Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Aufstehen und das Fenster öffnen: Das tut man, wenn derjenige gestorben ist, an dessen Bett man sitzt. Man öffnet das Fenster, damit seine Seele hinauskann. Fred ist eigentlich gar nicht der Typ für sowas, er ist ein eher trockener, um nicht zu sagen: langweiliger Beamter, außerdem alleinerziehender Vater des 13jährigen Phil. Und jetzt hat Fred eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht und begleitet als erste Karla, die Bauchspeicheldrüsenkrebs hat. Sie kommt eigentlich gut selbst zurecht und möchte sich bestimmt nicht betüddeln lassen, dafür ist sie viel zu stark und eigensinnig. Was man von Fred nicht behaupten kann. Aber natürlich braucht Karla trotzdem zunehmend Hilfe. Fred versemmelt es zunächst gründlich, wegen der Sache mit „gut gemeint“ und „gut gemacht“; Phil und Karlas Hausmeisternachbar sorgen schließlich dafür, dass er noch eine zweite Chance bekommt.
Das ist die Geschichte, und sie endet natürlich, wie eine Sterbebegleitung enden muss. Was allerdings nicht heißt, dass das ein trauriges Buch wäre, denn hey: Das ist Susann Pásztor, und deswegen kann man ruhig ein Buch über das Sterben lesen, auch wenn man in der glücklichen Situation ist, dass man sich selbst noch gar nicht mit dem Thema beschäftigen musste. Sie geht auf die bestmögliche Weise pragmatisch mit diesem großen Thema um und schreibt auf der Grundlage eines wunderbaren Humors; die Sorte, die eine Lebenseinstellung ist, nicht die, die Witze macht. Das zeigt sich zum Beispiel in einem feinen Gespür für skurrile Situationen, in denen sie ihre Figuren aber niemals bloßstellt oder sich über sie lustig macht. Es gibt da zum Beispiel eine Supervisionsgruppe für Sterbebegleiter, in der Fred und seine Kollegen sich über ihre Erlebnisse austauschen und einander Rat und Stütze sind. Es darf aber immer nur derjenige sprechen, der den Redestein hat. Natürlich ist das grotesk, und es wäre an der Stelle sehr einfach gewesen, es auf die Spitze zu treiben und die Figuren zu verspotten. Ebenso wie es anderswo einfach gewesen wäre, auf die Tränendrüse zu drücken, aber das tut sie alles nicht. Man liest dieses Buch und weiß, dass die Autorin ein großes, warmes Herz hat. Für alle. Und eine zupackende Seele. Und dann möchte man ein Glas Wein mit ihr trinken oder fünf.

Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. KiWi, 20,00 €

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Hier ein Interview, das ich zum Erscheinen ihres letzten Buches mit Susann Pasztor geführt habe.

Und so fand ich die beiden Vorgängerbücher:
Ein fabelhafter Lügner
Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts

6 Kommentare

  1. creezy Freitag, 17. Februar 2017 um 20:28 Uhr [Link]

    Redestein ist gar nicht so blöd. Überhaupt gar nicht blöd. Dann bleibt\’s bei der Person selbst. Es rauslassen ist manchmal wichtiger und heilsamer als ein Austausch.

    Sehr schön beschrieben.

  2. Jutta Freitag, 17. Februar 2017 um 21:52 Uhr [Link]

    Ein so schöner Text über dieses wunderbare Buch. Danke !

  3. Isabel Bogdan Samstag, 18. Februar 2017 um 11:07 Uhr [Link]

    Creezy, ja, genau: das ist gar nicht blöd, und sie stellt es auch gar nicht blöd dar. Ich meine nur: es wäre einfach gewesen, sich darüber lustig zu machen. Tut sie aber nicht.

  4. elblette Freitag, 3. März 2017 um 14:36 Uhr [Link]

    Dieser Text ist von der gleichen Herzenswärme wie das Buch. Kompliment.

  5. Isabel Bogdan Freitag, 3. März 2017 um 15:24 Uhr [Link]

    Boah. Danke. Jetzt bin ich gerührt.

  6. Susann Pásztor: Und Dann Steht Einer Auf Und öffnet Das Fenster | Bücherwurmloch Donnerstag, 4. Mai 2017 um 11:40 Uhr [Link]

    Begleitschreiben eines Sterbeprozesses
    Fred ist einer von denen, die alles richtig machen wollen und dabei das Meiste falsch machen. Er ist alleinerziehender Vater, sein Sohn Phil ist 13, sehr klein und schreibt heimlich Gedichte. Die Mutter hat die beiden verlassen und schickt nur sporadisch Pakete mit esoterischen Heilmitteln, die Phil nicht öffnet, oder universelle Engelenergie übers Telefon. Nun hat Fred eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht – und der erste Mensch, dem er ehrenamtlich beistehen soll, ist Karla. Sie hat Krebs im Endstadium und nicht mehr viel Zeit, und sie ist allein. Fred bemüht sich, aber seine ersten Begegnungen mit Karla verlaufen nicht gut. Sie verlaufen sogar derart schlecht, dass Karla ihn nicht mehr sehen will. Nur Phil darf noch zu ihr – um ihre Bilder, ihren Nachlass zu dokumentieren. Doch Fred, der alles richtig machen will, kann das nicht auf sich sitzenlassen.
    Ich kenne Susann Pásztor von ihrem sehr guten Debüt Ein fabelhafter Lügner. In ihrem dritten Roman beschäftigt sie sich mit einem Thema, mit dem sie sich auch aus eigener Erfahrung gut auskennt: Sie ist seit Jahren als ehrenamtliche Sterbebegleiterin tätig. Dafür zolle ich ihr größten Respekt, denn ich finde den Mut, den sie dafür aufbringt, die Nächstenliebe, die Aufopferung sehr bewundernswert. Ihr Romanheld Fred ist so einer, der meint es gut. Der ist dick und sympathisch, unbeholfen und fantasielos, nicht sehr gewitzt, aber er gibt sich Mühe. Dass er bei Karla auf Granit beißt, dass es keine rührseligen Hollywood-Momente und keine tränenreichen Versöhnungen gibt, macht diesen Roman interessant. Dass es aber sonst auch nicht viel gibt, macht ihn ein bisschen langweilig.
    Ich gestehe es: Zwischendrin hab ich nur quergelesen und die Seiten überflogen. Ich mochte Fred und Phil ganz gern, konnte mit Karla wenig anfangen, aber das macht ja nichts – und hab lange auf etwas gewartet, das bleibenden Eindruck hinterlässt. Vielleicht ist das die Botschaft: dass da nichts ist. Dass ein Leben, wenn es zu Ende geht, einfach verlischt, still, unspektakulär, fast schon unbemerkt. Freilich ist das reichlich deprimierend. Es ist auch menschlich und authentisch – nur für einen Roman, der aus der Masse heraussticht, hätte ich mir dann doch deutlich mehr Bewegung gewünscht. Vor allem auch in Bezug darauf, dass der Sterbeprozess ein Tabuthema mit viel Potenzial ist. Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster ist ein gut geschriebenes, gefühlvolles, nur leider ein wenig fades Buch.
    Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster von Susann Pásztor ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04870-4, 288 Seiten, 20 Euro). Isabel Bogdan sieht das übrigens nicht wie ich, sie fand das Buch sehr gut.

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