Mannmannmann

„In den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts lebte in Düsseldorf am Rhein, verwitwet seit mehr als einem Jahrzehnt, Frau Rosalie von Tümmler mit ihrer Tochter Anna und ihrem Sohne Eduard in bequemen, wenn auch nicht üppigen Verhältnissen. Ihr Gatte, Oberstleutnant von Tümmler, war ganz zu Anfang des Krieges, nicht im Gefecht, sondern auf recht sinnlose Weise durch einen Automobilunfall, doch konnte man trotzdem sagen: auf dem Felde der Ehre, ums Leben gekommen – ein harter Schlag, in patriotischer Ergebung hingenommen von der damals erst vierzigjährigen Frau, die nun für ihre Kinder des Vaters, für sich selbst aber eines heiteren Gemahls entbehren musste, dessen öftere Abweichungen von der Richtschnur ehelicher Treue nur das Merkmal überschüssiger Rüstigkeit gewesen waren.
Rheinländerin von Geblüt und Mundart, hatte Rosalie die Jahre ihrer Ehe, zwanzig an der Zahl, in dem gewerbfleißigen Duisburg verbracht, wo von Tümmler garnisonierte, war aber nach dem Verlust des Gatten mit der achtzehnjährigen Tochter und dem um zwölf Jahre jüngeren Söhnchen nach Düsseldorf übergesiedelt, teils um der schönen Parkanlagen willen, die diese Stadt auszeichnen (denn Frau von Tümmler war eine große Naturfreundin), teils weil Anna, ein ernstes Mädchen, der Malerei zuneigte und die berühmte Kunstakademie zu besuchen wünschte.
[…]
Im Frühling geboren, ein Maienkind, hatte Rosalie ihr fünfzigstes Wiegenfest mit ihren Kindern und zehn oder zwölf Hausfreunden, Damen und Herren, an blumenbestreuter Tafel in einem mit bunten Lampions geschmückten Wirtsgarten vor der Stadt bei Gläserklang und teils gemütvollen, teils scherzhaften Toastsprüchen begangen und war fröhlich gewesen mit den Fröhlichen – nicht ganz ohne Anstrengung; denn seit längerem schon, und so gerade an diesem Abend, litt ihr Wohlbefinden unter organisch-kritischen Vorgängen ihrer Jahre, dem stockenden, bei ihr unter seelischen Widerständen sich vollziehenden Erlöschen ihrer physischen Weiblichkeit.“

Thomas Mann: Die Betrogene

Erkenntnis: Man kann Thomas Mann gar nicht parodieren. Beziehungsweise man kann es beim Parodieren nicht übertreiben. Oder noch anders gesagt: er parodiert sich ja selbst. Nur halt nicht willentlich.

6 Kommentare

  1. Extramittel Dienstag, 1. Februar 2011 um 18:27 Uhr [Link]

    Deshalb ist Felix Krull ja so extrem komisch.

  2. Isabel Bogdan Dienstag, 1. Februar 2011 um 18:55 Uhr [Link]

    Vielleicht sollte ich den endlich mal lesen.

  3. felis Dienstag, 1. Februar 2011 um 18:58 Uhr [Link]

    Um den kunstvollen Zaun Thomas Mann goutieren zu können, muß man vorher durch den Dornenverhau Adorno hindurchgegangen sein, wenn Sie mich fragen.
    :)

  4. Isabel Bogdan Dienstag, 1. Februar 2011 um 19:06 Uhr [Link]

    Oh, zu goutieren weiß ich ihn wohl, kann mich jedoch eines gewissen Amüsements über seine – eben: kunstvollen, um nicht zu sagen durchaus auch künstlich anmutenden Verschwurbelungen nicht entbrechen.

  5. Extramittel Dienstag, 1. Februar 2011 um 19:40 Uhr [Link]

    (und ich hab gar nicht gemeckert, dass du nicht bei Twitter….)

  6. Irene Mittwoch, 2. Februar 2011 um 00:05 Uhr [Link]

    Ich stelle gerade fest, dass Thomas Mann am Bildschirm endgültig unlesbar wird. (Braucht wer ein Argument für oder auch gegen E-Books? Bedienen Sie sich!)

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