Alina Bronsky: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Yeah! Hier kommt mal wieder eine dicke Leseempfehlung.
Die Tatarin Rosalinda ist resolut und selbstgerecht. Oder sagen wir: despotisch bis zum Anschlag. Sie weiß, wo es langgeht, sie weiß, was sie will, sie weiß auch, wie sie es bekommt, und sie weiß natürlich, was für alle anderen gut und richtig ist. Und sie hat keinerlei Verständnis, wenn jemand anders womöglich etwas anderes will, denn schließlich will sie für alle nur das Beste. Zum Beispiel für ihre Tochter Sulfia.
Sulfia ist leider nicht nur dumm, sondern auch noch hässlich, und so kann Rosalinda sich gar nicht erklären, wie Sulfia plötzlich schwanger sein kann. Sulfia weiß es auch nicht, sie sagt, sie habe nur von einem Mann geträumt. Rosalinda weiß, dass so was vorkommt, und hält es auch für die plausibelste Erklärung, denn ein echter Mann würde Sulfia sicher nicht anrühren, so dumm und hässlich wie sie ist. Das Baby muss also weg, und so beginnt das Buch damit, dass allerlei Abtreibungsversuche schiefgehen und schließlich Aminat geboren wird (klar, dass Rosalinda den Namen bestimmt).
Aminat ist nun überraschenderweise klug und schön. Sie kommt eben nach ihrer Großmutter, nicht nach ihrer Mutter. Und natürlich kümmert Rosalinda sich um sie, denn Sulfia ist ja zu dumm dazu und weiß gar nicht, wie man ein Kind erzieht, und überhaupt ist Aminat schließlich Rosalindas Enkelin. Wir begleiten die Geschichte dieser drei Frauen über ungefähr 30 Jahre. 30 Jahre, in denen verschiedene Männer kommen und gehen, in denen sich politisch und damit im Alltag einiges verändert, und in denen Rosalinda ihre Tochter niedermacht und ihre Enkelin vergöttert, einerseits, sie andererseits aber natürlich ebenso rücksichtslos behandelt wie alle anderen auch. Kostprobe:

Ich packte auch in Sulfias Haushalt mit an, einer musste es ja tun. Ich räumte auf, in der Küche, im Flur, im Schlafzimmer auch. Ich saugte Staub, wischte die Böden und putzte die Toilette. Ich wollte nicht, dass Aminat im Dreck aufwuchs, zwischen den Darmbakterien ihres Stiefvaters auf der Klobrille und seinen Herpesviren an den benutzten Stofftaschentüchern, die er herumliegen ließ. Ich sammelte sie auf, suchte sie zwischen den Decken und Kissen im Ehebett zusammen, hob sie vom Boden unter der Couch auf, wusch sie in einer Schüssel, hängte sie zum Trocknen auf, bügelte sie anschließend. So auch mit der ganzen anderen Wäsche, die ich fand.
Sulfia war undankbar wie immer. Sie sagte nur: „Mutter, lass das bitte.“ Irgendwann schrie sie mich sogar an. Das war, nachdem ich ihren Schrank aufgeräumt hatte, Unterhosen, Büstenhalter und Strumpfhosen sortiert und gefaltet, die löchrigen herausgelegt und per Hand gestopft. Ich hatte das alles gemacht, obwohl ich in dieser Zeit lieber ferngesehen oder eine Zeitschrift gelesen hätte, und dafür schrie sie mich jetzt so laut an, dass Aminat in der Tür auftauchte und „Mama, spinnst du?“ fragte.

Was für ein Buch! Eine Tragikomödie, ebenso tragisch wie komisch, oder vielleicht eher: grotesk, und erstaunlicherweise muss man Rosalinda in ihrer ganzen Verbittertheit und Härte auch irgendwie ein bisschen mögen. Alle anderen möchte man manchmal gerne aufwecken und schütteln, damit sie zur Besinnung kommen und der Frau endlich mal Paroli bieten, aber jenun. So sind sie eben allesamt nicht gestrickt. Außer Aminat.
Auch sprachlich ist das alles irgendwie speziell – kurze, einfache Sätze, die eine sonderbar fremde Anmutung haben. Dabei ist gar nichts „falsch“ oder hat eine auffällige Grammatik oder so. Hervorragend gemacht, passt perfekt. Wirklich ein wundervolles Buch, mit sehr viel Humor und sehr viel Ironie. Dabei gibt es gar nichts zu Lachen. Total toll, und jetzt möchte ich sofort „Scherbenpark“ hinterherlesen.

Alina Bronsky kommt im Regal zwischen André Brink und Charlotte Brontë.

Alina Bronsky: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche. Kiepenheuer und Witsch, 317 Seiten, 18,95 €

7 Kommentare

  1. Kristin Montag, 22. November 2010 um 15:04 Uhr [Link]

    Danke für die Rezi! Macht Lust auf das Buch.

  2. Isabel Bogdan Montag, 22. November 2010 um 18:07 Uhr [Link]

    Freut mich, denn das war meine Absicht. Hihi.

  3. Stefan Montag, 22. November 2010 um 21:41 Uhr [Link]

    Danke für die Buchbesprechung. Aber warum sollte ich das Buch lesen? Es handelt doch vom völlig alltäglichen Handeln einer Mutter. Zumindest die Kostprobe erscheint mir nicht ungewöhnlich.

  4. Isabel Bogdan Montag, 22. November 2010 um 21:52 Uhr [Link]

    Dann könntest Du es natürlich lesen, um bestätigt zu finden, dass auch andere Mütter so sind.

  5. Nina [libromanie] Donnerstag, 25. November 2010 um 15:06 Uhr [Link]

    Mich reizt das Hörbuch schon eine ganze Weile, nur spricht die Sprecherin sehr, sagen wir, speziell. Ich weiß nicht, ob ich das stundenlang hören mag. Vielleicht also doch lieber das Buch? Die Geschichte spricht mich jedenfalls an.

    Liebe Grüße und Danke für die schöne Besprechung,
    Nina

  6. Isabel Bogdan Donnerstag, 25. November 2010 um 16:25 Uhr [Link]

    Ich kann ja mit Hörbüchern irgendwie sowieso nichts anfangen. Aber das Buch! Wäre doch schade, wenn es Dir durch eine komische Sprecherin verdorben würde.

  7. Gaga Nielsen Freitag, 26. November 2010 um 00:24 Uhr [Link]

    Hörbuchfreunde müssten doch eigentlich die perfekte Zielgruppe für Lesungen sein oder?
    (ich ja nicht so)
    Musste vorhin lachen, als ich las, dass die ‚komische Sprecherin‘ Sophie Rois ist. Gewöhnungsbedürftig ist der richtige Ausdruck. Ich finde sie sympathisch, möchte aber kein Buch von ihr vorgelesen bekommen. Der Eindruck von ihrer Person würde alles dominieren. Einfach zu dominant. Das ist überhaupt die Sache mit den Sprecherstimmen. Eine Stimmfarbe kann einem Buch eine ganz andere Atmosphäre geben. Die es aber gar nicht braucht, das Buch. Na ja, ist alles Geschmackssache.

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