Autorenstimme des Monats (Aus dem Presse-Newsletter des VdÜ)

„Natürlich frage ich mich oft, was die Unterschiede zwischen dem Schreiben und Übersetzen sind. Eins ist es auf jeden Fall nicht: Ich glaube nicht, dass Übersetzen einfacher ist als Schreiben. Es ist nur mit weniger Angst behaftet, ich muss mich beim Übersetzen nicht davor fürchten, dass der ganze Aufbau, die Personnage, die Handlung falsch ist. Es gibt ein Original, und wenn da etwas nicht stimmt, kann ich mich – nicht immer ganz ohne kollegiale Häme – zurücklehnen und sagen: „Bitte, Autor, wenn Du unbedingt willst…“ Doch das macht das Übersetzen nicht einfacher, denn der Vorteil der lediglich sprachlichen und nicht kompositorisch-inhaltlichen Verantwortung wird dadurch aufgehoben, dass man eben auch nur das Sprachliche gestalten kann und einem das allerwichtigste Gestaltungsmittel, das dem Schriftsteller die Arbeit erleichtert, nicht zur Verfügung steht: Das Streichen. Als Autor muss ich nur das ausdrücken, was ich auch ausdrücken will und was sich in meiner Sprache ausdrücken lässt. Als Übersetzer muss ich alles ausdrücken können. Und da sich das Streichen nicht nur auf Sätze beschränkt, sondern ganze Kapitel, Handlungsstränge, Figuren betreffen kann, bin ich als Autor ein Mensch, der seine Personen mit utilitaristisch kühlem Blick beäugt, sich bei jedem Charakter fragt: ‚Nutzt Du meinem Text oder soll ich Dich löschen?‘ Als Übersetzer sehe ich die Personen als gegeben an, nehme die Menschen so, wie sie sind und versuche, das Beste daraus zu machen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem Schreiben und Übersetzen liegt für mich also nicht in der unterschiedlichen Schwierigkeit, sondern darin, dass ich beim Übersetzen ein netterer Mensch bin.“

Kristof Magnusson

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