Beide nicht gelesen. Der Mann hat die Jahrestage gelesen, hat ungefähr ein Jahr gedauert, er ist dem Cresspahl-Jahr gefolgt und hat zwischendurch anderes gelesen. Ich habe wahrscheinlich auch deshalb Angst vor so dicken Büchern, weil mein Gedächtnis so schlecht ist. Ich hätte nach einem Jahr keine Ahnung mehr, wie es angefangen hat.
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Alle nach Damals war es Friedrich. Denn danach wurde die Schullektüre erwachsen, ich aber nicht. Ich war einfach eine Spätentwicklerin und fand alle weiteren Schullektüren unendlich langweilig. Der zerbrochene Krug. Unterm Birnbaum (worum ging es da? Keine Ahnung mehr.). Der Schimmelreiter ging gerade noch. Das wars, glaube ich, in der Mittelstufe. Interessierte mich alles nicht, herrje, ich habe in dem Alter die Burg-Schreckenstein-Bücher meines Bruders gelesen. Und Als Hitler das rosa Kaninchen stahl und solche Sachen.
In der Oberstufe hatte ich Herrn W in Deutsch. Herr W konnte mich ebenso wenig leiden wie ich ihn. Und hätte es die Mittelstufe nicht durch Langeweile schon geschafft, dann hätte spätestens Herr W mir alles Lesen verleidet, einfach weil er so ein ätzender Typ war. Und dieses „Interpretieren“ hatte ich sowieso noch nie beherrscht. Bei Herrn W lasen wir Maria Magdalena von Hebbel, bürgerliches Trauerspiel. Dann Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Die Pest! Und schließlich Kafka, Die Verwandlung und ein paar kürzere Sachen. Die Cholera! Alles unfassbar grauenhaft, langweilig, uninteressant, die reinste Qual. Ob es wirklich an den Büchern lag oder an Herrn W oder schlicht daran, dass bei mir die Tür schon zugegangen war, weiß ich nicht. Aber zu war sie. Und zwar fest. Von diesem Herrn Kafka hört man ja ansonsten nur Gutes, er ist auch so einer, um den ich seit Jahren herumschleiche, aber nun ja. Die Tür ist halt zu. Mal sehen, ob ich sie irgendwann wieder aufkriege.
Nach der 12. Klasse habe ich Deutsch abgewählt. Und ich behaupte, Herr W ist schuld daran, dass ich das Lesen dann erst ziemlich spät wiederentdeckt habe. Erstmal hatte er es mir gründlich versaut.
PS: Sopran hat auch was Blödes gelesen. Hihi.
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In der siebten oder achten Klasse mussten wir Bücher vorstellen. Man sollte sich selbst ein Buch aussuchen, kurz etwas über Inhalt und Autor sagen und warum man das Buch mag, und dann ein Stück vorlesen. Jeweils zwei oder drei Schüler zu Beginn einer Stunde, dann normaler Unterricht. Es zog sich über einige Wochen hin, bis die ganze Klasse durch war.
Mein Nachname war weit vorne im Alphabet, ich war eine der ersten, mit mir zusammen waren Nicola und Anouschka dran. Anouschka stellte „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth vor. Ein Thriller. Ich kannte nicht mal das Wort „Thriller“. Ein richtiges Erwachsenenbuch, es klang irgendwie spannend und nach einer vollkommen fremden Welt.
Nicola hatte „Verwirrung der Gefühle“ von Stefan Zweig dabei. Eine Dreiecksgeschichte! Und dann kommt auch noch raus, dass einer schwul ist! Unfassbar. Klang ebenfalls sehr erwachsen, sehr beeindruckend und sehr fremd.
Während die beiden vortrugen, wurde ich auf meinem Stuhl immer kleiner. Das Buch, das ich mitgebracht hatte, hieß „Britta und ihr Pony“*. Es war aber nicht nur irgendein blödes Pferdebuch! Sondern es ging unter anderem um ein blindes Mädchen, das trotzdem reiten konnte, obwohl es nichts sah. Das fand ich total toll und interessant, sie hat zum Beispiel eine Uhr zum Tasten, und wenn sie auf dem Platz reitet, hängt sie so knackende Dinger in zwei Ecken, damit sie immer hören kann, wo sie ist. Und dann passiert irgendwas Gefährliches, habe ich jetzt vergessen, und am Ende rettet das Pony das blinde Mädchen irgendwie, glaube ich. Das war damals mein Lieblingsbuch, und ich fand, man könnte sich auch ruhig mal damit beschäftigen, wie es ist, blind zu sein. Und dann auch noch Pferde, ist doch super.
Bis zu dem Morgen war ich überzeugt gewesen, dass dieses Buch eine gute Wahl war. Ich hatte mir die rührendsten Stellen über das blinde Mädchen rausgesucht, sie gekürzt, um möglichst viel unterzubringen, ohne zu lang zu werden, und das Vorlesen geübt. Ich habe mich darauf gefreut, meiner Klasse dieses tolle Buch vorzustellen. Während Anouschka und Nicola ihre Bücher vorstellten, merkte ich sehr genau, dass ich jetzt würde tapfer sein müssen. Augen zu und durch.
*Laut Amazon stimmt das anscheinend gar nicht, es dürfte ein anderer Band aus der Britta-Reihe von Lisbeth Pahnke gewesen sein. Vielleicht „Britta reitet in den Sommer“, da kommt mir das Cover so bekannt vor. Ist aber auch nicht so wichtig.
Hans Peter Richter: Damals war es Friedrich
„Damals war es Friedrich“ war, glaube ich, meine allererste Schullektüre, es wird in der fünften Klasse gewesen sein. Ich habe es sehr gemocht, das weiß ich noch, und ich weiß auch noch den ersten Satz: „Irgendwer hatte ihn Polycarp getauft.“ Polycarp war der Gartenzwerg im Vorgarten des Mietshauses, und der Name war unter anderem deswegen ein bisschen lustig, weil jemand in meiner Klasse mit Nachnamen Carp hieß. In der Geschichte geht es um die Freundschaft zweier Jungen in der Nazizeit; es stellt sich dann heraus, dass einer der beiden Jude ist. Mehr weiß ich nicht mehr, ich habe das Buch auch nicht mehr. Wir hatten auch nicht diese Ausgabe, sondern eine andere. Aber ich fand es toll und habe es gerne gelesen und fand es auch super, ein ganzes Buch zusammen mit der Klasse zu lesen. In der Schule Bücher lesen: super Sache.
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Lolita. Lolita wollte ich schon immer mal lesen. Um klassische Bildung nachzuholen. Und weil es alle toll finden, ich kenne niemanden, der es gelesen hat und nicht liebt. Man hat es mir hundertmal ans Herz gelegt. Wie man sieht, besitze ich es ja auch schon. Aber jetzt übersetze ich gerade ein Buch über die erwachende Sexualität dreizehnjähriger Mädchen, die sich in mitte-vierzig-jährige Männer verlieben, und das ist alles sehr unangenehm, die Männer ebenso wie die Mädchen, die ganze Atmosphäre ist schmierig. Soll ja bei Lolita nicht so sein. Schaumermal. Nach dieser Übersetzung brauche ich jedenfalls erstmal was ohne Pädophile.
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