Lotterleben

Wer zu Hause arbeitet, kann jeden Morgen ausschlafen. Und überhaupt den ganzen Tag tun und lassen, was er will. Strenggenommen arbeitet so ein Freiberufler eigentlich gar nicht. ISABEL BOGDAN führt ein Lotterleben.

Natürlich schlafe ich aus. Ich schlafe sogar so fest, dass ich es gar nicht höre, wenn der Wecker des Gatten klingelt, ich höre es nicht, wenn er aufsteht, sich anzieht und so weiter, ich schlafe. Ich wache erst dann auf, wenn er mich weckt, um sich zu verabschieden, weil er nämlich pünktlich um halb acht losmuss, einer geregelten Arbeit nachgehen. Dann sage ich Tschüss, drehe mich um und schlafe weiter.
Bis ich von allein wieder aufwache. Ich schlurfe in die Küche, hole mir einen Becher Kaffee, den der Mann zwei Stunden vorher freundlicherweise in die Thermoskanne gefüllt hat, und setze mich damit an den Rechner. Lese die ersten Mails, lese ein paar Blogs, gucke nach, was bei Facebook so los ist, beantworte ein paar Mails, fange dann aber bestimmt gleich an zu arbeiten, aber erstmal hole ich mir noch einen Kaffee. Es gibt weitere Blogs zu lesen, Perlentaucher, bei Facebook hat auch schon wieder jemand was gepostet, ich schiebe ein paar Zettel auf dem Schreibtisch hin und her, und übrigens ist es irgendwie plötzlich schon zwölf, ich könnte mir mal Frühstück machen. Überhaupt wäre es auch nett, nicht mehr im Schlafanzug zu sein, wenn der Mann nach Hause kommt, und so bin ich am frühen Nachmittag immerhin geduscht und angezogen, und die To-Do-Liste ist auf dem neusten Stand. Naja, und so weiter.
Es ist hauptsächlich eine Frage des Drucks. Wenn ich mit einem neuen Buch anfange, mache ich erstmal gar nichts. Irgendwann lege ich langsam los, werde im Laufe der Zeit immer schneller – nicht, weil ich besser „drin“ wäre, sondern weil der Druck steigt – und kurz vor dem Abgabetermin kette ich mich am Schreibtisch fest und mache nichts anderes mehr. Gesund ist das nicht. Erst hat man dauernd ein schlechtes Gewissen, weil man immer noch nicht angefangen hat oder immer noch nicht weitergekommen ist, und dann legt man los und macht sich den Rücken kaputt.
Natürlich mache ich mir, bevor ich anfange, einen Plan. Daran halte ich mich aber schon am ersten Tag nicht, und am zweiten nicht, und nicht am dritten. Zwei Wochen später mache ich einen neuen Plan, an den ich mich … genau.
Die klugen Ratschläge kenne ich auch. „Zur Arbeit gehen“ soll man – das heißt, man steht auf, zieht sich an und geht eine Runde um den Block, um symbolisch zur Arbeit zu gehen, und dann setzt man sich hin und arbeitet. Und wäscht nicht zwischendurch Wäsche. Klingt vernünftig, habe ich trotzdem noch kein einziges Mal gemacht. Bei mir hat es nicht mal funktioniert, als ich tatsächlich eine Zeitlang einen Büroplatz gemietet hatte. Im Büro hatte ich ja auch Internet. „Internet ausmachen“ ist natürlich ein guter Ratschlag, ich habe sogar ein kleines Programm, das mich für eine von mir selbst festgelegte Zeitspanne nicht ins Netz lässt. Hilft manchmal. Allerdings muss ich natürlich dauernd recherchieren, ohne Internet kann ich praktisch gar nicht arbeiten. Ehrlich! Es nutzt auch nichts, von Twitter loszukommen, weil man dann bei Facebook herumlungert. Es nutzt nichts, die Kartenspiele auf dem Computer zu löschen, weil man dann halt bunte Kügelchen abschießt. Wer ein Aufschieber ist, wird immer etwas finden.
All die schönen Vorteile des Freiberuflertums sind gleichzeitig die Nachteile. Sich immer wieder selbst zu motivieren, sich zusammenzureißen, zu arbeiten, obwohl man noch schnell die Fenster putzen könnte oder noch ein Stündchen schlafen, das Dokument auf- und das Internet zuzumachen, obwohl einem kein Chef über die Schulter guckt, all das ist verdammt harte Arbeit. Und das ist mein Ernst. Angestellte verstehen das oft nicht, aber die meisten Freiberufler können ein Lied davon singen.
Der fatalste Fehler allerdings ist, es zuzugeben. Denn offenbar ist es sowieso schon schwer zu begreifen, dass Zuhausearbeiten auch Arbeiten ist. Die protestantische Ethik sitzt tief, scheint’s, und wer nicht um acht irgendwo sein muss, um einem Chef zu dienen, der arbeitet nicht. Da muss man sich dann schon mal Sätze anhören, die mit „solange du Hausfrau bist“ anfangen. Oder solche, in denen die Formulierung „ein bisschen was dazuverdienen“ vorkommt. Und wenn man sagt, man hätte keine Zeit, man müsse arbeiten, kommt bestenfalls ein „Wieso, hast du wieder geschlampt?“
Liebes Umfeld, „zu Hause arbeiten“ ist nicht „nicht arbeiten“. Und „sich die Zeit frei einteilen können“ ist nicht „immer Zeit haben“. Das ist ein Missverständnis, und es nervt. Und man selbst nervt sich auch, also ich mich jedenfalls, wenn ich erst nicht zu Potte komme und dann wieder die Nächte kurz werden und ich Einladungen absagen muss. Solche Sprüche wie oben fehlen einem dann gerade noch.

„Weißt du was, du musst eine Diät machen. Brigittediät!“, sagt eine Kollegin. Ich gucke an mir runter und verstehe nicht, was sie meint, da sagt sie: „Nein, nein, nicht wegen deiner Figur. Aber wenn man eine Diät macht, hat man fünfmal am Tag einen Termin. Das gibt dem Tag Struktur. Ich mache immer Brigittediät, wenn ich wieder anfange zu verlottern. Dann schafft man vormittags schon was weg, weil man weiß, dass man um zwölf anfangen muss zu kochen. Und nachmittags genauso.“
Klingt schlau, einerseits. Andererseits ist das natürlich so ähnlich wie mit den Plänen. Pläne funktionieren aber nur bei Leuten, bei denen Pläne funktionieren. Einmal jaulte ich und fragte, ob ich nicht endlich erwachsen werden und meine Zeitplanung in den Griff kriegen könnte. Da sagte eine Kollegin, Erwachsenwerden habe doch nichts damit zu tun, dass man seine Zeitplanung im Griff hat, sondern damit, dass man endlich akzeptiert, dass man eben so arbeitet. Im ersten Moment fand ich das lustig. Dann fand ich, sie hat recht, und seitdem bemühe ich mich zu akzeptieren, dass ich eben so arbeite.
Das System funktioniert ja auch. Dass mir hier keine Missverständnisse aufkommen: ich habe noch immer pünktlich abgegeben. Wenn ich einen Termin habe, funktioniere ich. Ohne Termin keine Chance. Ich brauche die Last Minute Panic.
Aber manchmal denke ich dann doch, ich sollte es weiterhin versuchen, das mit dem strukturierteren Arbeiten. Für das vorletzte Buch hatte ich natürlich auch einen Termin, und zwar einen so knappen, dass ich mir einen Plan gemacht habe. Als er fertig war, habe ich nach Luft geschnappt, denn der war ganz schön ehrgeizig. Und dann habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben an den Plan gehalten, von Anfang an, bis fast zum Ende. Weil ich musste, weil der Druck hoch genug war, oder keine Ahnung warum. Mehrfach hatte ich das Tagespensum bereits abends um acht oder neun geschafft, dann hatte ich Feierabend. Feierabend! Großartiges Konzept, es fühlt sich super an, das Tagwerk getan und dann frei zu haben. Vollkommen neues Lebensgefühl. Kurz vor Schluss, wirklich nur zwei oder drei Arbeitstage vor Abgabe, kam ein neuer Auftrag, sehr eilig. Den Roman, sagte die Lektorin, könne ich dafür erstmal beiseiteschieben, der hätte „alle Zeit der Welt“, der Erscheinungstermin sei nämlich auf nächstes Frühjahr verschoben.
Der Eilauftrag ist längst erledigt (pünktlich). Danach hatte ich kurz Pause, dann kamen die Korrekturen, die sind auch erledigt. Zwischendurch Kleinigkeiten, nicht wirklich viel zu tun. Der Roman liegt da immer noch. Seit Wochen. Ich bräuchte noch zwei oder drei Tage. Es ist schönes Wetter, ich gehe ein Eis essen, der Roman hat ja alle Zeit der Welt.

5 Kommentare

  1. sarn.ed Mittwoch, 9. Mai 2012 um 23:10 Uhr [Link]

    Hach…! Mir geht das Herz auf, wenn ich das lese! Vielen herzlichen Dank!

  2. Isabel Bogdan: Ich übersetze Bücher aus dem Englischen ins Deutsche | Ich mach was mit Büchern Donnerstag, 16. Januar 2014 um 23:21 Uhr [Link]

    […] Manchmal verfluche ich es, dass der Arbeitstag nicht von außen strukturiert ist. Es liegt alles in meiner Hand, alles hängt von meiner Selbstdisziplin ab, und das fällt mir nicht immer leicht. Ausführlicheres zum Freiberuflerleben habe ich hier geschrieben. […]

  3. Leander Wattig Freitag, 17. Januar 2014 um 00:21 Uhr [Link]

    Die folgenden sechs Fragen unserer Interview-Reihe werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Köpfen der Buchbranche beantwortet und die Interviews werden hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf jene lenken, die “was mit Büchern machen”, und die zum anderen die Veränderungen und Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen der Branche sichtbar werden lassen. Wenn Sie ebenfalls teilnehmen möchten, senden Sie Ihre Antworten und ein Bild von Ihnen bitte an Leander Wattig. Als Inspirationsquelle könnten Ihnen die bisherigen Interviews dienen. (Jedoch behalte ich mir vor, nicht alle Zusendungen zu veröffentlichen.)
    Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?
    Ich heiße Isabel Bogdan, und ich übersetze Bücher aus dem Englischen ins Deutsche.
    Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
    Das kommt sehr darauf an, wie nah der Abgabetermin ist. Je näher er rückt, desto länger wird mein Arbeitstag. Wenn er weit weg ist, lungere ich zu viel im Internet herum. Ein typischer Tag fängt auf jeden Fall damit an, dass ich ausschlafe. Ich weiß schon kaum noch, wie Wecker klingen; einer der Vorteile des Zuhausearbeitens. Wenn ich wach bin, setze ich mich mit dem ersten Kaffee an den Schreibtisch und lese erstmal Mails und Blogs und Facebook und Twitter und trödle herum. Je nachdem, wie nah der Abgabetermin ist, fange ich dann auch an zu arbeiten.
    Manchmal verfluche ich es, dass der Arbeitstag nicht von außen strukturiert ist. Es liegt alles in meiner Hand, alles hängt von meiner Selbstdisziplin ab, und das fällt mir nicht immer leicht. Ausführlicheres zum Freiberuflerleben habe ich hier geschrieben.
    Wenn ich ein Buch übersetze, fange ich damit an, dass ich es erstmal lese. Ich glaube, man muss als Übersetzer wissen, worauf es hinausläuft, und vor allem muss man sich eingrooven, ein Gespür für Tempo, Ton und Rhythmus des Autors finden, damit man es im Deutschen angemessen hinbekommt. Man muss die Figuren richtig kennen, damit die wörtliche Rede von Anfang an stimmig klingt. Und dann übersetze ich es von vorne nach hinten durch, und zwar lieber möglichst schnell und dafür mit mehreren Durchgängen. Wenn ich irgendwo nicht weiterkomme, weil ich etwas nicht so schnell recherchiert kriege, oder wenn ich mit einer Formulierung noch nicht gleich glücklich bin, dann frickle ich daran nicht lange herum, sondern mache erstmal weiter. Das hat drei Gründe: Erstens habe ich, wenn ich schneller vorankomme, ein besseres Gefühl für den Gesamttext, für den Textfluss. Wenn ich mich mit jedem Satz so lange beschäftige, bis er perfekt ist, habe ich am Ende schlimmstenfalls lauter tolle Sätze, aber keinen Text. Rhythmus und so etwas bekommt man nur mit, wenn man mitschwimmt, aber nicht, wenn man zu lange bei den Details verweilt. Zweitens klärt sich manches im Laufe der weiteren Übersetzung von ganz allein. Und drittens ist es besser für meine Psychohygiene, wenn ich das Gefühl habe, ein gutes Stück vorangekommen zu sein – auch wenn das Stück dann noch längst nicht fertig ist, sondern noch zwei- oder dreimal überarbeitet wird. Oft stellt sich dann heraus, dass eine Formulierung, mit der ich anfangs nicht so glücklich war, oder unsicher, doch die einzig wahre ist. Oder ich weiß beim nächsten Lesen plötzlich sofort, wie es heißen muss und frage mich, wieso ich da nicht gleich drauf gekommen bin.
    Die fertige Übersetzung schicke ich dann an die zuständige Lektorin, die es korrigiert – normalerweise mit der Korrekturfunktion in Word, sodass ich ihre Änderungsvorschläge annehmen oder ablehnen kann. Über die Punkte, an denen wir uns nicht gleich schriftlich einig werden, telefonieren wir dann meist noch mal. Und ein paar Wochen später kommt die Fahne, in der immer noch ein paar Kleinigkeiten zu finden sind.
    Wie hat sich Ihre Arbeit über die Zeit verändert?
    Mein erstes Buch habe ich über Silvester 2000 übersetzt. Da war das Internet noch lange nicht das, was es jetzt ist. Wie Leute in Vor-Internet-Zeiten übersetzt haben, mag ich mir schon gar nicht mehr vorstellen – selbst mit vielen Stunden in großen Bibliotheken hatte man sicher nicht die Informationsfülle zur Verfügung, die wir heute auf einen Mausklick haben. Gerade bei aktuellen Themen, etwa bei Anspielungen auf Fernsehserien, Jugendsprache und so weiter, ist das Internet ein Segen. Anfangs habe ich noch dauernd Fachwörterbücher gekauft, wenn es sie gerade günstig irgendwo gab. Da gucke ich schon seit Jahren nicht mehr rein, weil ich eigentlich alles im Internet schneller finde. Wer allerdings Klassiker neu übersetzt, wird vielleicht doch eher eine Bibliothek zu schätzen wissen.
    Für mich ganz persönlich hat sich in den letzten Jahren ein bisschen zu wenig verändert, ich habe jetzt Lust auf etwas Neues. Nicht radikal, ich übersetze immer noch sehr gerne, und das möchte ich auch weiterhin tun, aber es kommen neue Tätigkeiten hinzu. Ich fange an, selbst zu schreiben, mein erstes eigenes Buch („Sachen machen“) ist vor anderthalb Jahren bei Rowohlt erschienen, und im Moment arbeite ich an einem eigenen Roman; der Vorsatz für 2014 ist, mehr für Geld zu schreiben, vielleicht für eine Zeitschrift, eine Kolumne oder etwas in der Art; manchmal gebe ich Seminare für Übersetzer; ich würde gern öfter Literaturveranstaltungen moderieren und selbst mehr Lesungen machen; und ich denke immer mal wieder darüber nach, in eine Bürogemeinschaft zu gehen. Denn eigentlich bin ich zu kommunikativ für eine so einsame Tätigkeit.
    Was ist ein Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?
    Abgesehen von den bereits beschriebenen „Problemen“ Selbstdisziplin und Einsamkeit sind die eigentlichen Übersetzungs„probleme“ das, was mir an der Arbeit am meisten Spaß macht. Wenn einem dann doch eine Knaller-Lösung für ein vermeintlich unübersetzbares Wortspiel einfällt, wenn die wörtliche Rede schön plausibel klingt, wenn man einfach mal etwas wagt, weil man meint, dass es dem Text guttut, das sind die Momente, in denen es am meisten Spaß macht.
    Ein echtes Problem ist nach wie vor die Bezahlung der Übersetzer. Ein ewiger Kampf. Gegen Windmühlen, scheint’s.
    Wer sollte Sie ggf. kontaktieren – welche Art von Kontakten wäre zurzeit hilfreich für Sie?
    Verlagslektoren immer gerne! Für Übersetzungen sowieso, gern gehobene Unterhaltungsliteratur. Aber auch für eigene Buchprojekte. Mein Roman wird von einer Agentin vertreten und ist demnächst so weit, dass ich etwas vorzeigen kann. Ich habe aber auch schon ein paar neue Ideen und bin für Vorschläge offen. Desweiteren würde ich mich über Kontakt zu Zeitschriften und Zeitungen freuen, für die ich am liebsten im Stile von Sachen machen alles mögliche ausprobieren würde. Ideen gibt es genug.
    Wo finden wir Sie im Internet?
    Auf isabelbogdan.de, auf Twitter, und auf Facebook und Xing.
    Vielen Dank für Ihre Zeit!
    Bildquelle: Klaus Friese

  4. stedtenhopp Freitag, 17. Januar 2014 um 21:31 Uhr [Link]

    Der Satz über das Erwachsenwerden und das Akzeptieren hat mir den Tag gerettet. Ganz ernst gemeint. Danke!!

  5. NathI Sonntag, 7. November 2021 um 17:28 Uhr [Link]

    Hallo Isabel ich danke dir für diesen Beitrag
    Ich arbeite in meiner eigenen kleinen Werkstatt und mache immer mal ein kleines Projekt um auch „etwas dazu beizutragen“
    Es tut gut von dir zu lesen das man akzeptieren muss da man eben „so“ arbeitet
    Mein Umfeld sieht mich nebenbei den Haushalt machen und mich um mein Kind kümmern.
    Die Aussage die ich dann immer zu hören bekomme ist „Tja als Hausfrau und Mama hat man ja nix besseres zu tun “
    Deswegen danke dafür.
    Das tat echt gut zu Lesen
    Liebe Grüße

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