Fundstück
„Der Literaturübersetzer übt einen der schwierigsten Berufe der Welt aus. Er muss ein Gelehrter sein, ein Spieler, ein Sportler, ein Künstler und ein Drahtseiltänzer. Es ist wirklich ganz außergewöhnlich, wenn ein- und dieselbe Person all diese Professionen zugleich ausführen kann. Es ist eine große Leistung. Es ist Arbeit. Es ist anstrengend. Es ist auf jeden Fall wertvoll, für einen Autor, für einen Leser — und für das Leben überhaupt.“
(Jean Échenoz, übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel)
Jennie Donnerstag, 14. Juni 2012 um 20:57 Uhr [Link]
Darf ich kurz meckern? Ich finde solche Aussagen immer komisch. Klar, vielleicht wollte Herr Échenoz nur mal eben sagen, dass er Übersetzer toll findet. Aber so wie er das da sagt, klingt es gleich so nach „… die machen was so Komplexes, das kann man mit nichts anderem vergleichen“. Und das ist doch Faxen. Klar ist Übersetzen anspruchsvoller als bei OBI an der Kasse zu stehen, aber 1. zweifelt daran ja auch kaum einer und 2. würde man so eine Aufzählung der verschieden Facetten des Job auch für eben jene(n) Kassierer(in) zusammenbekommen. Heißt nämlich nichts.
Übersetzer und ihre Arbeit werden oft übersehen/zu wenig gewürdigt/zu schlecht bezahlt/nicht genug wahrgenommen, und das muss sich ändern. Aber das tut’s sicher nicht durch solche (sorry, aber:) abgehoben klingende/elitäre/sinnlos auf ein Podest hebende Berufsbeschreibungen.
In diesem Sinne: „Übersetzer sind nicht überflüssig“
(frei nach „Künstler sind nicht überflüssig“ von Funny van Dannen … naja, was heißt „frei“ – ich hab halt ein Wort ausgetauscht)
„Übersetzer sind nicht überflüssig
Aber Bäcker sind viel wichtiger
Sie backen das Brot schön knusprig
Und sie stehn schon ganz früh auf.
Ohne sie wär das Frühstück eine Katastrophe
Wir müssten die Marmelade mit dem Löffel essen
Und die Wurst pur.
Übersetzer sind nicht überflüssig
Doch Fleischer sind viel wichtiger
Sie hacken das Fleisch in Stücke
Und sie schneiden es zurecht
Sie machen feine Koteletts
Und viele schicke Filets
Ohne sie müßten wir selber
Blutige Schürzen tragen
So eine Schweinerei!
Übersetzer sind nicht überflüssig
Doch Soldaten sind viel wichtiger
Sie beschützen unser Land
Wenn Feinde es bedrohen
Sie fahren U-Boot und Panzer
Und sie zerstören Nachschubbasen
Stellt euch einmal vor wir müßten
Selber Menschen töten
So ein Wahnsinn!“
Isabel Bogdan Donnerstag, 14. Juni 2012 um 23:15 Uhr [Link]
Och. Ich finde, man kann durchaus mal sagen, dass Übersetzer tolle Sachen können. Ohne damit zu meinen, dass andere keine tollen Sachen könnten.
Jennie Freitag, 15. Juni 2012 um 08:02 Uhr [Link]
Stimmt ja, und vielleicht meinte er eben auch nur genau das. Wahrscheinlich ist es einfach nur mein persönlich pet peeve, wenn ich solche Sachen höre…
Vanilla Queen Donnerstag, 13. Dezember 2012 um 09:52 Uhr [Link]
Abgesehen davon, dass das Zitat ziemlich grottig übersetzt ist, muss ich Jennie recht geben: Es ist halt schon ein völlig und vollkommen beliebiger Schmarrn. Mei, „Spieler, Sportler, Drahtseiltänzer“ (eben nicht EIN Spieler, EIN Sportler usw., und ein einfacher „Seiltänzer“ hätt’s auch getan) … Man kann die Reihe ad libitum und nauseam fortsetzen: Fährmann, „Brückenbauer über den Abgrund des Nichtverstehens“ (Christina Weiss; talk about the Abgründe der falschen grammatikalischen Bezüge), Sprachschmuggler, Mauerspringer et cetera pp. – alles Quark. Den Autor kostet’s nichts, der Übersetzer fühlt sich gebauchpinselt und gleich drei Zentimeter größer. Da schmeckt plötzlich sogar das Margarinebrötchen, obwohl die mageren Honorare für die Butter aufs Brot nicht reichen.
Leider schlüpfen Übersetzer nur allzu gern in diese ausgelatschten Schuhe und machen fröhlich mit beim großen Geraune über die wahnsinnig geheimnisvollen und hochkomplexen Dinge, die sie da tagtäglich mit ihren Texten anstellen. Mir würde es eigentlich schon genügen, wenn jemand sein Handwerk einigermaßen beherrscht (und die es tun, machen darum in der Regel nicht allzuviel Gewese). Mystifizierende Mätzchen à la „Ich übersetze auch die Leerstellen zwischen den Worten“ sind dagegen eher peinlich – und immer auch Ausdruck von Geltungsdrang bzw. eines mehr oder minder ausgeprägten Minderwertigkeitskomplexes. (Was angesichts der geringen Wertschätzung, die unsereine/r genießt, allerdings nicht weiter verwundert.) Wer bei solchem bedeutungshuberischen Blödsinn nicht in schallendes Gelächter ausbricht, sondern innerlich ehrfürchtig auf die Knie sinkt – wie z. B. der Moderator einer Radiosendung, in der eine Italienisch-Übersetzerin weiland allen Ernstes erklärte, sie habe sich extra um ein Reisestipendium bemüht, um sich eine in irgendeinem egalen Roman beschriebene, mindestens ebenso egale Feldsteinmauer persönlich ansehen zu können, weil sich die fragliche Stelle andernfalls nicht adäquat ins Deutsche bringen ließe –, should have his (or her) head examined. Das ist nichts weiter als Betriebsblabla, heiße Luft, an der sich das Feuilleton die Füßchen wärmen kann. Würde sich ein Bäcker oder Autoschrau-, pardon, Mechatroniker in dieser Form über die – huibuh! – Mysterien seiner Profession auslassen, er würde – ganz zu Recht – mit Hohn und Spott überschüttet.