Das Böse™
Wahrscheinlich gibt es so viele Übersetzungsansätze wie Übersetzer. Jeder hat seine eigenen Theorien, Vorlieben und Vorgehensweisen; viele – Übersetzer, Lektoren, Kritiker, Leser – haben sogar eigene Wahrheiten, die sie für die allein gültigen halten. Die Wahrheiten des einen müssen aber nicht die Wahrheiten des anderen sein. Nur bei einem Thema sind sich scheinbar alle einig: wir alle wissen, was Das Böse™ ist, das Schlimme, das no-go, was überhaupt niemals nicht geht. Und wenn es uns doch einmal passiert, versehentlich, schämen wir uns in Grund und Boden, und zwar, findet die versammelte Gemeinde, zu Recht. Das Böse™ sind (man stelle sich hier einen langsamen, unheilverkündenden Basslauf vor): Anglizismen.
Anglizismen kommen in unterschiedlichen Darreichungsformen und Packungsgrößen daher. Manchmal werden einfach englische Wörter benutzt, das lässt man uns noch am ehesten durchgehen. Cool zum Beispiel streicht einem keine Lektorin mehr raus, Mum und Dad haben sich längst eingebürgert, oder in bestimmten Büchern sogar die Cops. Hier und da ein englisches Wort verleiht einem Text ja auch Lokalkolorit, das hat man ganz gerne. Solange es in einem gesunden Maß verwendet wird, versteht sich. Wieviel „gesund“ ist, ist natürlich eine Gratwanderung.
Jil Sander sagte einmal: „Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 1996.) Meine kleine Privatmeinung hält diese Menge englischer Vokabeln jedenfalls nicht für „gesund“.
Eine andere Sorte Anglizismus ist es, wenn man zwar die Wörter übersetzt, dann aber mit deutschen Wörtern den englischen Satzbau nachbildet („Es ist, ist es nicht?“ Überhaupt: Asterix bei den Briten!). Dann liest sich der Text nicht flüssig, sondern „irgendwie übersetzt“, das möchte niemand, das versuchen wir alle zu vermeiden.
Und dazwischen gibt es alle möglichen Arten von Lehnübersetzungen und -übertragungen von Wörtern und Grammatik und so weiter, keine Sorge, das soll hier keine sprachwissenschaftliche Abhandlung werden.
Ich gehe davon aus, dass kein Übersetzer, keine Lektorin, kein Leser möchte, dass wir so schreiben wie Jil Sander im obigen Beispiel spricht. Es möchte auch niemand, dass unser Satzbau immer den englischen nachbildet, es soll ja ein deutscher Text sein. Wahrscheinlich herrscht in diesen beiden Punkten Einigkeit. Interessant wird es dazwischen, in der Mitte. Denn in Wahrheit gibt es Das Böse™ nur im Märchen. Sprache funktioniert nicht so. Vieles mag richtig oder falsch sein, aber dazwischen verläuft keine Grenze, sondern eher eine Schnittmenge. Dinge, die weder richtig noch falsch sind, oder sowohl richtig als auch falsch, und die je nach Kontext ganz unterschiedlich behandelt werden müssen. Und das ist der Punkt, an dem das Übersetzen (ebenso wie das Schreiben) interessant wird.
Sprache ist nichts Statisches, Sprache hat sich schon immer verändert und weiterentwickelt. Und zwar vornehmlich unter dem Einfluss anderer Sprachen. Ein Wort oder eine Formulierung dringt aus einer anderen Sprache ein – früher war das Französisch oder Latein, heute eben vor allem das Englische – wird assimiliert und gehört irgendwann zu unserer Sprache, als wäre es schon immer dagewesen. Die grundlegende Frage ist also: wie lange empfinden wir Anglizismen als „falsch“ (und damit verachtenswert und zu vermeiden), und ab wann akzeptieren wir sie als Sprachwandel und nehmen sie in unseren Wortschatz auf? In wieweit wollen, sollen, müssen wir als Übersetzer sprachbewahrend wirken und die deutsche Sprache vor ausländischen Einflüssen schützen, und in wieweit wollen wir eine plausible Sprache schreiben, so, wie sie nun mal verwendet wird, mitsamt Anglizismen?
Denn die Leute sagen nun mal „das macht Sinn“ und „nicht wirklich“. Diese Leute, die so was sagen, sind zum Beispiel ich. Jawohl, ich sage, wenn ich spreche, „nicht wirklich“. In einem eigenen Text würde ich es vielleicht sogar schreiben. In einer Übersetzung vermutlich eher nicht. „Das macht Sinn“ sage ich ebenfalls, würde ich in einer Übersetzung aber auf keinen Fall verwenden. Denn vor meinem geistigen Auge sehe ich sofort empörte Studienräte den Kopf schütteln. Ich höre sie murmeln „eine Übersetzerin muss doch bitte wissen, dass das ein Anglizismus ist.“ Ja herrje, weiß sie auch – na und? Wenn man nun mal so spricht, was ist daran so schlimm?
Aber auch der Einsatz dieser Sorte von Anglizismen ist natürlich eine Frage der Dosierung. „Ich habe gerade realisiert, dass das nicht wirklich Sinn macht“ wäre auch mir too much, wenn Sie verstehen, was ich meine. Überhaupt gibt es auch bei Anglizismen starke persönliche Vorlieben und Abneigungen. Manche benutzt man selbst, manche sind einem egal, manche machen einen wahnsinnig. Bei denen, die man selbst benutzt, versteht man nicht, wieso andere sich so darüber aufregen. Und umgekehrt.
Eine Lektorin strich mir „Sex haben“ aus einem Text, weil das ein Anglizismus (wir erinnern uns: Das Böse™) sei. Ich weiß, dass vor allem einige ältere Kolleginnen das auch so sehen. Ich bin aber der Meinung, dass es erstens schon so fest und so lange eingebürgert ist, dass das schon nicht mehr als Anglizismus gelten kann, und es zweitens schlicht kein vergleichbares „deutscheres“ Wort gibt. Geschlechtsverkehr haben? Klingt nach Biounterricht, aber das sagt doch niemand. „Mit jemandem/einander schlafen“, na gut, aber das ist so brav und außerdem sperrig. Die Lektorin schrieb mir „bumsen“ ins Manuskript, da musste ich dann doch mal kurz lachen. Wann hat man das gesagt, in den Siebzigern? Neeneenee, es heißt „Sex haben“, fertig. An dieser Stelle jedenfalls, anderswo gibt es noch andere Möglichkeiten, klar.
Eine befreundete Autorin hingegen hatte einmal in wörtlicher Rede geschrieben: „Du siehst ja mal wieder schlimm untervögelt aus“, und ihre Lektorin hatte daraus gemacht: „Du siehst aus, als hättest Du schon länger keinen Sex mehr gehabt.“ Da drängt sich doch – obwohl es natürlich eine andere Lektorin war – der Verdacht auf, dass die Anglizismusangst bei Übersetzungen viel tiefer sitzt als bei Originaltexten. Mir wird „Sex haben“ rausgestrichen, der Autorin hingegen wird es reingeschrieben. Wohl aus Angst, „untervögelt“ sei zu vulgär, was natürlich Absicht war, weil die Figur … aber ich schweife ab. Desweiteren habe ich den Verdacht, dass Anglizismen – also die eingebürgerten, die wir in gesprochener Sprache täglich benutzen – bei Übersetzungen aus dem Französischen oder Japanischen vielleicht gar nicht weiter auffallen. Ebenso wenig wie in deutschen Originalen. Aber was aus dem Englischen übersetzt ist, muss in jeder Hinsicht so deutsch wie möglich sein.
Ich will hier gar nicht dafür plädieren, unbedingt mehr Anglizismen zu verwenden. Sondern dafür, sich mal lockerzumachen. Bisschen relaxen, you know? Denn krampfhaftes Anglizismenvermeiden führt nur dazu, dass der Text hinterher glattgebügelt und leblos wirkt. Das gefürchtete „Übersetzerdeutsch“, womöglich ohne Fehl und Tadel, aber eben auch ohne Leben. In diesem Sinne: Anglizismen for the win! Lasst uns für es gehen!
Vivienne Vernier Mittwoch, 24. August 2011 um 12:12 Uhr [Link]
Ich danke für diese Erläuterung. Und gestehe, dass mir, als Leserin, in einer Übersetzung der glatte Fluss des Textes wichtiger ist, als eine wörtlich genau übersetzte Passage, die stolpert. Konkret denke ich an John Fante, den Aex Capus so wunderbar übersetzt hat.
Isabel Bogdan Mittwoch, 24. August 2011 um 12:30 Uhr [Link]
Ja, natürlich. Genau darum geht es ja beim Übersetzen.
Stefan Montag, 2. Januar 2012 um 19:20 Uhr [Link]
And the eye eats yes finally with!