Getting started

Um elf Uhr wollen mich zwei deutsche Studentinnen abholen, kurz etwas zu Mittag essen und dann mit mir an die Uni fahren. Um zwei Uhr ist meine erste Veranstaltung. Vorher will ich mir noch mal kurz ins Gedächtnis rufen, was ich da eigentlich erzählen will, mir meine Notizen noch mal ansehen und mir ein paar Gedanken machen, also stelle ich mir den Wecker auf halb neun.
Um halb neun drücke ich die Snoozetaste, um zwanzig vor neun drücke ich die Snoozetaste, um zehn vor neun drücke ich die Snoozetaste, um neun stelle ich den Wecker aus und will aufstehen. Als nächstes weckt mich eine SMS von den Studentinnen, die ich um elf unten in der Halle treffen wollte. Es ist halb zwölf, ich habe zwölf Stunden am Stück tief und fest geschlafen (gerade mal nachgerechnet: ich war 34 Stunden lang meistens wach, mit ein paar 20-Minuten-Schläfchen dazwischen. Da soll man wohl kaputt sein.). Die beiden Studentinnen gehen Kaffee und Croissants holen, während ich mich blitzartig anziehe und ein paar Sachen für die Uni packe. Auf Mittagessen habe ich nach dem Croissant dann gar keinen Appetit mehr, ich nasche ein paar dieser Teigtaschen, die auf Japanisch Shûmai heißen (die runden; das gestern waren die länglichen), mehr brauche ich so kurz nach dem Aufstehen noch nicht. Aber ein paar Fotos von Essen vom Straßenrand mache ich immerhin, auch wenn ich nichts davon esse.

SAMSUNG CAMERA PICTURES Schweinefüße

SAMSUNG CAMERA PICTURES Süßkartoffeln und Mais

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Zuckerobst (Drachenfrucht und Weißdornfrüchte, die wohl sehr sauer sind, umhüllt mit Zucker, eingeschlagen in einer Art Papier aus Zucker)

An der Uni mache ich erstmal eine Vorstellungsrunde, ich möchte von den Studierenden wissen, wie dieses Studium überhaupt läuft, ob sie viel deutsche Literatur lesen, was sie interessiert und so weiter. Und dabei hören, wie gut sie  Deutsch können, damit ich abschätzen kann, wie langsam und einfach ich sprechen muss. Und stelle fest: Sie sprechen alle unglaublich gut Deutsch, grammatikalisch sensationell, mit korrekten Nebensätzen frei formuliert, nicht nur so auswendiggelernte Hauptsatzkonstruktionen, ich bin wirklich beeindruckt. Und sie interessieren sich für alles mögliche, einer schreibt seine Bachelorarbeit über Vampire, eine andere über das unterschiedliche Städtebild in chinesischen und deutschen Reiseführern. Und sie sagen vollkommen ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken „Studierende“, wie alle Leute, die ich sonst an Unis kenne, das beeindruckt mich immer ungemein, anders gesagt: ich möchte dann eigentlich immer ein bisschen lachen. Überlege kurz, ob ich fürderhin von uns „Übersetzenden“ sprechen soll, nehme dann aber doch Abstand davon.
Denn dann fange ich gleich damit an, dass ich ihnen erzähle, wie das Leben als Übersetzerin in Deutschland so ist, all die berufspraktischen Dinge, dass wir Freiberufler sind und so weiter, und werde natürlich nicht mal fertig, da ist die Stunde schon zu Ende. Am Freitag geht es weiter.

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Ich bekomme eine Fahrkarte für die U-Bahn – tolles System, das möchte ich für deutsche Städte bitte auch, und zwar am liebsten kompatibel, also gleich so, dass es in allen Städten mit derselben Karte funktioniert: man hat eine Art Scheckkarte, die man mit einem Guthaben auflädt, und die muss man nur beim Betreten und Verlassen der U-Bahn an ein Gerät halten, und der entsprechende Betrag wird abgezogen. Stattdessen steht man in Deutschland in jeder Stadt wieder neu vor den Automaten wie der letzte Idiot und versteht erstmal nur Bahnhof.
Und dann gehen wir in einen Handyladen und probieren aus, ob eine chinesische Karte in meinem Telefon funktioniert. Tut sie nicht, ich kaufe ein billiges Handy mitsamt Karte und Freiminuten und Frei-SMS und soundsolange Frei-Wi-Fi für 350 ¥, das sind gut 40,- €. Super, da denke ich seit Monaten darüber nach, ob ich für einen Euro ein neueres iPhone nehme oder doch lieber für ein paarhundert das Fairphone ausprobiere, und dann sowas. Jedenfalls bin ich jetzt in China telefonisch zu erreichen, die Nummer gibts auf Anfrage.
Spätestens ab morgen werde ich einen Riesenhunger haben. Komisch, so kenne ich mich gar nicht, dass ich so wenig esse. Ob ich die Schweinefüße probiere?

9 Kommentare

  1. Jenny Dienstag, 5. November 2013 um 15:34 Uhr [Link]

    Wow, hast du ein Glück – aufgeschlossene, nette Studentinnen, die auch noch alle perfekt Deutsch sprechen! Die Stunden mit denen werden bestimmt nett. Schön, dass das alles gut läuft bisher, freu mich für dich. Und die Fotos! Die Architektur wird da immer so riesig…

  2. Jenny Dienstag, 5. November 2013 um 16:21 Uhr [Link]

    Übrigens will ich unbedingt dieses Zuckerobst probieren. Kennen Chinesen eigentlich Lakritze? Dafür wärst du doch die perfekte Botschafterin…

    • Isabel Bogdan Dienstag, 5. November 2013 um 17:00 Uhr [Link]

      Keine Ahnung, wahrscheinlich eher nicht. Vor 20 Jahren hatte ich in Japan einen Deutschschüler, der schon sehr gut Deutsch konnte und allein deutsche Literatur las und mich zwischendurch Dinge fragte. Einmal war er in einem Buch über den Ausdruck „Süßholz raspeln“ gestolpert und fragte mich, was das heißt. Habe ich erklärt, und dann gesagt, dass ich keine Ahnung habe, was Süßholz eigentlich ist; dass ich nur weiß, dass Lakritz daraus gemacht wird.
      Und dann erklär mal jemandem, der nicht weiß, was Lakritz ist, was Lakritz ist.

  3. Suse Dienstag, 5. November 2013 um 17:24 Uhr [Link]

    Verschlafen wegen zu lange Wachsein kenne ich noch aus der Zeit als ich meine Magisterarbeit geschrieben habe. Tagsüber Deutsch unterrichtet und nachts geschrieben. Da hab ich auch mal verschlafen und bin von den Schülern geweckt worden…
    In China gibt es sicherlich viel leckeres Essen. Aber ich kann mir auch vorstellen, daß es viele Sachen gibt, die ich lieber nicht probieren würde.
    Zum Thema Lakritz: Die Weiten des Internets verraten, daß es Süßholz auch in China gibt und die Pflanze 2012 Arzneipflanze des Jahres war.

    Viele Grüße
    Suse

  4. Ingrid Dienstag, 5. November 2013 um 17:25 Uhr [Link]

    Klingt klasse! Und schön, dass es außer mir noch jemanden gibt, bei dem (also der) die „Studierenden“ irgendeinen Reiz auslösen. Bei mir so was wie innerliches Augenverdrehen nach Art von Jajaschongut! Übersetzende – oh je ja, soweit habe ich noch gar nicht gedacht – nicht auch das noch!
    Und ich stimme zu, die Architektur ist auch ein wenig furchteinflößend (sag ich jetzt). Kurz: viel Neues, viel Fremdes – Schönes und Spannendes –, wenig Schlaf. ;-)

  5. Kat Dienstag, 5. November 2013 um 19:02 Uhr [Link]

    Oh wie toll! Super das es so gut läuft. Und das du übers Übersetzen sprechen kannst ( und wie gut du das machst!) das weiß ich ja selbst aus erster Hand!
    Puschel Puschel von der Sachen machenden Großfamilie!

  6. Jenny Dienstag, 5. November 2013 um 19:04 Uhr [Link]

    @ Isa: Da hilft nur: Kosten lassen.

  7. adelhaid Mittwoch, 6. November 2013 um 08:36 Uhr [Link]

    auf jeden fall die schweinefüße essen!

    • Isabel Bogdan Mittwoch, 6. November 2013 um 10:03 Uhr [Link]

      Also, riechen tun die gut. Was isst man denn davon? Schwarte auch? Ich werde das noch ein bisschen beobachten.

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