Anne von Canal: Der Grund

index.phpWow. Was für ein durch und durch großartiges Buch. Es erzählt die Geschichte von Laurits, der in einem Stockholmer Nobelviertel aufwächst, bei seinem despotischen Vater und der kuschenden Mutter. Er entdeckt früh seine Liebe zur Musik, lernt Klavierspielen, wird gut, sehr gut sogar. Aber dann wird er Arzt und macht am Ende Unterhaltungsmusik auf einem Kreuzfahrtschiff (das weiß der Leser auch von Anfang an, ich plaudere hier nichts aus). Welche Katastrophen, Glücksmomente, Lebenslügen, Umwege und Neuanfänge ihn dahin gebracht haben, wird so wundervoll und poetisch erzählt und berührt einen so, dass man gar nicht möchte, dass es aufhört. Ich habe lange nicht mehr so viele Stunden am Stück gelesen. „Der Grund“ hält über die gesamten 270 Seiten die Spannung, ohne dabei je die Ruhe zu verlieren. Das liegt auch an der unglaublich kunstfertigen Verschachtelung der Erzählzeiten, mit Tagebucheinträgen und Rückblicken und Rahmenhandlungen, mit Beschreibungen und Stimmungen und ganz viel Musik. Mit „kunstfertig“ meine ich nicht „verkünstelt“, sondern im Gegenteil: so unaufdringlich gemacht, dass man es kaum merkt und nie den Faden verliert. Der Roman protzt nie mit dieser Perfektion, er sagt mit keiner Zeile „seht her, wie toll ich bin“, dabei finde ich ihn obendrein auch noch makellos formuliert. Die Sprache ist unaufdringlich, sie fließt, sie trägt die Geschichte und ordnet sich ihr gleichzeitig unter.
Und dann die Geschichte! „Wie oft kann ein Mensch von vorn beginnen?“, fragt der Klappentext. Ja, das fragt man sich. Laurits muss ein paarmal von vorn beginnen. Ob er es beim letzten Mal schafft … Aber auch hier protzt die Geschichte nicht, sie übertreibt nicht, sie wird nie unplausibel. Ich bin hin und weg, das ist für mich der Roman des Jahres, ich werde gleich mal ein ganzes Paket bestellen, um es weiterzuverschenken.
Bitte geht sofort alle in die nächstbeste Buchhandlung und kauft es, und dann geht ihr hinterher wieder hin und erzählt den Buchhändlerinnen, wie toll es ist, damit das bitte ein Erfolg wird. Was für ein wundervolles, wundervolles, möchte fast sagen: perfektes Buch. Mit Musik und Schiffen.

Anne von Canal: Der Grund. mare, 269 Seiten, 20,00 €

13 Kommentare

  1. Lust zu Lesen Sonntag, 27. Juli 2014 um 21:21 Uhr [Link]

    Das freut mich ausserordentlich, noch eine so positive Rezension zu lesen. Mir hat das Buch auch auf Anhieb sehr gut gefallen und ich kann der Begeisterung dafür aus vollem Herzen zustimmen!

    Leselustige Grüße

    Sonja

  2. Uschi Montag, 28. Juli 2014 um 08:15 Uhr [Link]

    Ich bin überzeugt. Ich werde es heute noch kaufen. Danke!

  3. Curima Montag, 28. Juli 2014 um 15:24 Uhr [Link]

    Danke für die Empfehlung, das klingt wirklich nach einem tollen Buch. Aber hat es jetzt 260 oder 170 Seiten? *verwirrt*

  4. Birgit K. Donnerstag, 31. Juli 2014 um 06:54 Uhr [Link]

    Danke für den Tipp! Nächste Woche beginnt mein Urlaub und somit habe ich schon eine erste Urlaubslektüre!
    Gruß
    Birgit

  5. Isabel Bogdan Freitag, 1. August 2014 um 19:23 Uhr [Link]

    Huch, wo ist denn mein Kommentar hin? Ich war in Glen Offline, wo ich immer nur gelegentlich ins Wackel-Internet konnte. Aber ich schrob: Danke für den Hinweis auf die falsche Seitenzahl – ist korrigiert. Die Korrektur immerhin ist angekommen, der Kommentar nicht. Tst.

  6. chick Montag, 4. August 2014 um 10:19 Uhr [Link]

    Ich vertraue mal wieder auf dein Urteil und kaufe mir das Buch als Urlaubslektüre,

  7. Birgit K. Freitag, 15. August 2014 um 09:17 Uhr [Link]

    Ein wundervolles Buch – habe gestern im Bett die letzten Seiten gelesen, ich wollte es eigentlich in die Länge ziehen, das Buch sollte mich noch etwas begleiten, aber dann konnte ich einfach nicht mehr aufhören. Vielen Dank für den Tipp, ich hatte eine großartige Zeit beim Lesen!
    LG Birgit

  8. Anne von Canal: Der Grund | Bücherwurmloch Donnerstag, 25. September 2014 um 11:32 Uhr [Link]

    […] – „Was für ein wundervolles, wundervolles, möchte fast sagen: perfektes Buch“, schreibt Isabel Bogdan in ihrem Blog. – „Anne von Canal ist ein bewegender, rührender Roman gelungen über unsere […]

  9. Das Leben – eine unvollendete Symphonie. | brasch & buch Donnerstag, 4. Dezember 2014 um 13:14 Uhr [Link]

    […] dazu sind mir zu wohlwollend seicht. Da bevorzuge ich doch die differenzierteren aus den Blogs von Isabel Bogdan, Lust zu lesen, Schöner Denken oder die etwas weniger begeisterten von aus.gelesen und […]

  10. Anderswo Montag, 8. Dezember 2014 um 12:42 Uhr [Link]

    […] Der wundervolle Roman „Der Grund“ von Anne von Canal wurde ins Estnische übersetzt, hier gibt es eine lange Lesung daraus, also aus der estnischen […]

  11. Uschi aus Aachen Samstag, 10. Oktober 2015 um 13:50 Uhr [Link]

    Und nun habe ich es auch endlich gelesen und bin hin und weg!

  12. Der Grund – Roman einer Lebensreise | notizhefte Dienstag, 15. Dezember 2015 um 21:34 Uhr [Link]

    […] fiel das Urteil – soweit ich sehe – überwiegend positiv aus. Zustimmung gibt es etwa hier und hier. Besonders ausführlich fällt das Lob bei »Lust zu Lesen« aus. Auch »Brasch und […]

  13. Lese-Marathon | Ich tu, was ich kann Donnerstag, 8. Oktober 2020 um 08:10 Uhr [Link]

    Im Alltag lese ich leider wenig – weil ich in ein Buch ganz und gar eintauchen möchte und das wahre Leben dabei oft empfindlich stört und mich das so nervt, daß ich lieber gar nicht erst anfange. Blöd, vielleicht, aber so ist es nun einmal.
    In einem faulen Strandurlaub lese ich dafür umso mehr. Aus einem solchen sind wir gerade zurückgekehrt und ich erzähle zuerst über meine Bücher.

    Was für ein Buch!
    Der Grund” – feinst ineinander verwobene Geschehens- und Gedankenebenen, die sich am Ende zu einem schlüssigen, bedrückenden und tieftraurigen Ende fügen. Ich war sehr beeindruckt, sowohl von der Geschichte als auch der Schreib- und Erzählkunst…
    Eine absolute Empfehlung. Die ich übrigens vor längerer Zeit mal auf dem Blog von Isabel Bogdan entdeckte.
    Nach soviel Tiefgang (sic!) brauchte ich Krimis zum Einfach-so-wegschmökern!

    Das war der erste. Der war mal auf meiner Leseliste bzw. meinem Kindle gelandet durch eine Empfehlung in einer Zeitschrift. Wo, weiß ich nicht mehr.
    Die Beschützerin” ist eine raffinierte, weil durchaus nicht in allen Wendungen vorhersehbare Crime Story, die in der Business-Welt angesiedelt ist.
    Hat mir gut gefallen.

    Und dann entdeckte ich Deon Meyer. Eine Buchempfehlung aus dem STERN, wenn ich mich richtig erinnere.
    Dreizehn Stunden” erzählt eine superspannende Story, ebenso packend geschrieben durch einen eigentlich simplen Autorenkniff (den ich hier natürlich nicht verrate), das Ganze in Kapstadt spielend – eine Weltgegend, in der ich mich noch nie bewegt habe und über die ich ganz nebenher auch noch Einiges gelernt habe. Nein, dies wird nicht mein letztes Buch von Herrn Meyer gewesen sein.

    Und was wäre ein Schmöker-Urlaub ohne Kay Scarpetta, die ständig von vielerlei Problemen gleichzeitig bedrängte Gerichtsmedizinerin?
    Ich habe inzwischen von Patrica Cornwells Reihe so viele Bücher gelesen, daß ich gelegentlich durcheinanderkomme, welche ich schon kenne und welche nicht. Zum Glück klärt sich das meist auf den ersten 20 Seiten. “Der Bastard” war mir jedenfalls wirklich neu und für einen treuen Fan wie mich genau das Richtige.

    Danach las ich dann endlich das hervorragende “Besser” von Doris Knecht zuende, das ich einen Urlaub zuvor begonnen hatte. Eine ruhige, fast ereignislose Geschichte voller kluger Gedanken, ein Frauenbuch, in dem sich manche von uns wiedererkennen kann – denke ich jedenfalls.
    Ich bin eine riesengroße Verehrerin von Frau Knecht, deren Formulierungskunst ich traumhaft toll finde. Beispielzitat aus dem Buch: “Wir kommen alle von irgendwo her. Wir sind alle beschädigt. Und die meisten von uns wissen, warum sie jetzt da sind, wo sie sind. Und warum wir leben, wie wir leben, und warum wir sind, wie wir sind. Und warum wir so leben wollen, wie wir leben, warum wir genau so lieben, nicht anders.”
    Und weil’s so schön war, habe ich dann auch noch “So geht das! Wie man fidel verspießert” angefangen, eine Kolumnensammlung von Doris Knecht, herrlichst! Weiblich, mütterlich, intellektuell, pragmatisch, ehrlich, feministisch. Ich kann beim Lesen gar nicht aufhören zu grinsen.
    Beispielzitat zum Thema Testosteron: “Horvath schenkt dem kleinen Horvath zum Geburtstag ein Schwert, der haut damit einem auf den Kopf, wird von einem auf den Kopf gehauen, damit ist er ein Mann und seine Sozialisation praktisch abgeschlossen. Jedenfalls braucht er seine Einstellung das ganze Leben lang nicht mehr grundlegend zu ändern, mit etwas Feinjustierung da und dort kommt er locker durch.”
    Ach, was soll ich sagen? Lest es selbst – ich kann doch hier nicht das ganze Buch zitieren…

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