Pia Ziefle: Suna

Das Baby schläft nicht. Nie. Der alte Dorfarzt sagt seiner Mutter Luisa: „Es kann keine Wurzeln schlagen. Finden Sie Ihre.“ Also macht Luisa sich auf die Suche nach ihren Wurzeln und erzählt ihrem Baby alles, was sie über ihre eigene Herkunft herausfindet. Und ich dachte kurz, hoffentlich wird mir das nicht zu esoterisch. Aber dann: wow. Was für ein wundervolles, wundervolles Buch! Was für ein unglaublich tolles Buch.

Luisa wurde als kleines Kind adoptiert, von einem deutschen Ehepaar, das keine Kinder bekam. Ihre leiblichen Eltern sind ein anatolischer Bauer und eine jugoslawische Fließbandarbeiterin. Sie hat also sozusagen vier Eltern, deren Lebensgeschichten sie nun ihrer Tochter erzählt. Als fünftes ihre eigene; wie es kam, dass sie adoptiert wurde, wie sie es herausgefunden hat, und wie sie eigentlich immer auf der Suche war. Also fünf miteinander verwobene Lebensgeschichten, die alle so dermaßen randvoll sind mit Liebe und Schmerz, dass man es kaum aushält. Der verzweifelte Mann, der nach dem Tod seiner geliebten Frau nicht mehr auf die Füße kommt. Der zerstörte Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft, der zu einer zerstörten Frau und zerstörten Kindern zurückkehrt. Überhaupt, wie die Politik, beziehungsweise der Krieg, immer wieder ins Privatleben eingreift. Sehr, sehr große Geschichten, und alle sind mit einer Liebe zu den Figuren und mit einer Wärme geschildert, dass man wirklich weinen möchte, weil es so großartig ist und auch die schrecklichen Geschichten so schön macht. Und weil niemand für seine Fehler verurteilt wird.

    Weil die Sehnsucht nicht aufhört nach ihm und seinen Händen, nach ihm und seiner Stimme und nach ihm und seinem Gesicht. Weil es stimmt, was die Leute sagen, dass man weniger ist als die Hälfte, wenn der andere fort ist, und weil sie an ihren Vater denkt, der nicht mehr leben wollte, als ihre Mutter starb, und jetzt, jetzt endlich versteht sie und weiß, wie man grau werden kann im Gesicht, einfach nur, weil man übrig ist.

Und die Sprache stimmt auch. Da gibt es nicht nur nichts zu meckern, sondern auch etwas zu loben, nämlich dass es ganz eindeutig eine Stimme hat, einen eigenen Sound, der nicht austauschbar ist. Und dass mit so wenigen Strichen Charaktere und ganze Szenen skizziert werden, die dadurch umso deutlicher werden. Unglaublich gut. Lest dieses Buch, und geht in die Buchhandlungen und erzählt den Buchhändlern, wie toll es ist, damit sie es weiterempfehlen. Desweiteren finde ich, Pia Ziefle sollte ein paar Preise dafür bekommen. Weil das so ein umwerfend wundervolles Buch ist, sagte ich das schon?

Pia Ziefle wird im Regal zwischen Feridun Zaimoglu und Emile Zola wohnen.

Pia Ziefle: Suna. 301 Seiten, Ullstein. 18,- €. E-Book 14,99 €.

Pia Ziefle hat auch eine Webseite und ein Blog. Und eine Leseprobe gibt es auch.

10 Kommentare

  1. Uschi aus Aachen Freitag, 2. März 2012 um 14:02 Uhr [Link]

    Jetzt möchte ich auf der Stelle anfangen, das Buch zu lesen.

  2. Isabel Bogdan Freitag, 2. März 2012 um 14:05 Uhr [Link]

    Ja, mach.

  3. Susanne (flicKwerk) Freitag, 2. März 2012 um 14:08 Uhr [Link]

    Kommt auf die „sofort-lesen-Liste“! Danke, für all die schönen Buchbesprechungen!

  4. Anna Dienstag, 6. März 2012 um 10:42 Uhr [Link]

    Spitzenbuch! Sofort gekindled und ausgelesen.

  5. Gelesen – Pia Ziefle: “Suna” « Herzdamengeschichten Mittwoch, 7. März 2012 um 18:20 Uhr [Link]

    [...] Rezensionen auch bei Isa und Textzicke und bei Jens Arne Männig. Amazon.de [...]

  6. Textzicke. Das Blog. » Archiv » Gelesen: “Suna”. Von Pia Ziefle. Donnerstag, 8. März 2012 um 15:46 Uhr [Link]

    [...] UPDATE: Jens Arne Männig hat “Suna” ebenfalls gelesen und, wie ich finde, großartig besprochen. Er beleuchtet in seiner Rezension völlig andere Facetten als ich, die mindestens ebenso wichtig sind. Lest bitte auch Maximilian Buddenbohms Meinung zum Buch. Und dann wäre da noch Isabel Bogdans “Suna”-Rezension. [...]

  7. Elvira Veselinovic Montag, 12. März 2012 um 09:46 Uhr [Link]

    Ich habe es mir auch sofort bestellt (klar, schon weil Serbien bzw. Jugoslawien darin vorkommt) und musste auch schon beim ersten Kapitel weinen, weil es so schön geschrieben ist und ich die ganze Zeit an „So zärtlich war Suleyken“ und meine eigene Familiengeschichte denken musste. Hoffentlich finde ich in den nächsten Tagen mal Zeit, das aufzuschreiben. Vielen Dank für den Tipp!!

  8. frauziefle Dienstag, 13. März 2012 um 17:28 Uhr [Link]

    @Anna
    da bedanke ich mich doch gleich für ein neue Wort.
    Gekindelt.
    Toll.

    und sowieso tausendmal Danke für die tolle tolle Besprechung und auch den zweiten Text dazu. Danke, Isa.

  9. Leserstimmen. Mittwoch, 21. März 2012 um 16:01 Uhr [Link]

    [...] Isabel Bogdan [...]

  10. Gelesen: Pia Ziefle, „Suna“ - e13.de Sonntag, 7. Juli 2013 um 12:56 Uhr [Link]

    [...] Suna also auch als Taschenbuch herausgekommen. Das Feuilleton – also Herr Buddenbohm, Frau Bogdan und die Textzicke zum Beispiel – überschlug sich ja im vergangenen Jahr vor Begeisterung, ich [...]

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