Rafael Yglesias (Cornelia Holfelder-von der Tann): Glückliche Ehe

Glückliche Ehe, ja. Aber zu kurz. Enrique und Margaret lernen sich mit Anfang zwanzig kennen, Margaret studiert, Enrique hat die Schule abgebrochen und schon die ersten Romane veröffentlicht. Eine leichte, sehr romantische, aber auch von Selbstzweifeln geplagte Kennenlerngeschichte, wie sowas eben so ist. Diese Geschichte wird kapitelweise im Wechsel erzählt mit der anderen Geschichte, der Geschichte des Endes dieser glücklichen Ehe: neunundzwanzig Jahre später stirbt Margaret an Krebs. Es gibt keine Hoffnung, es ist von Beginn des Buches an klar, dass es keine Heilung gibt, dass Margaret sterben wird. Sie selbst beschließt, dass sie nicht weiterbehandelt werden, sondern zu Hause sterben möchte. Enrique organisiert generalstabsmäßig die Abschiedsbesuche von Verwandten und Freunden durch und wartet darauf, dass sein Moment kommt, sein Abschied von seiner Frau, sein letztes Gespräch mit ihr. Er hat ihr doch noch so viel zu sagen. Gleichzeitig will er es nicht wahrhaben, natürlich nicht, wie soll man sowas denn auch akzeptieren.
Yglesias verwebt die beiden Geschichten, den Anfang und das Ende, schließlich auch Teile aus der Mitte dieser Ehe, und ich war beim Lesen heilfroh um dieses Wechselbad – aus reinem Eigennutz, denn die Kennenlerngeschichte verschafft einem immer wieder so etwas wie kleine Pausen von all dem Grauen des Sterbens. Was für eine Liebesgeschichte. Und dass man dem Klappentext entnehmen kann, dass das alles nicht wirklich ein Roman ist, sondern vermutlich nahezu eins zu eins die Geschichte des Autors, macht es nicht leichter zu ertragen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so viel geweint hätte. Und deswegen kann ich auch irgendwie nicht viel mehr zu dem Buch sagen. Tolles Buch, schreckliches Buch, unfassbar trauriges Buch.

Rafael Yglesias (Cornelia Holfelder-von der Tann): Glückliche Ehe. Klett-Cotta, 427 Seiten, 22,95 €

Flattr this

Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Naiv. Super.

Der Roman beginnt so:

Ich habe zwei Freunde. Einen guten und einen schlechten. Außerdem habe ich einen Bruder.
Er ist vielleicht nicht so sympathisch wie ich, aber so weit ganz okay.
Ich bekomme die Wohnung von meinem Bruder, wenn er verreist ist. Eine hübsche Wohnung. Mein Bruder hat ganz gut Geld. Gott weiß, woher, ich habe das nicht so genau mitgekriegt. Er kauft oder verkauft irgendwas. Und jetzt ist er verreist. Er hat mir erzählt, wohin. Ich habe es auch aufgeschrieben. Vielleicht nach Afrika?

Dass der mitte-zwanzig-jährige Erzähler seinen Bruder gerade nicht ganz so sympathisch findet, hängt damit zusammen, dass der ihn beim Krocket besiegt hat. Das wirft ihn irgendwie aus der Bahn. Er schmeißt sein Studium hin, wohnt in der Wohnung seines Bruders und erzählt in durchgehend superkurzen Sätzen von seinen Versuchen, wieder Fuß zu fassen. Er wirft einen Ball an die Wand. Er schreibt sich Faxe mit seinem Freund Kim (dem guten), der weit weg auf einer Wetterstation arbeitet. Sie tauschen Listen aus, was sie als Kinder mochten und was nicht, welche Tiere sie schon gesehen haben, was sie als Erwachsene mögen. Überhaupt, Listen. Er kauft sich ein Hämmerbrett und hämmert. Er findet einen neuen Freund, einen kleinen Jungen aus seinem Wohnblock. Er wünscht sich eine Freundin. Mädchen findet er ziemlich wunderbar. Und seltsam. Aber sie machen, dass alles gut ist. Und er liest ein Buch über Zeit und Einstein und Relativität und das Weltall, und dass es die Zeit möglicherweise gar nicht gibt, und das macht ihn auch irgendwie fertig.
Auf den ersten paar Seiten dachte ich, das nervt. Aber dann kommt man rein, und diese abgehackten Sätze entwickeln ihre ganz eigene Poesie (was natürlich bedeutet: wunderbar übersetzt), ganz zart und filigran. Und hinter allem steht die Erkenntnis, die den Erzähler irgendwann trifft: worauf es ankommt, das ist die Liebe. Und er möchte ein Mensch sein, der die Welt ein bisschen besser macht. Naiv? Und wenn schon. Wenn das naiv ist, dann ist dieses Buch geradezu ein Plädoyer für Naivität. Super ist es auf jeden Fall. Lesen!

Nachdem wir miteinander geredet haben, liege ich auf dem Sofa und lächele. Es ist genauso, als hätte es eben aufgehört zu regnen. Es regnet und regnet endlos, und irgendwann hört es auf. Alles duftet intensiv, und das Laub in den Bäumen hat alle möglichen Grünschattierungen. Es ist so was von komisch mit den Mädchen.
Erst sind sie nicht da, und alles ist etwas anstrengend. Aber dann sind sie da, und alles wird etwas leichter. Es geht unglaublich schnell. Nur ein paar Sekunden, und alles wird leichter.

Erlend Loe bekommt einen Regalplatz zwischen David Lodge und Loriot.

Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Naiv. Super. KiWi Paperback, 233 Seiten, 7,95 €.
(Das Buch ist 1998 schon mal erschienen unter dem Titel „Die Tage müssen anders werden. Die Nächte auch“.)

Flattr this

Liebe Autoren,

bitte steht doch einfach zu dem, was Ihr schreibt, und entschuldigt Euch nicht dafür, indem Ihr in Eure Romane reinschreibt „normalerweise gab es sowas ja nur in schlechten Filmen, aber nicht im wirklichen Leben“ oder „hätte er dies in einem Roman gelesen, dann hätte er ihn beiseitegelegt, weil es ihm gar zu unwahrscheinlich vorkam“ oder ähnlich dümmliche Hinweise darauf, dass Euch bewusst ist, dass Ihr da gerade einen unwahrscheinlichen Zufall oder einen besonders unappetitlichen Mord beschreibt. Echt. Entweder oder. Wenn Eure Geschichte so geht, dann geht sie eben so, wir Leser kommen schon damit zurecht. Und wenn nicht, dann machen solche Sprüche es auch nicht besser.
Danke,
Eure Isa

Twitter