Habe ich schon mal erwähnt, dass Lieblings-Irgendwasse … mir war so.
Aber es gibt natürlich Autoren, von denen ich sofort jedes neue Buch kaufen und lesen würde. Ich mach’s kurz: Tilman Rammstedt, Gerbrand Bakker, Wolf Haas, Jenny Erpenbeck, Anette Pehnt, Katja Lange-Müller, Karen Duve. Und noch einige andere. Mariana Leky, Thomas Pletzinger, Moritz Rinke und so weiter. Alle aktuell, fast alle deutschsprachig. Vielleicht sollte ich mich tatsächlich mal mehr um die englischsprachige Literatur kümmern, keine Ahnung. (Den neuen Franzen würde ich gerne lesen.) Oh, Jonathan Safran Foer natürlich, und Jeffrey Eugenides! Ach, und Alan Bennett! Und … (fade out)
Wie ich die obengenannten finde und warum, kann man fast alles hier nachlesen.
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Was ist das denn für eine beknackte Frage? Ich habe mit fünf Jahren lesen gelernt, wie soll ich denn jetzt noch wissen, was mein erstes Buch war? Ich weiß ja schon nicht, was ich letzte Woche gelesen habe. Und: solange man noch nicht lesen kann, fällt doch wohl auch Bilderbücherangucken unter „Lesen“, oder? Und was ist mit Vorgelesenkriegen? Zählt das? Und wenn man beim Lesenlernen immer mal einen Satz liest, und dann liest Mama wieder einen Absatz vor? Neenee, so eine Frage kann kein Mensch beantworten.
Ich könnte aber, wo das gestern so schön war, noch ein bisschen beim Thema Weinen bleiben. Hier kommt also stattdessen
das erste Buch, bei dem ich Rotz und Wasser geheult habe:
„Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren (Karl Kurt Peters). Und da lag es am Buch, nicht an den Umständen.
Meine Güte, das arme Waisenkind. (Waisenkind? Ich glaube.) Und wie er dann so was ähnliches wie stirbt und zu seinem Vater in ein Zauberreich kommt. Das ist schon so rührend. Und dann der böse Ritter Kato, der Kinder entführt und sie in Krähen verwandelt (ja? Nagelt mich nicht auf Details fest). Und dann muss der kleine Junge dem bösen Ritter Kato mit einem besonderen Schwert das Herz aus Stein rausschneiden. Wie furchtbar ist das denn! Ein Herz aus Stein! Und das muss er ihm rausschneiden! Un! fass! bar! Rotz und Wasser! Einen Fluss habe ich geheult! Keine Ahnung, wie alt ich da war, vermutlich ungefähr zehn. Eine erfahrene Leserin. Mio, mein Mio war heftig, sehr tränenreich, aber das war auch toll irgendwie, an das Gefühl erinnere ich mich noch. Und ich mag es auch heute noch, bei Büchern zu heulen. (Aber ich bin eh eine Heulsuse, ich heul ja schon bei der Merci-Werbung.)
PS: Eine Freundin unterrichtet an einer berufsbildenden Schule angehende Fremdsprachenkorrespondentinnen, also Menschen, die sich beruflich mit Sprache beschäftigen wollen, die meisten haben Abitur, sind also zwischen 17 und 20 Jahre alt und haben nicht erst gestern lesen gelernt. Eine Schülerin kam zu ihr und erzählte ganz stolz, sie habe ja noch nie ein Buch gelesen, aber jetzt habe sie eins angefangen. Harry Potter. Sie habe schon 20 Seiten gelesen! Und es gefalle ihr! „Mal sehen, ob ich das durchhalte.“ Wahrscheinlich weiß sie auch mit Anfang 40 noch, was ihr erstes Buch war.
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Johannes Mario Simmel: Doch mit den Clowns kamen die Tränen.
Schon wieder Simmel. Der Ort, an den mich dieses Buch erinnert, ist ein Flugzeug der AeroFlot, und mir kamen auch die Tränen. Schlimme, heiße, bittere Tränen, viele Stunden lang. Aber da konnte das Buch nichts für.
März 1991. Ich flog nach Tokyo, um ein Jahr dort zu bleiben. Am Frankfurter Flughafen hatte ich mich vom Liebsten verabschiedet. Wenn ich aus Tokyo zurückkommen würde, würde er in Schottland sein – wir würden uns anderthalb Jahre nicht sehen, genauso lange, wie wir zusammen waren. Kann sich jeder ausrechnen, dass so was nicht gutgehen kann, wenn man sich so lange nicht sieht und jeder in der Zeit so viel Neues erlebt. Ich hatte den Frankfurter Flughafen nassgeweint, ich weinte das Flugzeug voll. Von Frankfurt bis Moskau saß eine Gruppe junger Russen um mich herum, von denen einer Geburtstag hatte. Sie feierten und fanden, ich solle nicht so traurig sein, sondern lieber was trinken. „Trink, Mädchen, trink! Nicht weinen.“ Campari pur. Und noch einen. Ich weinte, sie schenkten mir Campari ein. Und stiegen in Moskau aus. War wahrscheinlich gut, sonst wäre ich gleich mit Alkoholvergiftung in Tokyo angekommen.
Auf der deutlich längeren Strecke von Moskau nach Tokyo war ich allein mit 200 Japanern, meinem Schmerz, meinen Tränen, meiner Betrunkenheit, meiner Müdigkeit und meinem Buch. Ich las „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“ gegen meine Tränen an. Sobald ich das Buch weglegte, musste ich weinen, weinen, weinen, ich hätte gern geschlafen, aber es ging nicht, ich war von diesem Mann weggegangen, obwohl ich das überhaupt nicht wollte, bloß weil das Studium es so vorsah und wir „vernünftig“ waren, ich wollte bei ihm sein und ihn bei mir haben und mit ihm zusammen sein, und jetzt würde ich ihn anderthalb Jahre nicht sehen, nicht anfassen, nicht riechen, eine endlose Zeit, das Gefühl schnürte mir die Brust zu und machte einen Klumpen in meinen Hals, und ich weinte. Also nahm ich das Buch, um mich vom Weinen abzulenken. Ich war zum Umfallen müde, vom langen Flug und vom Weinen und vom Alkohol, mir fielen die Augen von selbst zu, aber sobald ich das Buch weglegte, musste ich wieder fürchterlich weinen, ich konnte nicht aufhören, ich kam nicht dagegen an, alles tat weh. Alles tat weh. Also las ich, und weinte, und las, und weinte. Was in Tokyo ankam, war ein Häufchen Elend. Ein mickriges, heulendes, übermüdetes, jämmerliches Häufchen Elend, ein trauriger Clown, der traurigste der Welt.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon dieses Buch handelt.
PS: Es gab dann doch noch ein Happy End. Mit dem Mann bin ich immer noch zusammen.
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(Hat jemand bestimmt, man dürfe jede Frage nur einmal beantworten? Also.)
Johannes Mario Simmel: Es muss nicht immer Kaviar sein.
Das Buch erinnert mich an meinen Opa, aus dessen Bücherschrank es stammt. Deswegen erinnert es mich außerdem an meine Tante Ingrid, denn sie lebt immer noch in Opas Haus, und Opas Bücherschrank steht immer noch dort, wo er immer stand. Mein Opa starb 1983, da war ich fünfzehn. Wahrscheinlich habe ich es also noch von ihm selbst bekommen, denn ich bin ziemlich sicher, dass ich es im Krankenhaus gelesen habe, als ich mit Windpocken darnierderlag. Und da war ich, glaube ich, noch etwas jünger.
Jedenfalls war Doppelagent Thomas Lieven die erste (und wahrscheinlich einzige) Romanfigur, in die ich mich je verliebt habe. So ein Gentleman, so cool und klug und schön und mutig und überhaupt perfekt. Und kochen konnte er auch noch. Ein paar Jahre lang wäre „Es muss nicht immer Kaviar sein“ die Antwort auf die Frage nach dem Buch gewesen, das ich immer wieder lese. Jetzt allerdings habe ich es bestimmt schon zwanzig Jahre nicht mehr gelesen. Vielleicht sollte ich es noch mal versuchen. Vielleicht auch lieber nicht.
Ich habe auch noch zwei-drei weitere Simmels versucht, so mit um-die-zwanzig. Haben alle nicht so eingeschlagen. Und irgendwann lief der Film zum Buch, den habe ich aber nur zwanzig Minuten ausgehalten: das Grauen! Der hat mit dem Buch gar nichts zu tun, Heinz Rühmann O. W. Fischer als unbeholfen herumstolpernder Thomas Lieven, das ist ungefähr das Gegenteil des echten Thomas Lieven, es ist ein Schimpf und eine Schande, ich war sauer und habe den Fernseher ausgemacht.
Den ersten Satz kann ich immer noch auswendig:
„Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat“, sagte Thomas Lieven zu dem schwarzhaarigen Mädchen mit den angenehmen Formen.
Das Buch riecht immer noch nach Opa. Aber möglicherweise riecht das außer mir niemand.
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Im Japanologiestudium mussten wir auch ein Seminar in japanischer Geschichte machen. Unser Prof (es gab nur den einen) erzählte vom Ausbruch der Mandschurei-Krise zwischen Japan und China, davon, wie die Japaner eine nicht ganz so wichtige Teilstrecke der Südmandschurischen Eisenbahn gesprengt und das dann fürchterlich aufgebauscht und behauptet haben, das wären chinesische Terroristen gewesen, vor denen man die Chinesen nun beschützen müsste, und dann einmarschierten. Als das herauskam, sind sie aus dem Völkerbund geflogen.
„Wissen Sie, wo man das ganz toll nachlesen kann“, fragte er, und wir gähnten, nein, wussten wir nicht, interessierte uns auch nicht wirklich. „Bei Tim und Struppi: Der blaue Lotos. Kaufen Sie sich das ruhig mal!“ Huch! Das kann doch wohl nicht! Wahr sein! Unser Herr Professor Schamoni, ein Professor, wie er im Buche steht, der ungefähr alles weiß und unglaublich klug und gebildet und belesen und alles ist, empfiehlt uns einen Comic! Er sei, fügte er hinzu, kürzlich mit seinem Sohn extra nach Paris gefahren, um sich die Tim-und-Struppi-Ausstellung anzusehen. Da war ich platt.
Das war im ersten oder zweiten Semester. Zu Hause hatte ich gelernt, Comics seien pfui und dumm und überhaupt rundum verabscheuenswert. Jetzt aber zog ich mit professoraler Absolution los und kaufte mir den „Blauen Lotos“. Und dann nach und nach alle anderen Tim-und-Struppi-Bände. Ich habe sie alle mehrfach gelesen und denke heute noch beim Lesen an Professor Schamoni.
Und dann denke ich an Freundin A., der ich einmal den gesamten Stapel ausgeliehen habe. Habe ich da vorhin behauptet, ich hätte „alle Bände“ gekauft? Stimmt nicht ganz, es sind nur fast alle, drei fehlten. Als A. mir den Packen zurückgab, stellte ich ihn unbesehen ins Regal. Und entdeckte erst zwei Jahre später, dass da ein mir gänzlich unbekannter Band dabei war. Vorne drin klebte ein kleines Post-it, sonst hätte ich wohl an meinem Verstand gezweifelt. Sie hatte ihn einfach so dazugeschmuggelt, als Dankeschön fürs Ausleihen. Jetzt fehlen mir nur noch zwei Bände. Seither denke ich bei Tim und Struppi an meinen Prof und an A.
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