Blumen kaufen

Wir waren auf dem Markt, Blumen für den Balkon kaufen. Vor uns war eine ältere Dame dran, die ein wenig umständlich war und ausführlich beraten werden wollte, der Verkäufer war also beschäftigt, und wir hörten unfreiwillig zu. Wir stellten ein paar fleißige Lieschen in unsere Kiste, ein paar Kapmargeriten, ein paar Blumen, deren Namen ich nicht kenne, und irgendwann kam auch die umständliche Dame endlich zum Ende ihres Einkaufs. Sie bezahlte, es gab keine Registrierkasse oder sowas, der Verkäufer hatte einen ledernen Geldbeutel umgebunden wie ein Kellner, er überschlug die Pflanzen, die sie in Taschen und Tüten hatte, rundete am Ende ein bisschen ab und sagte: „Sagen wir 18,- €“. Die Dame bat den Verkäufer, ihr das aufzuschreiben. Er schrieb den Gesamtbetrag auf ihren Einkaufszettel, 18,- €, dann bat sie ihn aber noch, die Preise für die acht Blumen doch bitte einzeln aufzuführen. Er war sehr freundlich, guckte nur etwas irritiert und notierte ihr dann die einzelnen Preise auf ihrem Zettel. Sie bemerkte entschuldigend, sie könne nichts dafür, ihr Mann habe das so bestimmt.

Ihr Mann habe das so bestimmt. Andererleuts Beziehungen gehen mich natürlich einen feuchten Kehricht an. Aber mich erschreckt so ein Satz so, ich war vollkommen verdattert, gleichzeitig voller Mitleid und Entsetzen und Wut, wie kann man sich sowas gefallen lassen, wie kann man so leben, es geht ja offenbar nicht darum, getrennte Kassen zu haben oder ein gemeinsames Haushaltsbuch zu führen, da könnte man ja einfach „Blumen, 18,- €“ reinschreiben. Schon das könnte ich nicht, weder getrennte Kassen noch Haushaltsbuch, weil ich finde, dass das Geld dadurch eine Wichtigkeit bekommt, die es nicht haben soll, jedenfalls in meinem Leben nicht, aber das können andere Leute ja anders machen, ich weiß ja, dass andere Leute ein anderes Verhältnis zu Geld haben. Und das ist erstmal vollkommen unabhängig davon, wie viel Geld man hat. Aber hier ging es offenbar darum, dass der Mann die einzelnen Preise der einzelnen Blumen wissen will. Was denkt er denn? Dass seine Frau heimlich beim Blumenkauf zwei Euro abzwackt und für sich beiseitelegt? Bis sie genügend beisammen hat, um ihn verlassen zu können? Oder dass sie es gleich verprasst und sich gar ein Eis davon kauft, oder eine Obdachlosenzeitung? Was ist denn, wenn sie sich ein Eis oder eine Obdachlosenzeitung kaufen möchte, muss sie das auch belegen? Darf sie sich überhaupt ein Eis kaufen? Darf sie einem Obdachlosen zwei Euro geben? Muss er ihr das dann quittieren, auf ihrem Einkaufszettel?
Aber das ist ein Nebenthema, der Punkt ist: Es genügt dem Mann offenbar nicht zu wissen, dass 8 Blumen für den Balkon 18,- € kosten, sondern er muss es einzeln wissen, das macht mich fertig, wie kann man in einer Beziehung mit so wenig Vertrauen leben? Wie kann der eine bestimmen, wie genau der andere etwas aufschreiben muss? Kann man da glücklich sein? Jaja, schon gut, das ist eine rhetorische Frage, ich könnte es nicht, andere können es vielleicht, und es geht mich in der Tat nichts an. Aber lieber Himmel, wenn man nicht mal sagen kann „ich habe 8 Blumen für 18,- € gekauft“, wie soll das gehen? Mein Eindruck war übrigens überhaupt nicht, dass sie etwa insgesamt zu viel Geld ausgegeben hätte, es ging nicht um die Gesamtsumme, es ging nicht darum, dass das Paar kein Geld für Blumen hätte, sie hat die Blumen nicht nach Preis ausgesucht, sondern nach Pflegeintensität und Standort. Es ging nicht ums Sparen, sondern darum, die Kosten en détail zu belegen. Und was mich so erschreckt hat, war wahrscheinlich das Verb: er hat das so bestimmt.

Und natürlich kann es auch alles ganz anders sein, möglicherweise will sie selbst die Einzelpreise wissen, vielleicht ist sie nicht fix genug im Kopf, um mal schnell überschlagen zu können, ob der Gesamtpreis richtig war, und will sich in Ruhe selbst zu Hause vergewissern und hat den Mann nur vorgeschoben, weil es ihr weniger peinlich ist zu behaupten, das hätte ihr Mann so bestimmt, als zuzugeben, dass sie selbst nachrechnen möchte. Weiß man alles nicht.

Immer wieder sonderbar, diese winzigen Fenster zu den Leben fremder Leute.

9 Kommentare

  1. Julian Dienstag, 26. Mai 2015 um 11:45 Uhr [Link]

    In unserer Straße sitzt ein bärtiger Mann in seinem weißen Lieferwagen. In der Parklücke. Stundenlang. Fast jeden Tag. Lässt im Winter den Motor laufen und stiert nach draußen. Guckt die Passanten an. Die Fenster im hinteren Teil sind mit weißen Laken verhängt.

    Was macht der da? Ist er ein Privatdetektiv? Ist er obdachlos und wohnt in dem Ding? Ist er gepfändet worden? Hat er was zu verbergen? Ist er kriminell? Späht er ein Opfer aus? Sollte man das mal der Polizei stecken? Warum muss das in unserer Nachbarschaft sein? Geht’s noch mit dem Motor?

    Letzte Woche bin ich hin. Das Fenster war zum Glück heruntergekurbelt und ich musste nicht klopfen. „Sagen Sie mal, ist Ihnen nicht öde da immerzu im Auto?“

    „Na ja“, sagte er, „ich höre meistens Radio. Wissen Sie, ich habe einen offenen Bauch, und hier im Autositz tut’s am wenigsten weh …“

    Manchmal liegt man richtig falsch. Ab sofort werde ich ihn einfach grüßen.

  2. katharina Dienstag, 26. Mai 2015 um 11:49 Uhr [Link]

    mhhh, schon seltsam. allerdings rede ich mich auch schon mal bei all zu sagen wir engagierten verkaeuferinnen raus, wenn mir das teil eben doch nicht gefaellt und sage schlicht und ergreifend: da muss ich erst meinen mann fragen. muss ich nicht, aber macht den abschied kurz und knapp…..

  3. Isabel Bogdan Dienstag, 26. Mai 2015 um 12:01 Uhr [Link]

    Julian, wie schrecklich, das bricht einem ja das Herz.

  4. Regionalulf Dienstag, 26. Mai 2015 um 12:11 Uhr [Link]

    Oh. Man sollte ihm vielleicht einen Autositz schenken, für die Wohnung.

  5. Melanie Dienstag, 26. Mai 2015 um 13:57 Uhr [Link]

    Man weiß so wenig über die Anderen. Bekomme ich eine solche Situation mit, wie Du, Isa, beginnt in meinem Kopf sofort das Kopfkino, …. wie verhält sich der Mann erst, wenn er schon, ohne dass er dabei ist, eine solche Macht ausübt … schlägt er vielleicht sogar? Wie sieht das Zuhause der Beiden aus …. alles blank gewienert, so wie „er “ es mag, überall Schutzdecken auf den Sofas, Häkeldeckchen …. und leise tickt die Uhr und gibt den Takt vor in einer Beziehung, die längst zur sprachlosen Gewohnheit wurde. Haben sie (um Himmels Willen, bitte nicht) Kinder? Oder einen Dackel? In welche Sorte Garten werden die Blumen gepflanzt? Alles ordentlich am Gehweg eingepflanzt, kein Unkräutchen hat eine Chance und Samstag mäht er den Rasen … Himmel, mein Kopf spuckt ein Klischee nach dem anderen aus … vermutlich hatte sie nur keinen Bock, nachzurechnen … ;-)

  6. kelef Dienstag, 26. Mai 2015 um 14:22 Uhr [Link]

    eine vor wenigen jahren verstorbene freundin von mir (geboren noch während des krieges) führte ein akribisch genaues haushaltsbuch. sie begann damit, weil sie, als sie heiratete, keine ahnung von nix, und nach kurzer zeit daher den überblick verloren hatte. ihr mann wollte helfen und „bestimmte“ also, dass sie ein haushaltsbuch zu führen habe, damit da irgendwie klarheit in die sache käme. es ging ihm gar nicht darum, sie zu kontrollieren, sondern es war tatsächlich als hilfe gedacht. natürlich stritten sie entsprechend heftig darüber, das war ende der 50er/anfang der 60er jahre, im vorigen jahrtausend, die frauen wurden gerade „selbständig“, es war kompliziert. nach wenigen jahren liessen sie sich scheiden.

    das haushaltsbuch hat sie weiter akribisch genau geführt, und alle ausgeschriebenen hefte aufgehoben. unglaubliche zeitdokumente, wenn man da reingelesen hat. was ein suppengrün, ein brot, ein liter milch, ein kilo kaffee jahrzehnte früher gekostet hatte, was in einem haushalt an putzmitteln, waschmitteln, schuhen, kleidern gekauft wurde, was z.b. schuhreparaturen kosteten, unfassbar aufschlussreich. sogar restaurantrechungen (detalliert die speisen, getränke, trinkgeld) fanden sich aufgelistet. auch sie hat natürlich jede einzelne pflanze mit namen aufgeführt, mit einzelpreisen, und auch sie hat – mehr als vierzig jahre NACH der scheidung, manchmal auf fragen geantwortet mit „mein mann hat das so gewollt“. dabei hat sie mit jedem lebensgefährten, den sie nach dem ehemann hatte, über diese akribische haushaltsbuchführung heftige debatten geführt. nur der letzte, den sie nach über 20 jahren wilder ehe dann doch heiratete, der fand das toll weil er selber mit geld nicht umgehen konnte. und er liess sich auch den preis jedes einzelnen gemüses aufschreiben, jedes gewürz, jede pflanze. wenn er gefragt wurde, antwortete er mit „die frau will das so …“. tja.

  7. LiFe Dienstag, 26. Mai 2015 um 16:22 Uhr [Link]

    Traurig fand ich folgendes Erlebnis. Ich denke Kinder, die begabt sind müssen gefördert werden. Unsere kleine Nachbarin spielte hervorragend Cello. Sie gehörte zwar nicht zu den Fortgeschrittenen, aber ich war der Meinung, dass sie schön spielte. Hin und wieder lud ich sie ein und ich begleitete sie am Klavier. Eines Tages erzählte sie mir, dass ihre beste Freundin sich von der Musikschule abgemeldet hatte. Schade, dachte ich. Die Kleine fügte hinzu: „Melde dich doch auch ab.“ Es war ihr Vater, der es gesagt hatte.

  8. Christoph Schepers Dienstag, 26. Mai 2015 um 16:29 Uhr [Link]

    Haste schon mal einen Mann beobachtet, der – von der Ehefrau mit einem Einkaufszettel ausgestattet – einkaufen geht? Kannste nen ganzes Buch drüber schreiben… ;-)

  9. iris Dienstag, 26. Mai 2015 um 19:36 Uhr [Link]

    wunderschön, was kelef schreibt.
    als ich mal für eine sylvesterfeier in einem restaurant eine tischreservierung vornehmen wollte, hat der oberkellner versucht, mir gleich eine champagnerflasche mit dazu verkaufen wollen. es gab drei flaschen zur auswahl, die preise begannen schon im dreistelligen bereich. ich habe nur gesagt: ich bin dazu nicht autorisiert. ein satz und alles war erledigt, ohne jede peinlichkeit und ohne dass ich mich knausrig gefühlt hätte. was autoritäten nicht alles vermögen.

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