Kollegin erschien, die keine Zeit hatte, selbst zu übersetzen … ). Es handelte von einer englischen Krankenschwester, die bei einem afrikanischen Zauberheiler in die Lehre geht und eines Nachts zusammen mit ihm im südafrikanischen Busch toadstool sammelt, der Zutat für einen Zauber ist, mit dem sich Hütten gegen Feuer schützen lassen. Ich habe das – ohne auch nur eine Millisekunde zu zögern – mit „Krötenkot“ übersetzt , weil ich so lebhaft vor mir sah, wie die beiden den Boden nach den magischen Absonderungen der Kröten absuchen …. Irgendwann sehr viel später erst ist mir aufgegangen, dass sie Fliegenpilze gesammelt haben und ich bin noch Jahre danach in manchen Nächten schweißgebadet aufgewacht, weil ich mich plötzlich wieder daran erinnert und zu Tode geschämt habe.
Isabel Bogdan Samstag, 17. Mai 2014 um 01:02 Uhr [Link]
Ich kenn mich da übrigens nicht aus, nehme aber an, dass Koks für Übersetzer viel zu teuer ist. Wir schnüffeln Duden.
Christoph Samstag, 17. Mai 2014 um 19:10 Uhr [Link]
Ich dachte, den raucht man.
Yvonne Samstag, 17. Mai 2014 um 08:10 Uhr [Link]
Samstagmorgen, Zeit für die Beichte. „Königin von Sheba“ hab ich übersetzt, statt „Königin von Saba“. Zum Glück war die Lektorin ebenfalls langjährige Katzensklavin und nahm es daher mit Humor.
Ach Isa, gib’s zu, wir schnüffeln nur Buchleim mit einer schwachen Buchstabennote.
Claudia Samstag, 17. Mai 2014 um 09:29 Uhr [Link]
Moin zusammen,
ja, ich bin auch eine „von denen“, und mir sind auch schon echte Klopper passiert – zum Beispiel sorgte meine Übersetzung von „galley slaves“ im deutschen Verlag für große Erheiterung, weil ich die „Korrektoren“ zu „Galeerensklaven“ gemacht hatte (wobei die auch im Englischen sicher nicht zufällig diesen Spitznamen haben) –, aber zum Glück habe ich sehr oft sehr gute LektorInnen, die so was merken und ausbügeln.
Interessant finde ich Christophs Anmerkung, dass Kritiker deshalb Kritiker geworden sind, weil sie es selbst nicht besser können (was sicher nicht für alle gilt) – nach bald zwanzig Jahren in diesem Job fällt mir immer öfter eine gewisse Parallele auf: Die härtesten und humorfreiesten Fehleraufzeiger, und die finden sich sowohl unter den Übersetzern selbst (Thema Kollegenschelte) wie auch unter den Lektoren wie auch unter den Kritikern (-Innen jeweils mitgedacht), sind meist die, die sich zuwenig beachtet, geschätzt, gewürdigt fühlen und die sich selbst gegenüber extrem streng sind.
Ich habe selbst einen sehr feinen Fehler-Radar, und mir wurde schon häufiger gesagt, ich hätte „continuity manager“ beim Film werden sollen (das sind die, die dafür sorgen, dass der Gips von Figur A immer am gleichen Bein ist etc.), weil mir immer sofort auffällt, wenn in irgendeiner Einstellung (oder Buchszene) irgendwas nicht stimmt, und früher habe ich mich darüber aufgeregt, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass das keiner gemerkt hat. Entsprechend groß war der Perfektionsanspruch, was meine eigene Arbeit anging, und entsprechend gestresst war ich, wenn mir dann doch Fehler unterliefen (was natürlich immer wieder passierte). Mittlerweile bin ich da gottseidank lockerer geworden und nehme solche „Ausfälle“ – solange sie nicht überhand nehmen – eher mit Humor, vor allem wenn dabei so herrlich schräge Dinge wie „Krötenkot“ herauskommen ;-) Nobody’s perfect, und im Gegensatz zu Ärzten, Fluglotsen & Co. schädigen wir durch solche Patzer in der Regel niemanden. Und: Es ist immer einfach, aus der sicheren Dunkelheit des Zuschauerraums mit dem Finger auf die Darsteller zu zeigen, aber dafür steht man halt nie im Scheinwerferlicht – und genau das neiden viele Kritiker denen, die sie kritisieren (und das ist ausdrücklich nicht nur auf Berufskritiker gemünzt).
Jenny Samstag, 17. Mai 2014 um 12:17 Uhr [Link]
Liebe Claudia,
für die Erinnerung daran, dass man mit sich selbst nicht immer so hart ins Gericht gehen muss, bin ich dir gerade sehr dankbar. Langsam, langsam komme ich dahin, erleichtert zu denken: „Dafür ist sie ja da, gut, dass der Schnitzer nicht im fertigen Buch gelandet ist…“, wenn mich eine Lektorin auf was aufmerksam macht, anstatt mich wie früher immer sofort vergraben zu wollen, weil ich dachte, ich kann der Frau nicht mehr unter die Augen treten. Das ist das Ding – die meisten Übersetzer*innen sind schon streng genug mit sich selbst; man muss sie weiß Gott nicht von einem hohen Ross runterholen o.ä., indem man sich darüber auslässt, welchen Schwachsinn sie an einer bestimmten Stelle wieder mal verzapft haben. (Nicht, dass man so was nicht sagen dürfte, aber ich hab eben oft das Gefühl, dass da immer auch gleich die Überzeugung auf Seiten des/der Übersetzer*in unterstellt wird, er/sie würde sich selbst für unfehlbar halten.)
[Natürlich beschränkt sich das nicht auf diesen Berufszweig, aber manchmal denke ich, dass die Mischung aus Handwerk und Kunst viele doch anfälliger macht (bzw. eher Menschen anzieht/hervorbringt), die einen großen Wunsch nach Perfektion in sich tragen und sich selbst wenig verzeihen.]
Hannes Samstag, 17. Mai 2014 um 21:36 Uhr [Link]
Natürlich kann man spontan alle Kritiker als Wichtigtuer abtun, wie weiter unten Jürgen Neubauer das ebenfalls macht. Kritik ist, auf Neudeutsch, nichts anderes als Feedback. Feedback kann man nutzen oder es lassen, das ist jedem selbst überlassen. Völlig sinnlos ist es dem Kritiker mitzuteilen, dass er gefälligst anders zu denken hat.
Das niemand geschädigt wird halte ich auch für eine recht mutige Behauptung. Im einfachsten Fall wird nur der Geldbeutel und das Nervenkostüm des Lesers geschädigt. Ich bin beispielsweise nicht davon begeistert wenn ich als Übersetzung für „a sceleton in the closet“ „ein Gerüst in der Toilette“ lesen muss.
Wirklich böse wird es bei Fachliteratur und technischen Übersetzungen. Die liest man nicht aus Spaß und man muss sich auf den Inhalt verlassen können. So war den auch das erste Buch für das ich mein Geld zurückverlangt hab ein Fachbuch. Der Übersetzer hatte sich hunderte von Klöpsen der Art wie „little endian“ als „kleiner Indianer“ zu übersetzen geleistet.
Um mir so etwas nicht gefallen zu lassen muss ich mich nicht zu wenig beachtet, nicht geschätzt, oder nicht gewürdigt fühlen. Ich muss mich schlicht und ergreifend nur verarscht und abgezockt fühlen. Im übrigen muss man auch kein Sternekoch sein um zu erkennen, dass das Essen angebrannt ist. Daher halte ich nichts davon, Kritiker spontan als Neider abzutun, die eigentlich nur selbst im Rampenlicht stehen wollen.
WernR Samstag, 17. Mai 2014 um 10:45 Uhr [Link]
What you confess in Is a Church, in diesem Sinne:
Anlässlich seiner „fulminanten Neuübersetzung“ von T.C.Boyles Wassermusike hat mir Dirk van Gunsteren mal nicht nur reingerieben, ich hätte den Autor „aufgemöbelt“ und „verlustigt“, sondern außerdem würde bei mir zum Beispiel irgendein „ausgetrockneter Bach glucksen“. Und natürlich mein (und jetzt wohl auch sein) Lieblingsklops: gleich am Anfang wird eine Figur als sehr belesen beschrieben: „He knew Pope.“ Und ich schreibe doch glatt „Er kannte den Papst.“
Keine Entschuldigung, ich weiß.
Miriam Neidhardt Samstag, 17. Mai 2014 um 12:29 Uhr [Link]
Moin, Isa,
du sprichst mir ja schon aus der Seele.
Und natürlich haben Übersetzungen Fehler. Als Übersetzerin kann ich synchronisierte Filme gar nicht angucken und übersetzte Bücher gar nicht lesen, ohne dass mir Fehler entgegenspringen (z. B. ein Cabrio mit offenem Deckel) – Berufskrankheit.
Der Gedankenfehler ist allerdings, das nur auf Übersetzungen zu beziehen: Alle Texte haben Fehler. Auch in Originalen kommen Tipp- und Sinnfehler vor, so hat in einem von mir übersetzten Buch der Protagonist keinen Koffer und steckt deshalb alles, was er ins Flugzeug mitnehmen möchte, in eine Tüte – um zwei Seiten weiter seinen Koffer in das Auto zu werfen, mit dem er zum Flughafen fährt. An einer anderen Stelle hält er mit dem Auto an, macht den Motor aus und unterhält sich mit dem Beifahrer; um zwei Sätze später fast einen Fahrradfahrer umzufahren. Wie geht das, im Stehen? Erstes konnte ich in der Übersetzung problemlos ändern, zweiteres nicht.
Und dann muss man noch berücksichtigen, dass eine Übersetzung manchmal an die Kultur angepasst werden muss. So habe ich mal ein Buch übersetzt, bei dem gleich auf der ersten Seite ein Hitlerwitz stand. Der für Engländer sicher brüllend komisch war, den deutschen Leser jedoch schockiert hätte. Gegen Mitte des Buchs, wenn sich der deutsche Leser an den speziellen Humor gewöhnt hätte, wäre das gegangen, aber wenn ich mir vorstelle, wie der deutsche Leser in der Buchhandlung steht und in das Buch reinliest und dann so einen Witz findet – der hätte das Buch angewidert wieder ins Regal gestellt. Und so enthält meine deutsche Übersetzung an dieser Stelle immer noch einen tollen Witz – aber ohne Hitler.
Manchmal ist es tatsächlich sehr schade, wenn Wortspiele nicht erhalten werden können. In einem Buch hatte ich „Time for turkey“, was heißen soll: „Es wird Zeit, dass wir Klartext reden“. Im Englischen geht es dann weiter mit, wie, Truthahn, ich kann doch gar nicht kochen! Wie, Truthahn, ich meine doch Tacheles! Den Teil der Unterhaltung musste ich leider ersatzlos streichen. Dafür, wie du schon sagtest, gibt es an anderen Stellen schöne deutsche Wortspiele, wo im Original keine waren.
Manche „Fehler“ sind auch schlicht dem Lektor anzulasten und nicht dem Übersetzer: Wenn ich schreibe, dass in der Hütte viele trockene Lebensmittel zu finden sind, die dort auf Vorrat gehalten werden, und der Lektor daraus vertrocknete Lebensmittel macht … auch dafür muss dann im Auge des Lesers der Übersetzer hinhalten. Auch nicht nett!
Aber jetzt muss ich weiterübersetzen. Immerhin habe ich im Original des Buchs, das ich gerade übersetze, erst einen Fehler gefunden: Mal ist sie 23, mal 24. Lässt dich glücklicherweise problemlos ändern. Bei der Szene im letzten Buch, als sie mit einer Hand im Koffer rumwühlt, sich mit einer durch das Haar fährt und sich mit einer nachdenklich auf die Lippe tippt, war das etwas schwieriger … (aber machbar. Im Deutschen hat sie jetzt wieder nur zwei Hände).
Gruß
Miriam
Miriam Neidhardt Samstag, 17. Mai 2014 um 13:14 Uhr [Link]
Im Übrigen: Auch Autoren machen falsche Wortspiele: „makes me feel like a piece of garbage that can be tossed out when…when I’m all used up“
Da frage ich mich schon, wieso man ein Stück Müll/Dreck benutzen sollte. Man benutzt etwas und wirft es dann wie Müll weg.
Im Deutschen fühlt sie sich jetzt übrigens wie ein Taschentuch, das man nach Benutzung wegwirft. So viel zum Thema Wortspiele. Hätte ich das originalgetreu drinnen gelassen, hätte es vermutlich Rezensionen gehagelt, dass die Übersetzerin zu doof ist, um Wortspiele zu übersetzen …
Isabel Bogdan Samstag, 17. Mai 2014 um 15:15 Uhr [Link]
Wow, ich komme ja mit Antworten gar nicht hinterher. Nur eins kurz:
Ein Schnitzer (oder zwei oder drei) machen noch keine schlechte Übersetzung. Wenn wir hier über ganze Bücher reden, dann kommt es sehr viel mehr auf Ton und Rhythmus und sowas an, das geht bei manchen Übersetzungskritiken dann vor lauter diebischer Freude des Kritikers über einen gefundenen echten Fehler oft unter.
Isabel Bogdan Sonntag, 18. Mai 2014 um 19:00 Uhr [Link]
Pauschalurteile helfen natürlich in keiner Richtung weiter. Weder sind alle Übersetzungen defizitär, noch sind alle Kritiker blöde Besserwisser. Ich glaube aber, das hat auch niemand hier so gemeint.
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Demnächst schalte ich diese Kommentarverschachtelung ab. Man weiß ja gar nicht mehr, was wie zusammengehört und was neu dazugekommen ist.
Curima Montag, 19. Mai 2014 um 14:11 Uhr [Link]
Schöner Artikel, den ich sogar als bekennende Originalleserin sehr gut nachvollziehen kann. Ich finde auch sowieso deine Beiträge zum Übersetzen total spannend. Vielleicht gibt es ja mal wieder einen Blogeintrag über ein konkretes Übersetzungsbeispiel und dessen Probleme, das würde mich freuen.
Übrigens lese ich in der Überschrift die ganze Zeit „Übersetzergeschnetzeltes“. *kopfschüttel*
Samstagslinks/los enlaces del sábado 19 | Trippmadam Samstag, 24. Mai 2014 um 11:02 Uhr [Link]
[…] Vielleicht sollten wir einmal die Begriffe Simultan-, Konsekutiv- und Verhandlungsdolmetschen klären. Das tut freundlicherweise d-interp für uns. Übersetzen heißt das, wenn man mir einen geschriebenen Text in einer Sprache auf den Schreibtisch fallen lässt und ich ihn in einen geschriebenen Text in einer anderen Sprache verwandele (ja, ich kann zaubern und werde sogar noch dafür bezahlt). Zum Thema Übersetzungskritik äußert sich Isabel Bogdan sehr viel qualifizierter als ich das könnte. […]
Links zum Denken 24 « am Röschibach Dienstag, 17. Juni 2014 um 19:54 Uhr [Link]
[…] Isabel Bogdan über die 10 – angeblich nervigsten – häufigsten Übersetzungsfehlerkateg… (übrigens als Antwort auf diesen Kommentar von Jens Baumeister) […]