Es ist kompliziert

Ein Gastbeitrag von Susanne Dirkwinkel

„Es ist kompliziert“: Dieser Satz beschreibt die Beziehung zwischen mir und meinem Klavier wohl immer noch am besten. Wir arbeiten daran, dass es weniger kompliziert wird und deswegen geht es diese Woche in die Werkstatt.

In der Zwischenzeit kann ich die Geschichte dazu erzählen.
Klavierunterricht war in meinem Falle eine freiwillige Angelegenheit. Ein ausdrücklicher Wunsch sogar. Der erste Unterrichtsversuch war zwar eine Katastrophe und das erste Instrument kein Klavier, sondern ein Zustand in Form einer elektronischen Heimorgel. Aber irgendwann stiegen meine beiden Schwestern mit ein, ein echtes Klavier kam ins Haus und wir zu einem richtigen Lehrer.
Das ging so bis zur Oberstufe. Dann, nach dem Abitur, kam ein großes, schwarzes Loch. Kein Klavier mehr, kein Unterricht mehr; keine nennenswerte Verbindung mehr zum aktiven Musizieren. Zehn Jahre lang.

Bis zu dem Tag, an dem ein Freund zu mir diesen Satz sagte: „Ich finde, in jedem Haushalt sollte ein Instrument stehen.“ „Klick!“, machte es bei mir, und von jetzt auf gleich wollte ich wieder ein Klavier haben.

Ich fing an zu suchen und fand. Es war Liebe auf den ersten Ton. Aber es war kompliziert, denn etwas war unterbrochen zwischen meinem Kopf und meinen Händen. Ich konnte nicht spielen, was ich hören wollte. Das hatte nichts mit übertriebenem Ehrgeiz zu tun. Alles, was ich wollte, war, mich ausdrücken können und mir selbst nicht wehtun dabei. Das klappte nicht. Egal, was ich versuchte.

Über lange Zeit blieb das so, und es gab immer wieder Phasen, in denen ich monatelang keinen Ton spielte. Dennoch, nie wäre mir in den Sinn gekommen, das Klavier wieder wegzugeben. Ich ahnte: Es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts und es fehlt noch etwas. Eines Tages finde ich es vielleicht.

Und dann, am 30. Jahrestag des Starts der Voyager 1-Mission, saß ich mit Frau F. im Planetarium und sah einer nicht ganz unprominenten Dame dabei zu, wie sie am Flügel mein Lieblingsklavierstück zerholzte. Ich hatte das Stück lange nicht gehört und noch länger nicht versucht, es zu spielen. Trotzdem sprang während dieser fragwürdigen Performance ein ebenso ketzerischer wie absurder Satz in meinen Kopf: „Das könntest du besser!“ Technisch nie, aber vom Gefühl her.

Wenige Minuten später sahen wir eine Projektion der Voyager 1-Sonde an der Sternenkuppel und hörten dazu ein Musikstück, das absolut perfekt dazu passte und mir anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bemühte meinen damaligen Kontakt beim Planetarium, bekam Interpret und Titel genannt und begab mich auf die Suche. Ich stellte sehr schnell fest, dass die gehörte Version des Stücks mit dem treffenden Titel „Numero Uno“ offenbar nur auf einer CD enthalten war. Ein Blick auf die Tracklist: Ok, Du hast mich. Es gibt noch mehr davon? Gekauft.

Lieferung abwarten. Anhören. Nochmal anhören. Und nochmal. Und wieder. Dabei bei einem der Stücke wieder einen Satz im Kopf haben. Einen, den ich jahrelang nicht gedacht hatte. „Ob es dazu wohl Noten gibt?“

Es gab. Rund drei Wochen nach dem Abend im Planetarium versuchte ich mich zum ersten Mal an Ludovico Einaudis „Le Onde“.

Dann hat es, und hier muss ich abkürzen, noch einmal 5 Jahre und 10 Monate gedauert, bis der letzte Knoten platzte, ich es endlich mit Schwung durchspielen konnte und bis aus Tastengestolper so etwas wie Musik wurde. Diesmal mit einem „Klick“, der, wenn es dort ein Ohr dafür gibt, vermutlich irgendwann noch im interstellaren Raum zu hören sein wird. Da ist Voyager 1 nämlich gerade.

Dummerweise ist es genau deshalb immer noch ziemlich kompliziert. Aber wir arbeiten dran, mein Klavier und ich, und wenn es aus der Werkstatt kommt, geht das auch endlich 24/7. Den Nachbarn zum Trotze.

Fortsetzung folgt.

6 Kommentare

  1. friederike Mittwoch, 27. Mai 2015 um 12:36 Uhr [Link]

    oha, ich habe mir soeben – knappe 30 Jahre nach der letzten Unterrichtsstunde – wieder ein Klavier angeschafft und arbeite mich nun sehr mühsam an das entsetzliche „Für Elise“ heran. Wir haben so gesehen hier auf dem Dorf keine Nachbarn, und wenn das mit mir und dem Klavier so weitergeht, werden wir auch nie welche bekommen. Glück auf!

  2. Isabel Bogdan Mittwoch, 27. Mai 2015 um 12:46 Uhr [Link]

    Aber warum fängst du mit etwas an, was du entsetzlich findest?

  3. LiFe Mittwoch, 27. Mai 2015 um 13:31 Uhr [Link]

    Ich musste so an meine alte Klavierlehrerin denken! Einmal sagte sie: „Soso, über Mondscheinsonate auf Hänchen Klein!“ Komisch, dass ich ihre spitze Bemerkung bis heute nicht vergesse! Noch heute werde ich Noten von Ludovico bestellen. Hier noch ein Tipp: Two More Red Wine von Michael Peter Schäfer. Ein fantastisches Stück! Ein Muss!

  4. Susanne Mittwoch, 27. Mai 2015 um 15:13 Uhr [Link]

    LiFe: Machen – einige Stücke von Ludovico Einaudi sind nahezu perfekt als Wiedereinstiegsdroge! Und danke für den Tipp.

    Zum Thema „Über Mondscheinsonate auf Hänschen Klein“: Solche Bemerkungen sind pures Gift. Was nutzt es, wenn man die Mondscheinsonate technisch irgendwann mal „konnte“ und dann immer wieder daran scheitert, weil nach Jahren die Hürde einfach zu groß geworden ist? Ich spiele dann ja lieber „Hänschen Klein“ gut (und definiere dabei selbst, was „gut“ ist) als die Mondscheinsonate schlecht. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob solche Menschen wie Deine ehemalige Klavierlehrerin ahnen, was sie mit ihren Bemerkungen und dem zugehörigen Tonfall anrichten können.

  5. Friederike Donnerstag, 28. Mai 2015 um 11:04 Uhr [Link]

    @isabel: weil ich mich brav an das kleine Lernbüchlein halte und Schritt für Schritt da durchgehe, mit der mir leider manchmal eigenen preußischen Disziplin und ohne groß nachzudenken, komme was wolle. Lektion Eins war „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Das kann ich jetzt also schon mal.

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  • 💬 Susanne Dirkwinkel

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