Anke Gröner: Nudeldicke Deern
Guten Tag, mein Name ist Isabel Bogdan, und ich bin keine normale Frau. So, jetzt ist es raus. Es ist nämlich so: ich habe noch nie eine Diät gemacht. Ich habe keine Ahnung, wie Diäten funktionieren, keinen Schimmer, was Trennkost ist, und überhaupt keine Vorstellung davon, wieviele Kalorien „viel“ sind. Wieviele Kalorien hat eine Tafel Schokolade oder eine Gurke, wieviele Kalorien braucht man am Tag? Keinen blassen Dunst.
Allerdings: seit ich aufgehört habe zu rauchen und sieben Kilo zugenommen habe – und das ist jetzt immerhin vier Jahre her – seitdem finde ich doch, dass dieser Bauch bitte wieder wegsoll. Und überhaupt diese sieben Kilo. Wenn ich ein Kleid anhabe, ziehe ich den ganzen Abend den Bauch ein. Also, bei den Kleidern, in die ich noch passe. Ich rede mir ein, meine neue (naja, vier Jahre alte) Figur würde mich vor allem deswegen nerven, weil mein halber Kleiderschrankinhalt mir nicht mehr passt, denn ich weiß ja, dass ich tatsächlich keineswegs dick, zu dick oder auch nur irgendwie figürlich auffällig wäre, aber in Wahrheit will ich diesen Bauch und diese sieben Kilo wirklich nicht haben. (Was dagegen getan habe ich allerdings auch nicht.)
In sofern bin ich vielleicht doch normal, puh, nochmal gutgegangen. Dennoch, ich gehöre eher nicht in die Zielgruppe von Anke Gröners Buch. Gelesen habe ich es trotzdem, weil es eben Ankes ist. Und ich einen Teil davon schon in ihrem Blog gelesen hatte und den Rest auch noch lesen wollte.
Wer Ankes Blog nicht kennt, dem sei das sowieso ans Herz gelegt. Sie schreibt über alles mögliche, und eins ihrer Themen in den letzten zwei Jahren (?) war eben dies: Anke ist dick. Deswegen hat sie sich 25 Jahre lang so richtig scheiße gefühlt. Diäten gemacht, abgenommen, zugenommen, Jojo-Effekt, hat sich beschimpfen lassen, sich phasenweise kaum aus dem Haus getraut, und sich darüber definiert, dass sie dick ist, weil alle anderen sie auch darüber definierten oder zu definieren schienen. Das alles führte dazu, dass Essen „der Feind“ war, was aber natürlich nicht bedeutete, dass sie nichts mehr aß, sondern im Gegenteil. Sie aß, und zwar Junk Food, und fühlte sich ätzend. Und bekam von außen bestätigt, dass sie zu nichts nutze sei sei, sich nicht im Griff habe, scheiße aussehe und auch sonst rundum zu verachten sei. Teufelskreis, und eine ziemliche Horrorvorstellung.
Und dann kam Ankes Freundin Silke Nolden (Bloglesern unter dem Namen Lu bekannt) und brachte ihr das Essen bei. Lu ist Ernährungsberaterin. Sie ist mit Anke in den Supermarkt gegangen, auf den Markt und in den Bioladen und hat ihr stundenlang Lebensmittel erklärt. Und dann haben sie eingekauft, was auch immer sie angelacht hat, und es gemeinsam zubereitet. Sie haben Ankes Speisekammer entrümpelt und Kochen geübt. Trainiert, wie man Dinge einfach mal ausprobiert. Den Unterschied zwischen holländischen Supermarkt-Tomaten und frischen Tomaten vom Markt geschmeckt. Und so weiter.
Für Anke tat sich eine neue Welt auf: sie lernte Schmecken, Genießen und Kochen. Und entwickelte ruckzuck eine unglaublich ansteckende Begeisterung für gutes Essen. Im Zuge dieser neuen Begeisterung informierte sie sich außerdem über diese ganze Dicksein-Geschichte, über BMI und Schlankheitswahn und das hartnäckige Gerücht, Dicke wären krank. Und beschloss daraufhin: es ist völlig in Ordnung, dick zu sein. Menschen sind verschieden, manche sind eben dick. Na und?
Und das sind die zwei Themen des Buches: Genießen lernen. Und lernen, dass man nicht gleich „wertlos“ ist, bloß weil man dick ist (was für eine Vorstellung!). Dass „dick“ nur eine Eigenschaft unter vielen ist, und sicher keine, von der man sein Leben bestimmen lassen sollte. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff, es heißt „Fat Acceptance“. Dann bin ich halt dick, so fucking what?
Nebenbei räumt sie noch mit einer Menge Vorurteile auf, zum Beispiel mit dem, dass Dicke kranker wären als Dünne. Stimmt nämlich gar nicht, aber Ärzte erzählen es einem trotzdem dauernd. Weswegen viele Dicke gar nicht erst zum Arzt gehen, wenn sie krank sind, denn sie wissen genau, dass dann wieder der Vortrag kommt. Auch wenn sie Schnupfen haben.
Das alles ist natürlich so geschrieben, wie man es von Anke kennt: so nämlich, dass ich es ruckzuck durchhatte, obwohl das Thema überhaupt nicht meins ist. Und vor allem so, dass ich als Nie-dick-Gewesene mal meine eigenen Reaktionen reflektiere, wenn ich beispielsweise auf der Straße denke: Boah, ist die dick, und unterschwellig mitdenke: sieht nicht gut aus. Immerhin hat man doch jahrzehntelang ein schlankes Schönheits- und Gesundheitsideal gelernt. (Allerdings denke ich auch oft: Boah, ist die dünn. Bin ich damit rehabilitiert?)
Gerade übersetze ich ein Buch, bzw. bin fast fertig, das „Mädchen in weiß“ heißen wird. Es geht um lauter junge Frauen, Mitte zwanzig, die ihren Platz im Leben suchen, einen Job suchen, einen Mann suchen, sich fragen, ob der jetzt der richtige ist, sich trennen, heiraten, schwanger werden. Und das ist alles gar nicht so Chick-Lit-haft, wie es klingt, sondern extrem lakonisch erzählt und ziemlich witzig und gar nicht blöd, und es macht wirklich Spaß. Nur: die schlechthinnige Horrorvorstellung dieser Mädels scheint das Dicksein zu sein. Da zucke ich jetzt immer zusammen und winde mich und möchte das eigentlich gar nicht so hinschreiben müssen, dieses: „was habe ich denn verbrochen, dass man mich jetzt schon mit einem Dicken verkuppeln will, so nötig habe ich es jetzt auch nicht“, und schreibe nicht „fett“, weil das so abwertend klingt, sondern „dick“, was wenigstens ein kleines bisschen neutraler ist. Aber eigentlich würde ich diese Stellen gern einfach streichen. Weil es so mies ist. Weil ich jetzt immer Anke und alle anderen Dicken im Kopf habe, und wie ekelhaft das ist, sowas dauernd zu lesen!
Also: lest dieses Buch! Und verschenkt es, an alle Dicken, denen es nämlich Mut macht, sich so zu akzeptieren, wie sie sind. Und vielleicht auch an ein paar Dünne, denn Fat Acceptance ist natürlich ein Thema, das Dünne genauso betrifft.
Anke Gröner: Nudeldicke Deern. Free your mind and your fat ass will follow. 240 Seiten. Wunderlich, 14,95 €. E-Book: 12,99 €
Webseite zum Buch: Deern
UPDATE: Wer zu Weihnachten ein signiertes Exemplar verschenken möchte, kann das direkt bei Anke Gröner bestellen. Geht ganz einfach.
Anke Samstag, 26. November 2011 um 08:41 Uhr [Link]
Danke.
Veronika Samstag, 26. November 2011 um 14:11 Uhr [Link]
Vielen Dank für denn Beitrag!
Mehr zum Thema gibt es auch in dem Blog von Ragen Chastain: http://danceswithfat.wordpress.com/
Hat mich ziemlich beeindruckt und mir so manche Erkenntnis beschert.
Isabel Bogdan Samstag, 26. November 2011 um 19:58 Uhr [Link]
Danke, ja, das ist auch toll. Auf der Webseite zum Buch gibt es unter Links noch mehr Blogs zur Körperakzeptanz und zu schönen Kleidern für Dicke usw. Großartige Sachen dabei.
Susanne (flicKwerk) Samstag, 26. November 2011 um 20:12 Uhr [Link]
Wichtiges Thema! Danke für die Links und die Buchvorstellung. Das Buch kommt auf meinen Wunschzettel, obwohl ich mich schon lange von den Sorgen um meine Figur verabschiedet habe. Aber den kritischen Blick, wenn ich „Dünne“ oder „Dicke“ sehe, das kenn ich auch.
Julie Dienstag, 29. November 2011 um 14:03 Uhr [Link]
Uh, Fat-Talk. Wichtiges Thema. Schwieriges Thema. Zwei schöne kurze Videos dazu:
Fat Talk free:
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=RKPaxD61lwo
Fat Rant by Joy Nash: http://www.youtube.com/watch?feature=player_profilepage&v=yUTJQIBI1oA
Wortschätzchen Mittwoch, 30. November 2011 um 09:44 Uhr [Link]
Ein ganz tolles Buch. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen, obwohl ich auf den ersten Blick nicht zur Zielgruppe gehöre. Auch ich habe noch nie eine Diät gemacht, ganz im Gegenteil, denn ich bin zu dünn. „Körperakzeptanz“ ist für mich das Zauberwort und die ist nicht gewichtsabhängig. Aus diesem Grund finde ich, dass Anke Gröners Buch jeden angeht, der mit sich hadert, weil er äüßerlich nicht der Norm entspricht.
Sabienes Mittwoch, 30. November 2011 um 15:46 Uhr [Link]
Hi Isa,
ich bin wohl eine typische Frau, wenn man davon absieht, dass ich keinen Schuhtick habe … Aber zur Zeit nähere ich mich meinem Traumgewicht, welches ich ebenfalls verloren habe, als ich das Rauchen aufgehört habe, mit Hilfe einer Diät, bzw. einer Ernährungsumstellung und es klappt ganz gut. (Übrigens hilft es gewichtstechnisch nicht, wenn man das Rauchen wieder anfängt …)
Die innere Einstellung zum Abnehmen ist ein ganz entscheidender Faktor, aber ich bin mir nicht sicher, ob das reicht …
LG
Sabiene
Isabel Bogdan Mittwoch, 30. November 2011 um 16:00 Uhr [Link]
Mag sein – aber es geht ja hier gerade *nicht* ums Abnehmen, sondern darum, Frieden mit seinem Körper zu schließen, so wie er nun mal ist.
Anne Samstag, 3. Dezember 2011 um 11:24 Uhr [Link]
Meine Reaktion war ähnlich. Mir ist erstmal bewusst geworden, wie sehr mit Kategorien von „dick“ und „dünn“ und „gesund“ und „ungesund“ denkt, obwohl man gar nicht mal so viel Wert drauf legt.
Schon allein, wenn man was isst und sich denkt „Hmmm, ist aber lecker. Und trotzdem so gesund!“ – da sieht man mal, wie tief das einem eingebrannt ist, dass lecker und gesund irgendwie nicht zusammen passen – oder andersrum, dass Essen entweder gut oder böse ist, aber nicht beides zusammen. Und überhaupt: „böses Essen“, was für ein Unfug.
Muss auch noch mal meine Gedanken zu dem Buch aufschreiben, denn es waren einige.