Anderswo – Das Feuilleton
- ReLü, die Rezensionszeitschrift für Übersetzungen, hat mit der wirklich wundervollen Bärbel Flad gesprochen, die jahrzehntelang Lektorin bei KiWi war und die tollsten Autoren und Übersetzerinnen betreut hat. Und das teilweise immer noch tut. Außerdem gibt sie großartige Übersetzerseminare.
- Der Montaigne-Übersetzer Hans Stilett ist gestorben. Hier ein Nachruf in der Welt.
- Auch Assia Djebar ist gestorben. Lange her, dass ich etwas von ihr gelesen habe.
- Der kleine Prinz ist gemeinfrei geworden, und prompt gibt es eine Flut von Neuübersetzungen. Felicitas von Lovenberg schreibt in der FAZ darüber. Ich weiß nicht, was ich mit einem so ikonischen Satz wie „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ machen würde. Zumal dann, wenn er so wunderbar übersetzt ist. Es ist ja schlechterdings unmöglich, ihn unbefangen und unvoreingenommen einfach so zu übersetzen, wie es sich im eigenen Textfluss gerade ergibt.
- Lektorin Katharina Raabe spricht über die Ménage à trois zwischen Autor, Lektor und Übersetzer, über verschiedene Möglichkeiten, wie es laufen kann, und kommt zu einigen Erkenntnissen.
- Die Buchbranche sucht einen Bestseller-Nachfolger für „Darm mit Charme“. So ähnlich muss diese Suche ablaufen, bestimmt.
- WELTNEUIGKEIT: Man kann auch Bücher wegwerfen. Doch, ehrlich.
- Und wenn ich demnächst mal schlechte Laune habe, lasse ich sie mir von Karen Köhler und Nina Lauterbach in wenigen Sekunden wegzaubern.
Das ist der Trailer – das ganze Interview ist genauso zauberhaft.
Anne Freitag, 13. Februar 2015 um 12:37 Uhr [Link]
Über den Satz im kleinen Prinzen habe ich auch nachgedacht. Weil man ihn eben schon so oft gehört hat, dass man ihn irgendwie nicht mehr hören mag.
Aber.
Wenn man sich das Original anguckt („On ne voit bien qu’avec le coeur. L’essentiel est invisible pour les yeux.“), dann stellt man fest, dass die allseits bekannte Übersetzung doch ziemlich genau ist. Da kann man nicht meckern. Das steht da im Original so. Und dann kann es auch so übersetzt werden, denke ich. Das gilt natürlich nicht für jede Übersetzung, aber hier finde ich fast, dass die Übersetzungen, die jetzt abweichen – z.B. die von Enzensberger – eher so klingen, als hätte man krampfhaft versucht, schon allein aus Prinzip irgendwas anders zu machen.
Isabel Bogdan Freitag, 13. Februar 2015 um 12:52 Uhr [Link]
Ja, das meinte ich: Der ist wunderbar übersetzt. Und er ist ja auch in den meisten Neuübersetzungen stehengeblieben.
Was Pigor z.B. macht, ist mir komplett unverständlich. „Guck mit dem Herzen. Was die Augen sehen, reicht nicht, um das, worauf es ankommt, zu verstehen.“ Das ist unfassbar umständlich, und woher nimmt er diesen Imperativ? Man müsste mal reingucken, ob die ganze Übersetzung so sonderbar ist. Pigor verehre ich ja ansonsten für das ein oder andere, aber was das jetzt soll … Vielleicht ist er einfach kein geübter Übersetzer, wollte es unbedingt anders machen, und da isses ein bisschen mit ihm durchgegangen.
Eneznsberger ist mir auch viel zu umständlich. Die ursprüngliche Übersetzung ist schon wirklich gut so, wie sie ist.
Und außerdem eben: Jeder kennt den Satz so. Man muss ihn nicht zwingend verändern, bloß weil man eine Neuübersetzung macht. (Altes Problem von Shakespeare-Neuübersetzungen zum Beispiel. Man kann „Sein oder nicht sein“ unmöglich anders übersetzen. Es gibt einfach Sätze, die sind so geläufig, dass man sie nicht ohne Not ändern kann.)
ScreamQueen Sonntag, 22. Februar 2015 um 17:42 Uhr [Link]
Jaha, das hatter halt mal eben so mit links gemacht, der scheniale Herr Enzensberger. Mit halber Kraft voraus. Muss reichen für den Schmarrn. Und wenn ich ihn noch einmal höre, diesen unfassbar dämlichen Satz von den Übersetzungen, die „im Allgemeinen“ schneller altern als das Original – gerade so, als hätten sie die Dro-, pardon, die Progerie –, zück ich die Kalaschnikow. Dummes Zeug, das aus irgendeinem Grunde jeder hergelaufene Kulturschwätzer nachplappern zu müssen meint – was halb so schlimm wäre, wenn er damit nicht allseits und von ähnlich ahnunglosen Trotteln ebenso beifälliges wie solemnes Nicken ernten würde.
PS: Es heißt „das einE oder andere“. So viel Zeit – und Platz – muss sein.
2PS: Zu Shakespeare: Muss natürlich heißen „Zu sein oder nicht zu sein“ – wie ein Kommilitone (im Studiengang Translation an der Uni D‘dorf, wohlgemerkt) seinerzeit wortgetreudoof übersetzte. Wie auch sonst?
Isabel Bogdan Montag, 23. Februar 2015 um 00:56 Uhr [Link]
Ach, es gibt durchaus Stellen, an denen eine Übersetzung „altert“, etwa da, wo unser Weltwissen in der Zwischenzeit gewachsen ist. In den Fünfzigern hätte man ein Croissant vielleicht noch als „Blätterteighörnchen“ übersetzt, das klingt heute komisch. Und dann gibt es auch Modeerscheinungen, oder vielleicht hat auch das mit unserem gewachsenen Weltwissen zu tun, dass wir etwa „Mom“ und „Dad“ nicht mehr mit „Mama“ und „Papa“ übersetzen.
Ansonsten gebe ich dir schon recht, dass man nicht so allgemein behaupten kann, Übersetzungen würden schneller altern als Originale. Habe ich auch nie wirklich verstanden. Bis auf eben solche Stellen.
Wohl denke ich aber, dass eine Übersetzung wie eine Interpretation eines Musikstücks ist. Ein echter Musikliebhaber wird ein klassisches Stück vielleicht von mehreren Interpreten im Schrank haben, von unterschiedlichen Dirigenten oder Solisten, das ist ganz normal – es spricht ja überhaupt nichts dagegen, auch verschiedene Übersetzungen eines Buchs auf dem Markt zu haben.
Zum PS: Nein, heißt es nicht. Laut Duden *darf* man das -e zwar anhängen, aber in meinen Ohren klingt „das eine oder andere“ nach Überkorrektheit wegen Nichtwissens.
ScreamQueen Montag, 23. Februar 2015 um 14:15 Uhr [Link]
Natürlich gibt es „Marker“ und sprachliche Moden, die Übersetzungen quasi mit einem Verfallsdatum versehen. Schuld daran sind übrigens häufig nicht unbedingt die Übersetzer, sondern Lektoren, die glauben, dem dummen Leser alles erklären zu müssen, und ihren eigenen – oft begrenzten – Horizont für das Maß aller Dinge halten. So wurden dann halt aus Hot Dogs heiße Würstchen, aus Hamburgern Buletten oder Frikadellen und aus Croissants Blätterteighörnchen . Abgesehen davon altern Übersetzungen aber keineswegs schneller als Originale: Ein deutscher Roman aus den Fünfzigern liest sich ja schließlich auch nicht so, als sei er letzte Woche erst geschrieben worden.
Zum PS: Wie wir alle wissen, landen sprachliche Lapsus, so sie denn nur weit genug verbreitet sind, irgendwann im Duden und gelten dann als richtig oder doch zumindest akzeptabel. Der Duden von 1980 jedenfalls verzeichnet „das ein oder andere“ noch nicht. Und mit Überkorrektheit oder gar Nichtwissen hat das nicht das Geringste zu tun, sondern mit Sprachlogik und -gefühl. Schließlich hat das „ein(e)“ hier eine ganz andere Funktion als in Wendungen wie, sagen wir, „ein und dasselbe“ oder „ein für alle Mal“; es geht um den/die/das Eine(n) und den/die/das Andere(n), und da es „der/die/das Ein“ im Deutschen nun mal nicht gibt, klingt das in meinen Ohren schlicht und einfach schief und falsch. „Der ein oder andere Straßenbahnschaffner.“ Der ein Straßenbahnschaffner? Echt? Nö.
Gesa Montag, 23. Februar 2015 um 15:51 Uhr [Link]
Der ein oder andere Lektor mag manchmal zu viel in den Text eingreifen. Kein Autor ist aber gezwungen, die Änderungen zu übernehmen. Über Zweifelsfälle kann man sprechen.
Sprachgefühl ist ein Gefühl, das stimmt schon. Aber auch Gefühl hat viel mit dem eigenen Gusto zu tun. Ich habe noch nie jemanden „das eine oder andere“ sagen hören. Wo ist der Unterschied zu „das ein und dasselbe“? „Er ist mein Ein und Alles“? Man findet immer Beispiele und Gegenbeispiele.
Im Übrigen freue ich mich, dass sich Sprache verändert. Ist ein spannendes Studium.
Aber das Argument, dass die Lektoren zu blöd sind, um Hotdogs von heißen Würstchen zu unterscheiden, weil ihr Horizont nicht einmal bis nach Dänemark reicht, finde ich etwas krass. Da fühle ich mich ja fast beleidigt. Immerhin ist es die Aufgabe der Lektorinnen, sämtliche Details zu überprüfen. Auch sprachliche Moden. Oder die Aktualität der Namen von Protagonisten. Oder Autobahnnummern.
Die Art zu übersetzen verändert sich. Wurde früher viel in einen Text eingegriffen, geschieht das heute deutlich weniger, gerade auch, wie Isa sagte, bei Mama/Papa oder auch bei Namen. Auch das mag eine Modeerscheinung sein, aber es trägt dazu bei, dass Übersetzungen eben doch anders altern als Originaltexte.
Isabel Bogdan Montag, 23. Februar 2015 um 16:29 Uhr [Link]
Duden, Band 9, „Richtiges und gutes Deutsch“:
ein: […] Allgemein üblich und korrekt ist ein ungebeugtes ein zwischen Zahl und und Bruchzahl in Fügungen wie ein Weg von fünfeinhalb Kilometern […] Dasselbe gilt, wenn ein durch oder, bis, und u.a. an zwei und ander gekoppelt ist: Gedulden Sie sich noch ein bis zwei Tage. Ein und dem andern kann man es schon sagen. Familien mit ein[em] oder zwei Kindern. Ebenso in ein und dasselbe, […]
Andrea0966 Freitag, 30. Dezember 2016 um 00:15 Uhr [Link]
mal so gefragt: Wenn sich Übersetzer und Lektor über etwas wie „das Ein(e) oder Andere“ nicht einigen können, wer hat dann das letzte Wort?
Isabel Bogdan Freitag, 30. Dezember 2016 um 00:20 Uhr [Link]
Im Zweifel der Übersetzer, der ist ja der Urheber. Sein Name steht hinterher drin.
Andrea0966 Freitag, 30. Dezember 2016 um 00:24 Uhr [Link]
Na, immerhin. Wirken sich kontroverse Diskussionen mit den Lektoren auch schon mal negativ auf Folgeaufträge aus?
Isabel Bogdan Freitag, 30. Dezember 2016 um 00:32 Uhr [Link]
Wenn’s schlimm kommt, kann das passieren. Aber dann möchte man vielleicht auch gar keine. Für ein gutes Lektorat ist man sehr dankbar, und eigentlich wollen ja alle das gleiche, nämlich ein möglichst gutes Buch draus machen. Und normalerweise wissen Lektorin und Übersetzerin gleichermaßen, dass sie nicht unfehlbar sind und die andere es entweder wirklich besser weiß (was leicht verifizierbar ist) oder einfach gerade mal die bessere Idee hatte, da freut man sich ja auch. Und wenn man sich auf keine der beiden Lösungen einigen kann, findet man vielleicht gemeinsam eine dritte.