Alina Bronsky: Scherbenpark
Der Roman beginnt so:
Manchmal denke ich, ich bin die Einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Vadim töten. Und ich will ein Buch über meine Mutter schreiben. Ich habe auch schon einen Titel: „Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge älteste Tochter gehört hätte.“ Vielleicht ist das nur ein Untertitel. Ich habe Zeit, es mir genau zu überlegen, denn ich habe noch nicht angefangen zu schreiben.
Die siebzehnjährige Sascha (ja, das ist ein Mädchenname! Sascha ist die Abkürzung für Alexander oder Alexandra. Dass sie das aber auch immer erklären muss!) lebt in Frankfurt im sogenannten Russenghetto und hat einen guten Grund, Vadim umbringen zu wollen: er hat nämlich, das erfahren wir bald, Saschas Mutter umgebracht. Zu Hause, vor den Augen Saschas und ihrer beiden kleinen Geschwister. Jetzt sitzt er im Knast, und die drei Kinder leben immer noch in derselben Wohnung, zusammen mit Maria, einer Verwandten von Vadim, die aus Russland gekommen ist, um sich um die Kinder zu kümmern. Wie genau dieses Kümmern auszusehen hat, das erklärt Sascha ihr schon. Sascha weiß nämlich ganz gut, wo es langgeht. Sie ist tough, allerdings vielleicht nicht ganz so tough, wie sie sich das einredet – und das macht einen Teil des Charmes dieses wundervollen Buchs aus: dass wir es mit einer Ich-Erzählerin zu tun haben, die sich aber, wenn sie denn mal in sich selbst reinguckt, genau so belügt, wie wir das wahrscheinlich immerzu alle tun. In ihrem Fall bedeutet das, nur keine Schwäche zuzugeben, auch vor sich selbst nicht.
„Show, don’t tell“ lautet eine wichtige Regel für literarisches Schreiben – man soll zeigen, was jemand tut, nicht groß drumherumerklären, warum und wieso und wie es dazu kam und was dahintersteckt. Bei Ich-Erzählern geht das manchmal ein bisschen verloren, glaube ich, und hier ist es wunderbar durchgehalten. Auch, als Sascha Volker und seinen Sohn kennenlernt und noch eine blöde Liebesverwirrung dazukommt. Wo sie doch Männer nicht leiden kann. Ganz tolles Buch, toll geschrieben, etwas rotzig, sehr geradeheraus, lakonisch und hier und da ironisch, tolle Geschichte, und spannend ist es auch. In anderthalb Tagen durchgelesen.
Mir hat ja auch Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche schon so gut gefallen, und so übe ich mich jetzt in Geduld im Warten auf Alina Bronskys nächstes Buch. (Nicht, dass eins angekündigt wäre.) Tolle Autorin.
Alina Bronsky wohnt im Regal zwischen André Brink und Charlotte Brontë.
Alina Bronsky: Scherbenpark. Kiepenheuer und Witsch. 289 Seiten.
Gebunden: 16,95 €
Taschenbuch: 8,99 €
Hörbuch (Katharina Schüttler): 19,95 €
Afra Evenaar Sonntag, 24. Juli 2011 um 23:19 Uhr [Link]
Danke für den Tipp. Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche haben auch mich begeistert. Und wenn Katharina Schüttler liest, sollte ich vielleicht sogar über das Hörbuch nachdenken.
Isabel Bogdan Montag, 25. Juli 2011 um 00:31 Uhr [Link]
Keine Ahnung, zu Hörbüchern habe ich so gar keine Beziehung.
Afra Evenaar Montag, 25. Juli 2011 um 21:27 Uhr [Link]
Ich bisher auch nicht. Dafür verfalle ich zuweilen in Personenkult. :-)
Julia Dienstag, 26. Juli 2011 um 09:50 Uhr [Link]
Morgen! Ich weiß, das passt hier nicht hin, aber: Kannst du mir ein wirklich gutes französisches Buch empfehlen? Muss nämlich für den Französisch-LK eins über die Ferien lesen. Und danach vorstellen.
Vielen Dank par avance :)
Isabel Bogdan Dienstag, 26. Juli 2011 um 10:02 Uhr [Link]
Ich mochte Nichts ist geschehen von Sylvie Neeman Romascano sehr. Allerdings habe ich es in der Übersetzung von Claudia Steinitz gelesen und keine Ahnung, wie es im Original heißt. Die Autorin ist Schweizerin, glaube ich, schreibt aber auf Französisch. Ansonsten lese ich eher wenig französische Literatur, da fällt mir wenig ein.
Isabel Bogdan Dienstag, 26. Juli 2011 um 10:10 Uhr [Link]
Tanguy Viel (Hinrich Schmidt-Henkel): Das absolut perfekte Verbrechen. Nicht ganz leicht zu lesen, wenn ich mich recht erinnere. (Aber womöglich kannst Du ja mogeln und auf Deutsch lesen, hm?)
Julia Dienstag, 26. Juli 2011 um 18:52 Uhr [Link]
Super, danke, beides bestellt. Mogeln geht nicht, mein Lehrer merkt das sofort. Aber ich freue mich schon sehr auf die Lektüre! Bisher habe ich noch keinen Zugang zur französischen Literatur gefunden, vielleicht ändert sich das ja jetzt.
juli Dienstag, 26. Juli 2011 um 19:59 Uhr [Link]
Lettre à D: Histoire d‘un amour von André Gorz würde ich noch empfehlen. Hat den Vorteil, daß es auch noch kurz ist.
Julia Mittwoch, 27. Juli 2011 um 09:37 Uhr [Link]
Histoire d‘amour war schon das Thema der beiden letzten Semester. Deswegen das eher nicht… Empfehlungen sind natürlich dennoch willkommen, danke :)
Isabel Bogdan Mittwoch, 27. Juli 2011 um 10:29 Uhr [Link]
Amélie Nothomb soll doch toll sein. Habe ich allerdings nicht gelesen.
Julia Donnerstag, 28. Juli 2011 um 08:48 Uhr [Link]
Hygiene De L‘assassin von Nothomb hab ich auch grad bestellt. Ich freue mich schon so sehr auf die Bücher!
Julia Montag, 15. August 2011 um 15:20 Uhr [Link]
Vieeeelen Dank für die Empfehlungen!! Ich habe grad Hygiene de L‘assassin ausgelesen und es ist supercool. Ich liebe es, ich bin total begeistert. Musst du unbedingt lesen.
Isabel Bogdan Montag, 15. August 2011 um 16:54 Uhr [Link]
Danke für den Tipp – auf meinem SuB liegt ihre „Winterreise“, die werde ich dann demnächst vielleicht mal lesen. Wünsche viel Erfolg bei der Buchvorstellung!