Ceterum censeo,

… dass auf Literaturveranstaltungen und in allen anderen Darreichungsformen und Packungsgrößen von Autorengesprächen die Frage nach dem autobiografischen Anteil im jeweiligen Buch esse delendam.
Ehrlich. Immerzu werden Autoren gefragt, ob ihre Geschichte autobiografisch ist, wie viel von ihnen selbst im Protagonisten steckt usw. Ich denke dann reflexartig: das ist doch eine Schülerzeitungsfrage. Natürlich ist man ein bisschen neugierig, aber die Grenzen zwischen Neugier und Voyeurismus sind fließend und schnell überschritten. Wenn eine Autorin über eine richtig beschissene Kindheit schreibt, muss man sie dann fragen, wie viel davon autobiografisch ist? Reicht es nicht, sich zu denken, dass man mit solchen Fragen möglicherweise in Wunden bohrt? Wenn jemand mit einem Buch etwas verarbeitet: gut. Das gibt einem aber nicht automatisch das Recht nachzufragen, zumal dann nicht, wenn es so intime Fragen sind, dass man sie anderen Leuten normalerweise nicht stellen würde.
Aber es braucht nicht mal Intimes zu sein. Wenn ein junger Mann aus Ich-Erzählerperspektive über einen jungen Mann schreibt, egal was für eine Geschichte, muss man dann fragen, ob das seine Geschichte ist? Nein, muss man nicht. Es hat nämlich nichts damit zu tun, ob das ein gutes Buch ist. Oder, wie Per Leo gestern bei der Vorstellung der fünf Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse im Hamburger Literaturhaus sagte (aus dem Gedächtnis zitiert):

Ob ein Text literarisch ist oder nicht, ist eine Frage der sprachlichen Gestaltung. Nicht eine Frage des Fiktionalisierungsgrads.

Ganz abgesehen davon ist die Frage nach der autobiografischen Komponente so dermaßen abgedroschen, dass ich mich schon deswegen immer winde, wenn sie kommt. Und sie kommt nachgerade zuverlässig, andauernd.
Man könnte jetzt einwenden, dass Menschen am besten über das schreiben, was sie kennen, und dass die Frage, wie gut sie das Beschriebene kennen, daher durchaus legitim sei. Geschenkt. Ich glaube, es ist für die Bewertung eines literarisches Texts unerheblich. Man kann den Text einigermaßen unabhängig von seinem Autor betrachten (mit Einschränkungen, klar). Die Fragen, die man einer Autorin über ihr Leben stellt, sollten sich jedenfalls an die üblichen Grenzen halten. Es gibt Dinge, die man einfach nicht jeden fragt, und die man nicht jedem erzählt. Das Privatleben des Autors geht die Leserin nur sehr bedingt etwas an. Außerdem möchte ich zu dem Thema zum einemillionsten Mal James Krüss zitieren:

Wenn eine Geschichte einen Sinn hat, dann ist sie wahr, auch wenn sie nicht wirklich passiert ist.

Lasst doch bitte die Autoren mit der Frage in Ruhe, ob das ihre eigene Geschichte ist.

4 Kommentare

  1. Henning Freitag, 7. März 2014 um 15:49 Uhr [Link]

    Ich glaube ganz so einfach ist das nicht. Wenn jemand sich mit einem Buch in die Öffentlichkeit begibt dann, ja dann hat er sich in die Öffentlichkeit begeben. Ähm, hm, nee, zweiter Versuch:

    Also, wenn jemand das, was seine Privatsache sein könnte, selber in der Öffentlichkeit ausbreitet, dann ist es nicht mehr privat. Durch die Veröffentlichung haben die Autoren selber die Ausgangssituation für (Nach)Fragen verändert.

    Das immer die gleiche Standardfrage gestellt wird sagt etwas über den mangelnden Einfallsreichtum der Journalisten aus. Es sind aber bei weitem nicht nur die Journalisten die nachfragen, nachbohren und nachforschen. Generationen von honorigen Literaturwissenschaftlern leben davon Werke im Kontext der jeweiligen Lebensumstände und Biographien der Autoren zu betrachten, zu analysieren und zu bewerten. Das geht runter bis zu Schulklassen, die Werke und ihre Autoren analysieren müssen (und dabei vorgegebene „Erkenntnisse“ nachplappern müssen, aber das ist eine andere Geschichte).

    Autoren, ihr Leben und ihre Werke sind bei uns – keine Ahnung wie das im Rest der Welt so aussieht – traditionell miteinander verbunden. Vielleicht sollte man das angehenden Autoren vor ihrem Gang an die Öffentlichkeit deutlicher sagen.

    • Isabel Bogdan Freitag, 7. März 2014 um 17:08 Uhr [Link]

      Schon – aber dass jemand Dinge verarbeitet, gibt einem dennoch nicht das Recht, weiter darin zu wühlen, wenn man es sonst nicht täte. Da entblößt jemand nur seinen kleinen Finger und es wird oft mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit nach dem ganzen Arm gegriffen.

  2. Kiki Freitag, 7. März 2014 um 17:49 Uhr [Link]

    Okay, also erzähl‘ doch mal, bist Du als Kind von einem Pfau gebissen worden?

  3. Sarah Maria Dienstag, 11. März 2014 um 14:45 Uhr [Link]

    Ich denke es hat weniger mit den Journalisten zu tun, als viel mehr mit den Lesern der Journalisten, denn er oder sie erfragt letztendlich nur das, was die Leser wissen wollen….

    Ich kann aber gut verstehen, dass diese Frage nervt. :)

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