„Sachen machen“
Meine neue Kolumne ist da! Diesmal war ich in der Unsichtbar essen. Bitte das Logo anklicken.
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Jippie! Ich habe eine neue Kolumne. Sie heißt „Sachen machen“, und es geht diesmal nicht ums Übersetzen, sondern darum, dass ich alles mögliche ausprobiere, ähnlich wie damals™ in der Rubrik Fit und Well.
Zum Auftakt erzähle ich, wie das mit dem Bootfahren war.
Oder genauer: Warum ich englischsprachige Literatur nicht im Original lese.
Um es gleich zu sagen: Warum sollte ich?
Ich bin Übersetzerin, ich habe beruflich den ganzen Tag ein englisches Buch vor der Nase und befasse mich intensiv damit. Was ich darüber hinaus zum Spaß lese, muss nicht auch noch auf Englisch sein. Zum einen deswegen, weil ich mein Übersetzergehirn nicht einfach ausschalten kann – wenn ich Englisch lese, läuft in meinem Kopf immer die Übersetzung mit, wie Untertitel. Ich bleibe an Formulierungen hängen, weil ich überlege, wie ich sie übersetzen würde, ich will nachschlagen, wenn ich ein Wort nicht kenne, statt es einfach zu überlesen, und ich will mir eine Notiz machen, wenn mir spontan eine schöne deutsche Wendung einfällt. Das alles hält nicht nur auf, es hemmt nicht nur den Lesefluss, sondern es nervt auch kolossal.
Zweitens fällt es mir schlicht leichter, Deutsch zu lesen als Englisch. Fremdsprachenkompetenz hin oder her, Deutsch ist meine Muttersprache, natürlich liest sich das leichter. Ähnlich wie die Untertitel beim Englischlesen habe ich allerdings auch beim Deutschlesen immer den Rotstift im Kopf. Ich korrigiere in Gedanken, permanent. Auch im Deutschen denke ich ständig über Formulierungen nach, finde die eine hübsch und möchte sie mir merken, die andere gerade nicht. Aber es nervt nicht so wie das ewige Mitübersetzen beim Englischlesen.
Und drittens und wichtigstens schmort man als Übersetzer normalerweise sehr im eigenen Saft. Wir sitzen allein zu Hause am Schreibtisch und produzieren Text, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Der wird dann zwar noch lektoriert, aber es besteht doch eindeutig die Gefahr, sich Macken anzugewöhnen, persönliche Vorlieben und Idiosynkrasien überhand nehmen zu lassen, immer dieselben Lieblingsformulierungen zu benutzen und immer dieselben Ungeschicklichkeiten zu begehen, weil man sie einfach nicht bemerkt. Und deswegen ist es umso wichtiger, regelmäßig das Deutsch anderer Leute zu tanken. Ob diese anderen Leute Autoren oder Übersetzer sind, ist dabei eigentlich egal, denn wichtig ist ja nicht, ob sie sich eine Geschichte ausdenken können, sondern ob sie Deutsch können. Und das, stellt der Rotstift in meinem Kopf immer wieder fest, können Autoren und Übersetzer gleich gut. Oder gleich schlecht. Es gibt Autoren, die ein wunderbares Deutsch schreiben, und es gibt Autoren, die den Konjunktiv nicht beherrschen oder Probleme mit Relativsätzen haben. Es gibt Übersetzer, die ein wunderbares Deutsch schreiben, und es gibt Übersetzer, die den Konjunktiv nicht beherrschen oder Probleme mit Relativsätzen haben. Den Übersetzern werden sprachliche Schwächen allerdings eher angekreidet als den Autoren; wer Probleme mit Relativsätzen hat, kann durchaus einen deutschen Buchpreis bekommen, aber keinen Übersetzerpreis.
Den Rotstift habe ich sowieso im Kopf, egal, ob ein Buch auf Deutsch geschrieben oder ins Deutsche übersetzt wurde. Und ich merke relativ schnell, ob ich ihn beiseite legen und mich entspannen kann, oder eben nicht. Bei vielen Autoren und Übersetzern kann ich es, bei manchen nicht, und wenn es ganz schlimm ist, kann ich das Buch nicht zu Ende lesen, weil ich zu pingelig bin und mich aufregen muss. Das gilt für deutsche Originale ebenso wie für übersetzte Bücher.
Viertens schließlich bin ich neugierig und möchte oft einfach mal etwas von einem bestimmten Kollegen lesen. Natürlich gibt es auch Kollegen, von denen ich nichts mehr lesen will. Es gibt ja auch Autoren, von denen ich nichts mehr lesen will.
Ja, aber!, höre ich es da rufen, große Autoren muss man doch! Im Original! Weil! – Ja, warum eigentlich? Weil, erstens, das Original so was Ähnliches wie heilig ist, und eine Übersetzung so was wie eine Fälschung. Als Übersetzer merkt man allerdings irgendwann, dass Originale gar nicht so heilig sind, dass auch große Autoren tatsächlich Menschen sind, die Fehler machen und Ungeschicklichkeiten begehen, und dass nicht jeder einzelne ihrer Sätze gut, wahr und schön ist. Man hat sogar schon von Übersetzungen gehört, die besser gewesen seien als das Original. Der zweite Grund, der gerne für das Original angeführt wird, ist, dass man vieles doch gar nicht übersetzen könne. Dass es doch Wortspiele und sprachliche Besonderheiten eines Autors und gewollte Ecken und Kanten gebe, die sich gar nicht direkt übertragen lassen. Das stimmt natürlich. Und stimmt natürlich auch nicht. Es ist nämlich so: man kann ja sowieso keine Wörter übersetzen, fast nie. Aber Texte kann man übersetzen. Fast immer (vgl. hier). Und wenn es ein wortspielreicher Text ist, bin ich umso gespannter, was der Übersetzer daraus gemacht hat.
Ich glaube an meinen Beruf. Und ich liebe meine Sprache. Deswegen lese ich gerne auf Deutsch.
Gestern habe ich gehört, es gebe da ein Luxushotel auf Sylt, dessen Bibliothek von Elke Heidenreich eingerichtet wurde. Nun teile ich Frau Heidenreichs Buchgeschmack nicht unbedingt, und ich weiß natürlich auch nicht, ob sie wirklich einzeln und von Hand Bücher ausgewählt hat, oder ob das jemand anderes war und sie nur hinterher ihren Namen druntergesetzt hat.
Aber. Was für ein Traumjob! Es war mir noch nie in den Sinn gekommen, dass ja jemand so was tun muss. Liebe Hotels und sonstige Institutionen: ich bin Eure Frau! Ich würde wundervolle Bibliotheken zusammenstellen, ganz nach Ihren Wünschen. Einige Klassiker natürlich, aber auch viel Aktuelles, die Must-haves ebenso wie ein paar obskure Titel (sodass die Gäste denken: oh, da war jemand mit Sachverstand am Werk). Selbstverständlich würde ich auch einiges von unabhängigen Kleinverlagen kaufen. Eine gute Mischung aus deutschen Originalen und übersetzter Literatur, den ein oder anderen Titel auch auf Englisch, auf Wunsch auch ein wenig Französisch, Spanisch, Italienisch, andere Sprachen. Ich würde keine gesammelten Werke anschaffen, keinen halben Meter Goethe in Blau, sodass am Ende eine Möbelhausdekoration daraus wird. Nein, ich richte Ihnen eine richtige Bibliothek ein, eine Bibliothek von einer Leserin für Leser, die aussieht wie ein gewachsener Buchbestand. Selbstverständlich gäbe es auch eine Sektion mit hochwertigen Bildbänden, die Bibliothek würde sehr schön aussehen. Keine Reklamhefte, wenig Taschenbücher, viel Gebundenes. Natürlich an das Gästeprofil angepasst, ich wähle nicht nur nach meinem eigenen Geschmack aus, sondern denke auch an Krimi- und Chick-Lit-Leserinnen und an Sachbuchleser. Natürlich kann ich auch Bibliotheken mit bestimmten thematischen Schwerpunkten einrichten. Hätten Sie es gern amerika- oder asienlastig? Besonders viel Literatur über das Meer? Die Ecke mit den Kinderbüchern etwas umfangreicher? Alles kein Problem.
Ich betreue die Bibliothek auch gern weiterhin, suche monatlich oder vierteljährlich die schönsten und interessantesten Neuerscheinungen raus, alles im festgelegten Preisrahmen natürlich. Ach, das wird toll, ich gerate schon richtig in Begeisterung, kann mir bitte jemand einen solchen Auftrag erteilen? Ich komme vorbei, gucke mir die Räumlichkeiten an, messe die Regalmeter aus (natürlich kann ich auch bei der Auswahl der Möbel behilflich sein, wenn Sie dafür nicht auf einem Innenarchitekten bestehen) und rechne hoch, was es kostet, diese Regalmeter mit Büchern zu bestücken. Und dann kaufe ich ein. Die entsprechenden Kontakte habe ich, ich kenne Buchhändler, Verlegerinnen, Lektoren und Presseleute in Großverlagen und so weiter. Ich bin ja nicht nur Leserin.
Und zu guter Letzt gehören in so eine Bibliothek auch Lesungen, und Lesungen organisiere ich nun wirklich schon seit Jahren und kenne Autorinnen und Übersetzer (Übersetzerinnen machen tolle Lesungen, sie können ganz anders über Bücher sprechen als Autoren), von der flotten Krimiautorin über den Sachbuchübersetzer bis zur Buchpreisnominierten.
Hach. Das wird schön.
Wahrscheinlich gibt es so viele Übersetzungsansätze wie Übersetzer. Jeder hat seine eigenen Theorien, Vorlieben und Vorgehensweisen; viele – Übersetzer, Lektoren, Kritiker, Leser – haben sogar eigene Wahrheiten, die sie für die allein gültigen halten. Die Wahrheiten des einen müssen aber nicht die Wahrheiten des anderen sein. Nur bei einem Thema sind sich scheinbar alle einig: wir alle wissen, was Das Böse™ ist, das Schlimme, das no-go, was überhaupt niemals nicht geht. Und wenn es uns doch einmal passiert, versehentlich, schämen wir uns in Grund und Boden, und zwar, findet die versammelte Gemeinde, zu Recht. Das Böse™ sind (man stelle sich hier einen langsamen, unheilverkündenden Basslauf vor): Anglizismen.
Anglizismen kommen in unterschiedlichen Darreichungsformen und Packungsgrößen daher. Manchmal werden einfach englische Wörter benutzt, das lässt man uns noch am ehesten durchgehen. Cool zum Beispiel streicht einem keine Lektorin mehr raus, Mum und Dad haben sich längst eingebürgert, oder in bestimmten Büchern sogar die Cops. Hier und da ein englisches Wort verleiht einem Text ja auch Lokalkolorit, das hat man ganz gerne. Solange es in einem gesunden Maß verwendet wird, versteht sich. Wieviel „gesund“ ist, ist natürlich eine Gratwanderung.
Jil Sander sagte einmal: „Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 1996.) Meine kleine Privatmeinung hält diese Menge englischer Vokabeln jedenfalls nicht für „gesund“.
Eine andere Sorte Anglizismus ist es, wenn man zwar die Wörter übersetzt, dann aber mit deutschen Wörtern den englischen Satzbau nachbildet („Es ist, ist es nicht?“ Überhaupt: Asterix bei den Briten!). Dann liest sich der Text nicht flüssig, sondern „irgendwie übersetzt“, das möchte niemand, das versuchen wir alle zu vermeiden.
Und dazwischen gibt es alle möglichen Arten von Lehnübersetzungen und -übertragungen von Wörtern und Grammatik und so weiter, keine Sorge, das soll hier keine sprachwissenschaftliche Abhandlung werden.
Ich gehe davon aus, dass kein Übersetzer, keine Lektorin, kein Leser möchte, dass wir so schreiben wie Jil Sander im obigen Beispiel spricht. Es möchte auch niemand, dass unser Satzbau immer den englischen nachbildet, es soll ja ein deutscher Text sein. Wahrscheinlich herrscht in diesen beiden Punkten Einigkeit. Interessant wird es dazwischen, in der Mitte. Denn in Wahrheit gibt es Das Böse™ nur im Märchen. Sprache funktioniert nicht so. Vieles mag richtig oder falsch sein, aber dazwischen verläuft keine Grenze, sondern eher eine Schnittmenge. Dinge, die weder richtig noch falsch sind, oder sowohl richtig als auch falsch, und die je nach Kontext ganz unterschiedlich behandelt werden müssen. Und das ist der Punkt, an dem das Übersetzen (ebenso wie das Schreiben) interessant wird.
Sprache ist nichts Statisches, Sprache hat sich schon immer verändert und weiterentwickelt. Und zwar vornehmlich unter dem Einfluss anderer Sprachen. Ein Wort oder eine Formulierung dringt aus einer anderen Sprache ein – früher war das Französisch oder Latein, heute eben vor allem das Englische – wird assimiliert und gehört irgendwann zu unserer Sprache, als wäre es schon immer dagewesen. Die grundlegende Frage ist also: wie lange empfinden wir Anglizismen als „falsch“ (und damit verachtenswert und zu vermeiden), und ab wann akzeptieren wir sie als Sprachwandel und nehmen sie in unseren Wortschatz auf? In wieweit wollen, sollen, müssen wir als Übersetzer sprachbewahrend wirken und die deutsche Sprache vor ausländischen Einflüssen schützen, und in wieweit wollen wir eine plausible Sprache schreiben, so, wie sie nun mal verwendet wird, mitsamt Anglizismen?
Denn die Leute sagen nun mal „das macht Sinn“ und „nicht wirklich“. Diese Leute, die so was sagen, sind zum Beispiel ich. Jawohl, ich sage, wenn ich spreche, „nicht wirklich“. In einem eigenen Text würde ich es vielleicht sogar schreiben. In einer Übersetzung vermutlich eher nicht. „Das macht Sinn“ sage ich ebenfalls, würde ich in einer Übersetzung aber auf keinen Fall verwenden. Denn vor meinem geistigen Auge sehe ich sofort empörte Studienräte den Kopf schütteln. Ich höre sie murmeln „eine Übersetzerin muss doch bitte wissen, dass das ein Anglizismus ist.“ Ja herrje, weiß sie auch – na und? Wenn man nun mal so spricht, was ist daran so schlimm?
Aber auch der Einsatz dieser Sorte von Anglizismen ist natürlich eine Frage der Dosierung. „Ich habe gerade realisiert, dass das nicht wirklich Sinn macht“ wäre auch mir too much, wenn Sie verstehen, was ich meine. Überhaupt gibt es auch bei Anglizismen starke persönliche Vorlieben und Abneigungen. Manche benutzt man selbst, manche sind einem egal, manche machen einen wahnsinnig. Bei denen, die man selbst benutzt, versteht man nicht, wieso andere sich so darüber aufregen. Und umgekehrt.
Eine Lektorin strich mir „Sex haben“ aus einem Text, weil das ein Anglizismus (wir erinnern uns: Das Böse™) sei. Ich weiß, dass vor allem einige ältere Kolleginnen das auch so sehen. Ich bin aber der Meinung, dass es erstens schon so fest und so lange eingebürgert ist, dass das schon nicht mehr als Anglizismus gelten kann, und es zweitens schlicht kein vergleichbares „deutscheres“ Wort gibt. Geschlechtsverkehr haben? Klingt nach Biounterricht, aber das sagt doch niemand. „Mit jemandem/einander schlafen“, na gut, aber das ist so brav und außerdem sperrig. Die Lektorin schrieb mir „bumsen“ ins Manuskript, da musste ich dann doch mal kurz lachen. Wann hat man das gesagt, in den Siebzigern? Neeneenee, es heißt „Sex haben“, fertig. An dieser Stelle jedenfalls, anderswo gibt es noch andere Möglichkeiten, klar.
Eine befreundete Autorin hingegen hatte einmal in wörtlicher Rede geschrieben: „Du siehst ja mal wieder schlimm untervögelt aus“, und ihre Lektorin hatte daraus gemacht: „Du siehst aus, als hättest Du schon länger keinen Sex mehr gehabt.“ Da drängt sich doch – obwohl es natürlich eine andere Lektorin war – der Verdacht auf, dass die Anglizismusangst bei Übersetzungen viel tiefer sitzt als bei Originaltexten. Mir wird „Sex haben“ rausgestrichen, der Autorin hingegen wird es reingeschrieben. Wohl aus Angst, „untervögelt“ sei zu vulgär, was natürlich Absicht war, weil die Figur … aber ich schweife ab. Desweiteren habe ich den Verdacht, dass Anglizismen – also die eingebürgerten, die wir in gesprochener Sprache täglich benutzen – bei Übersetzungen aus dem Französischen oder Japanischen vielleicht gar nicht weiter auffallen. Ebenso wenig wie in deutschen Originalen. Aber was aus dem Englischen übersetzt ist, muss in jeder Hinsicht so deutsch wie möglich sein.
Ich will hier gar nicht dafür plädieren, unbedingt mehr Anglizismen zu verwenden. Sondern dafür, sich mal lockerzumachen. Bisschen relaxen, you know? Denn krampfhaftes Anglizismenvermeiden führt nur dazu, dass der Text hinterher glattgebügelt und leblos wirkt. Das gefürchtete „Übersetzerdeutsch“, womöglich ohne Fehl und Tadel, aber eben auch ohne Leben. In diesem Sinne: Anglizismen for the win! Lasst uns für es gehen!