Ausflug 2
Knapp zwei Wochen nach unserem ersten Ausflug klingelt mein Telefon, Sohn II ist dran. Meiiine Patentante! Meine Isa bist! Patentante! Ausflug! Meine! Im Hintergrund die Stimmen der Eltern, ich höre raus: Sonntag. Ja, sage ich, gerne, dann hole ich Dich am Sonntag wieder ab. Wollen wir Schiffe gucken? – Jaaaa!, ruft er, Ssiffe gucken!
Am Sonntag trete ich aus dem Aufzug: Meiiine Isa! Hach. Und wie er strahlt. Einfach so, weil ich da bin. Und weil wir gleich losgehen, Zug fahren und Schiffe gucken.
Erstmal kommen wir allerdings nicht besonders weit, denn direkt vor der Haustür ist der Spielplatz. Gut, denke ich, dann eben erstmal Spielplatz. Wir haben ja ohnehin nicht wirklich ein Ziel – ich dachte, wir könnten zum Hafen fahren, das fand er auch gut, aber wenn er jetzt erstmal auf den Spielplatz will, meinetwegen. Ich glaube, das ist ein echtes Patentantenprivileg: Wir müssen nichts. Eltern haben wahrscheinlich meistens einen Zeitplan, ein Ziel, müssen irgendwohin. Sie haben kaum mal die Möglichkeit, das Kind bestimmen zu lassen. Ich hingegen kann einfach in Ruhe und im Tempo des Kindes mit ihm durch die Gegend stromern und mal gucken, was es so zu entdecken gibt. Zum Beispiel dann, wenn das Kind sich flach auf den Bauch legt und mit dem Fingernagel einzelne Sandkörner aus irgendeiner Ritze pult.
Wir bauen im Spielplatzsand ein paar Straßen, indem wir mit der Schaufel, die dort rumliegt, ein Stück Sand glattstreichen. Dann stecken wir kleine Stöckchen als Ampeln rein und klären nochmal die Sache mit Rot und Grün und Stehenbleiben und Warten und Autos. Ich glaube, so richtig kapiert hat er das noch nicht. Und so langsam denke ich, wir könnten dann auch mal los zum Bahnhof, wenn wir es heute noch zu den Schiffen schaffen wollen. Das Kind indes sagt: nein. Oder tut so, als hätte es mich nicht gehört. Noch fünf Minuten, sage ich, dann gehen wir zu den Zügen. Zug fahren! Schiffe gucken! Das Kind schüttelt den Kopf. Drei Minuten später sage ich: So, dann wollen wir mal los! Das Kind baut Straßen. Drei Minuten später sage ich: Na komm, wir gehen Schiffe gucken! Das Kind backt Schokoladenkuchen.
Irgendwann habe ich ihn endlich losgeeist, wir gehen einige Meter in die richtige Richtung, da kommen Freunde auf den Spielplatz. Geht weg, denke ich, gerade hatte ich ihn so weit! Oben am Fenster steht die Herzdame und lacht sich kaputt. Das Kind spielt.
Dann ganz plötzlich steht es auf und marschiert los. Sein eigener Entschluss. Allerdings kommen wir schon wieder nicht besonders weit, auf dem Weg zum Bahnhof muss ich an das Lied von Wir sind Helden denken:
Ja, haha, wenn er zwischen den Wundern wenigstens zwei Meter weit käme! Es fühlt sich eher an wie: zwei Meter vor, einen Meter neunzig zurück. Und wieder auf den Bauch legen, Wunder gucken. Bei den meisten Wundern handelt es sich um Sand oder leere Bonbonpapierchen, nichts, was man als Erwachsener spontan nachvollziehen könnte. Bei allem Vorsatz, uns einfach nur treiben zu lassen und nichts vorzuhaben und das Tempo des Kindes mitzumachen – ich merke doch, dass es eine Geduldsprobe ist. Lockermachen, sage ich mir, niemand hat bestimmt, dass wir es in unter einer Stunde zum Bahnhof schaffen müssen. Und am nächsten Wunder zieh ich ihn vorbei.
Dann wieder dasselbe wie schon auf dem Spielplatz: Auf einmal beschließt der Junge, dass es jetzt weitergeht, er marschiert los, rennt ein Stück, und ruckzuck sind wir plötzlich am Bahnhof. Und steigen in einen großen Zug! Das Kind strahlt. Großer Zug! Und wir sitzen drin! Und der Zug wackelt! Wie toll ist das denn! Und laut ist er! Ach, wie wundervoll. Und dann passiert noch was total Tolles: Wir sind in eine U-Bahn gestiegen, unterirdisch, und auf einmal geht es ein bisschen hoch und dann raus, ins Freie, und hoch oben über der Stadt her zum Hafen. Also, mal ehrlich jetzt: Das finde auch ich immer noch toll. Mit der U3 am Hafen entlang zu fahren.
An den Landungsbrücken steigen wir aus und trödeln ein bisschen herum. Wir gucken von oben auf die Schiffe, ganz hinten sind große Kräne, auf der anderen Seite die Elbphilharmonie. Das Kind steht vor einem blickdichten Geländer und möchte hochgehoben werden, um drübergucken zu können, logisch. Hundert Meter weiter ist ein Gitter, da könnte es durchgucken, ohne dass ich es hochheben müsste. Ich sage, komm, lass uns ein Stück weitergehen, da kannst Du besser gucken. Er geht einen Meter weiter und möchte wieder hochgehoben werden. Woher soll er auch verstanden haben, dass ich „hundert Meter weiter“ meinte? Die Welt ist so groß.
Wir treffen einen Straßenmusikanten, der Gitarre spielt und eine ganz tolle Maschine dabeihat, an der verschiedene kleine Figürchen kleine Bewegungen machen. Wirklich super, er bedient sie mit den Knien. Für das Kind aber viel toller: Es gibt eine kleine Sammlung von Geräuschmachern und die Erlaubnis, mitzumusizieren. Das Kind haut eine Weile auf den Klaviertasten herum, es hupt und quietscht und dengelt – ganz großer Spaß. Und dann wirft er dem Musiker ganz stolz eine Münze in den Hut.
Und dann fahren wir auch schon wieder zurück, es ist spät geworden über all der Trödelei, aber das macht ja nichts. Wir steigen wieder in die U-Bahn und kaufen auf dem Heimweg noch ein paar Blumen für die Mama. Er sucht sie selbst aus und trägt sie vom Bahnhof den ganzen Weg allein nach Hause. Allerdings muss ich zwischendurch auch etwas tragen, nämlich Sohn II. Erst geht er eine Weile an meiner Hand, was normalerweise überhaupt nicht in Frage kommt („alleine!“). Dann schmiegt er seine Wange an meine Hand. Dann muss ich ihn ein Stück tragen, aber das ist auch in Ordnung, er war ganz schön lange auf den Beinen. Und immer ganz allein die Treppen rauf und runter, so eine normale Treppenstufe ist verdammt hoch, wenn man zweieinhalb ist. Ich trage ihn ein Stück, dann sage ich, dass er ganz schön schwer ist, so ein großer Junge, und ob er nicht vielleicht doch noch ein Stück alleine laufen kann? Nein, sagt er, kann nicht alleine laufen. Drei Schritte später sagt er: Kann noch ein S-tück alleine laufen. Hach.
Abends eine Mail von Maximilian: Sohn II habe sich in der Bettkante verbissen und raune mit tiefer Stimme: Isaaa.
Sagte ich letztes Mal, es sei schön, wenn man jemanden mit so einfachen Mitteln so glücklich machen kann? Stimmt ja auch. Aber die Wahrheit ist: mich selbst macht es auch glücklich.
Die Herzdame Dienstag, 13. März 2012 um 10:31 Uhr [Link]
Hach, schöner Text. Nicht nur wegen des Sohnes. Träne wegdrück. Gerührte Mutter.
Zahnwart Dienstag, 13. März 2012 um 10:40 Uhr [Link]
Schön. Nichs anderes: schön.
Zahnwart Dienstag, 13. März 2012 um 10:41 Uhr [Link]
Ich kaufe ein „t“.
Elvira Veselinovic Dienstag, 13. März 2012 um 10:46 Uhr [Link]
Wunderbar. Ich dachte gerade an einen Besuch im Kölner Zoo mit einem Nachbarskind, das damals im vergleichbaren Alter war. Ich meinte immer: guck mal – Löwen (wahlweise Tiger, Affen, Elefanten, Giraffen…)! Das Kind ignorierte die völlig und rannte hellauf begeistert auf dem Gehweg hinter den Mülleimern irgendwelchen Tauben und Spatzen hinterher, die es an jeder Straßenecke gibt.
Entdecke die Möglichkeiten « Herzdamengeschichten Dienstag, 13. März 2012 um 11:03 Uhr [Link]
[...] aus und bloggt hinterher regelmäßig darüber, dann brauche ich jeweils nur noch einen Link zu setzen und kann mich ansonsten entspannen oder in Ruhe an anderen Themen arbeiten. Sehr fein. [...]
Helga Dienstag, 13. März 2012 um 11:39 Uhr [Link]
In München gibt’s zwar keine Schiffe, aber Haifische.
Anne Dienstag, 13. März 2012 um 11:44 Uhr [Link]
ICH WILL AUCH SO‘N PATENKIND!
Frische Brise Dienstag, 13. März 2012 um 12:03 Uhr [Link]
Und schon wieder kribbelt es so verdächtig in meiner Nase…
Schön. Einfach nur schön.
EngelchenFiona Dienstag, 13. März 2012 um 12:26 Uhr [Link]
hach ja, so wahr so wahr
schon bei der ersten ausflugsgeschichte musste ich an eine kleine erdbeerprinzessin denken, bei ihr steht das enten füttern ganz hoch im kurs :)
egal wie kalt es ist, egal wie einem die füße schmerzen, da ganz innen drin, da ist und beim anblick dieser strahlenden kinderaugen unheimlich warm ums herz
Armin Auth Dienstag, 13. März 2012 um 12:29 Uhr [Link]
Wunderbar. Du wirst noch viel Freude mit deinem Patenkind haben. Kinder sind ein großes Wunder und es ist eine Gnade, das zu erleben.
ChemserPapa Dienstag, 13. März 2012 um 12:30 Uhr [Link]
„alleine“ scheint in dem Alter gaaanz wichtig zu sein. Und auch das zunächst verneinen um es dann wenig später selbst so zu entscheiden, kommt mir sehr bekannt vor.
Frau Landgeflüster Dienstag, 13. März 2012 um 13:58 Uhr [Link]
Hach, das erinnert mich an die Zeit, als meine drei Patenkinder so klein waren. Damals vor 16 bzw. 14 Jahren. Aber auch große Patenkinder sind toll.
Der Alex Dienstag, 13. März 2012 um 14:18 Uhr [Link]
Im Stress des alltäglich vergisst man leider wie toll Kinder sind und weiß die Zeit mit dem eigenen Fratz gar nicht mehr so zu schätzen. Danke für den Bericht den der zeigt mir was ich verpasse wenn ich mich nicht aufs Kind einlasse.
Angelika Dienstag, 13. März 2012 um 14:33 Uhr [Link]
Sehr schön beschrieben!
Ich selbst kenne solche Erlebnisse mit meinem Sohn (inzwischen volljährig) und habe diese immer sehr genossen. An vielen Textstellen dachte ich, das war damals bei uns so…
Mein Patenkind (5) ist leider ein Fernsehgucker, „AllesMeins“. Konsumkind, und ich gelte nur wenn ich etwas mitbringe. Das macht mich traurig!
Genießen Sie dieses Kind, es ist (Noch) so sensibel für alles, ein kleiner Welt-Entdecker.
Christiane Dienstag, 13. März 2012 um 19:57 Uhr [Link]
Ist es nicht beeindruckend, wie sie unser Leben verändern, Pläne umwerfen und uns ihre Welt zeigen?
Und wäre es nicht schlimm, wenn man dies ignorieren und die Welt nicht auch mit ihren Augen sehen würde?
(Ich musste bei unserer Großen vor allem lernen, mich wärmer anzuziehen, denn dieses Gestehe und Gegucke war doch etwas ganz anderes als dieses eher-Gerenne, wie ich es ohne Kinder kannte.)
fishy_ Freitag, 23. März 2012 um 18:57 Uhr [Link]
Oh wie wunderbar. Bin Tante und kann es so gut nachvollziehen! Wünschte, ich könnte so schreiben. Wir waren damals auffem Rummel und haben Schiffe auf dem Rhein geguckt…
Charlottchen Samstag, 24. März 2012 um 21:49 Uhr [Link]
Was habe ich mit dem Jungen gebummelt, als er noch in dem Alter war…
Jetzt wird er bald 8 und ich habe über all den Aktivitäten, die fast Achtjährige zu tun haben – oder auch nicht, vermutlich meint man das nur und hat es Alltag getauft – das Bummeln vergessen. Danke, dass ich mit diesem Text, und vor allem durch den letzten Absatz, wieder daran erinnert wurde.