Shanghai zum Dritten

Heute Vormittag bin ich als erstes zum People’s Park marschiert, dem „pulsierenden Herzen der Stadt“. Vor dem Park bitten mich drei junge Damen, ein Foto von ihnen zu machen. Ich werde sofort brummig, mache ein einziges Bild, gebe ihnen die Kamera zurück und wende mich zügig ab. Woher ich komme, fragen sie noch, Deutschland, murmele ich schon halb im Gehen, aha, rufen sie mir hinterher, Guten Tag, aber da habe ich mich schon umgedreht und bin losmarschiert und mache eine abwinkende Handbewegung. Und ärgere mich sofort, vielleicht hätte ich das Spielchen noch ein bisschen mitspielen sollen, vielleicht hätte ich mal abwarten sollen, ob die Nummer mit der Teezeremonie kommt … sie wäre gekommen, natürlich wäre sie gekommen.

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Montags Vormittags pulsiert im pulsierenden Herzen rein gar nüscht. Einige Männer spielen überraschenderweise Karten; normalerweise wird Mah Jang gespielt. Die meisten stehen drumherum, gucken zu und kommentieren das Spiel. Ich schlendere ein bisschen durch den Park – falsche Jahreszeit für den Lotosblumenteich, und auch sonst: so ein Park halt. Zwischen den Wolkenkratzern, bei strahlend blauem Himmel, immerhin. Ansonsten eher unterwältigend.
Nach der wunderbaren chinesischen Massage gestern will ich mir tatsächlich einfach noch eine Fußmassage leisten. In einer anderen Dragonfly-Filiale, im Kerry-Center, das hier irgendwo in der Nähe … noch ein Stück … noch weiter … Ich laufe ein ziemliches Stück, die Geschäfte werden eleganter, kleine Boutiquen, dann die großen, Miu Miu, Louis Vuitton, Ferragamo … da ist das Kerry-Center. Das Kerry-Center ist verdammt groß, es gibt mehrere Türme mit Einkaufszentren, Büros, Hotels, Restaurants, wasweißich. Vier verschiedene Infodamen haben noch nie was von Dragonfly gehört, finden es auch in ihren elektronischen Hilfsmitteln nicht und gucken mich an, als würde ich etwas Unanständiges suchen. Irgendwann gebe ich auf. Keine Fußmassage, und mein chinesisches Handy will leider nicht mehr ins Internet gehen, ich fürchte, ich habe mein Kontingent schon aufgebraucht. Also gehe ich stattdessen essen, bei Din Tai Fung (aye, aye, Meike), hervorragende Idee. Und beschließe dort, die U-Bahn auf die andere Flussseite zu nehmen und mir die Stadt zum Abschied noch von oben anzugucken. Es ist nämlich herrliches Wetter und gar kein Smog heute; ich glaube, es ist tatsächlich der blauste Himmel, den ich in China bisher gesehen habe.
Auf der anderen Flussseite steige ich aus der U-Bahn und stehe mitten zwischen diesen riesigen Hochhäusern. Vollkommen irre. Sie glitzern in der Sonne und gehen bis hoch in den Himmel. Um von oben runterzugucken, wähle ich den nächstgelegenen Turm, den Oriental Pearl Tower, den Fernsehturm. Den fünfthöchsten Fernsehturm der Welt. Super, dass kein Smog ist.

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Vor ein paar Jahren waren wir in New York und sind dort bei schönem Wetter aufs Empire State Building gefahren. Als ich oben auf die Aussichtsplattform trat und die glitzernde Stadt mir zu Füßen lag, war ich einen Moment lang total ergriffen. Ich habe tatsächlich ein Tränchen verdrückt. So schlimm war es diesmal nicht – vielleicht ist Shanghai einfach zu viel. Man sieht von da oben rundum in alle Richtungen, 360°, nur Shanghai. Häuser, Häuser, Häuser, vor allem Wohn-Hochhäuser, bis zum Horizont, beziehungsweise bis sich alles im Smog verliert – hat der sich jetzt klammheimlich doch wieder eingeschlichen, oder sieht man ihn nur von oben besser? Jedenfalls: von oben runtergucken ist natürlich sowieso super, mache ich immer gerne, und das ist hier alles ganz schön wow. (Hallo Mama, ich weiß, was Du denkst: „Vaters Tochter“ denkst du. Jo.)

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Und dann ist es auch schon Zeit, zum Hotel zurückzukehren, mein Gepäck zu holen und nach Hause nach Nanjing zu fahren. Für den Rückweg zum Hotel will ich den Tunnel nehmen, der mir von gleich zwei Seiten empfohlen wurde. Jemand sagte etwas von entweder Aquarien, oder sogar Glas, durch das man die Fische im Fluss sehen kann. Ähm – gibt es womöglich zwei Tunnel? Ich gerate jedenfalls in den, wo man gar nicht durchläuft, sondern mit einem Bähnchen fährt, und die Tunnelwände sind mit Licht- und Gruseleffekten versehen – Sternenblitze, wehende Vogelscheuchen, Diskogeflacker, Geisterbahngelächter, ein sensationell alberner Spaß, der nur fünf Minuten dauert.

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Und dann: Gepäck holen, zum Bahnhof, und wieder nach Nanjing. Tschüss, Shanghai! Drei Betrugsversuche in drei Tagen hat noch keine Stadt geschafft, glaube ich, aber ich fand’s trotzdem super. Shanghai verabschiedet sich mit diesem Anblick.

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Im übrigen empfehle ich dringend, sich dieses Shanghaibild nochmal anzugucken. Laden dauert ein bisschen, aber dann kann man dieselbe Ansicht von 1987 und heute ineinander überblenden. Das ist wirklich … überwältigend. Vollkommen irrwitzig.

7 Kommentare

  1. Anna Schatz Montag, 18. November 2013 um 20:09 Uhr [Link]

    menno…ich kriege das mit dem überblenden nicht hin.

    Ansonsten: Shanghai. Da ist das so.
    so.
    so.
    so wie eine Novelle ohne Pointe.

    • Isabel Bogdan Dienstag, 19. November 2013 um 03:11 Uhr [Link]

      Hm, ne Weile warten, bis alles geladen ist? Auf dem ersten Bild wechselt es von selbst, beim zweiten kann man hin- und herklicken.

  2. Mareike Dienstag, 19. November 2013 um 10:29 Uhr [Link]

    „unterwältigend“ – super Wort!

    • Isabel Bogdan Dienstag, 19. November 2013 um 11:03 Uhr [Link]

      Habe ich von Dirk van Gunsteren, und der hat es von Herrn Foer, der vermutlich „underwhelmed“ schrob. (Was ich inzwischen auch in anderen Kontexten gehört habe, ich weiß nicht, ob es ein originär Foer’sches Wort ist.)

    • Mareike Dienstag, 19. November 2013 um 11:54 Uhr [Link]

      … „underwhelmed“ kommt glaube ich in „10 Dinge, die ich an dir hasse“ (dem Film) vor.

  3. giardino Mittwoch, 20. November 2013 um 22:53 Uhr [Link]

    Ich hätte ein Tränchen verdrückt, da oben. Mich hat der Anblick dieses Hochhauswalds schon von unten bei grauem Wetter entrückt.

  4. Uschi Donnerstag, 21. November 2013 um 19:07 Uhr [Link]

    Interessant. Wenn Du in NY vom Empire State Building runterguckst, siehst Du Dachgärten über Dachgärten – hier in Shanghai kein einziger…

Kommentieren:

Pflichtfeld

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Twitter