Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung

Hey, Wolf Haas! Bin ich Fan von. So sehr, dass ich ihm auch den bescheuerten Titel und das unschöne Cover verzeihe. Beides erklärt sich natürlich im Laufe des Buchs und ist dann doch nicht mehr so bescheuert. Der Titel sowieso, und auch das Cover wird klar: tatsächlich ist es nämlich so, dass der Autor sozusagen mitspielt, er schreibt einen Roman im Roman über einen Freund, der dann sowohl im Roman-im-Roman, als auch in der Rahmenhandlung auftaucht.
Dieser Freund, Benjamin Lee Baumgartner, hat sich in seinem Leben dreimal Hals über Kopf verliebt. Einmal in England, als dort gerade BSE ausbrach, beziehungsweise Menschen damit angesteckt wurden. Und dann in China, als die Vogelgrippe grassierte und man fürchten musste, dass sie die Menschheit ausrotten würde. Und dann schließlich war Benjamin Lee Baumgartner das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe, aber das hatte nicht so viel mit Verliebtheit zu tun.
Und mittenrein schreibt der Autor seine Anmerkungen darüber, was er noch in den Text einfügen oder an eine andere Stelle verschieben will – und da haben wir es nicht mit einer fiktionalen Autorenfigur zu tun, sondern durchaus mit Haas selbst (er ist das auch auf dem Cover). Und dann gibt es gelegentlich auch noch typografische Spielereien. Und dann dreht er die Schraube immer noch einen weiter.
Und wenn das alles nicht von Wolf Haas wäre, dann wäre es höchstwahrscheinlich doof. Aber es ist Wolf Haas, und der ist bei all dem einfach so dermaßen hemmungslos, dass es eben doch wieder gut ist, vor allem aber deswegen, weil er so toll erzählt, und weil er so toll Dinge weglassen kann, die dann irgendwann später in einem Nebensatz wieder auftauchen wie nebenbei, einem dadurch aber erst so richtig eine scheuern. Und weil er immer wieder so schön diese vorne eingestreuten Nebensächlichkeiten hinten wieder aufgreift, beispielsweise diese Hausarbeit über temporale und kausale Konjunktionen. Großes Kino, ehrlich.
Dummerweise … tja. Wie sag ich das jetzt? Irgendwie fand ich, dass es im letzten Drittel plötzlich ziemlich abfällt, und das Ende fand ich dann geradezu blöd. Wie schade ist das denn! Herr Haas! Das können Sie doch besser! Komische Sache. Vielleicht habe ich es auch nur nicht kapiert, vielleicht konnte ich auf die siebzehnte ironische Metaebene dann doch nicht mehr folgen? Ich habe halt gar nicht bemerkt, dass da eine ist.
Insgesamt also: Zwei Drittel lang ganz große Begeisterung, mehrfach schallend gelacht. Allerdings in der Tat eher trotz als wegen der Maniriertheiten mit dem stets präsenten Autor. Und dann am Ende – könnt Ihr das bitte auch lesen und mir sagen, dass ich beim Lesen nur zu erschöpft war, um das Ende goutieren zu können? Das wäre nett, danke. Weil, ich würde doch gerne Haas-Fan bleiben.

Eine von ganz vielen Lieblingsstellen:

Jedem von ihnen fiel auf, dass der andere ein bisschen rot wurde. Was sehr peinlich war, denn schließlich waren sie erwachsene Menschen. Und so wurden sie eigentlich rot, weil sie rot wurden. Ihm fiel auf, dass ihren unmerklich nach oben wandernden Pupillen auffiel, dass ihm auffiel, dass sie ein bisschen rot wurde, während ihr auffiel, dass ihm auffiel, dass ihr auffiel, dass er ein bisschen rot wurde, und obwohl jeder von ihnen noch hoffte, dass nur die Errötung des anderen sichtbar, das eigene Gesichtsgefühl aber noch eine unsichtbare, bloß farblose Wangenerhitzung sein möge, war der Prozess der unendlichen gegenseitigen Errötungshochschaukelung nicht mehr zu stoppen, bis ihnen nichts anderes mehr übrigblieb, als so zu tun, als wäre nichts.

Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. 239 Seiten. Hoffmann und Campe, 19,90
Anscheinend nicht als E-Book erhältlich.

Danke nochmal an Pia für das Geschenk!

10 Kommentare

  1. fzerozero Dienstag, 11. September 2012 um 17:25 Uhr [Link]

    Haas hat ja auch in »Das Wetter vor fünfzehn Jahren« bereits mit der Inszenierung von Autoridentitäten gespielt. Darin führt eine fiktive Redakteurin ein Interview mit dem fiktiven Wolf Haas, der von seinem fiktiven neuen Buch erzählt. Durch diese Zwischenvermittlung wird die eigentliche Geschichte transportiert.
    Diese Variation von Erzähltechnik hat mir ziemlich gefallen, wobei es auch erschöpft, weil man automatisch eine intellektuell befeuerte Lesehaltung einnimmt. Das Rad scheint er im neuen Buch ja weiterzudrehen, bin gespannt!

  2. Isabel Bogdan Dienstag, 11. September 2012 um 18:36 Uhr [Link]

    Ja, aber da hat er die Rolle irgendwie überzeugender durchgezogen. Jedenfalls fand ich, dort hat es super funktioniert, aber diesmal dreht er die Schraube immer noch eine Umdrehung weiter, und … naja, man verzeiht ihm das ziemlich lange (also: ich), aber dann geht ihm am Ende einfach der Saft aus. Das hat gar nicht mal nur mit der Autoren-Erzählerfigur zu tun, sondern insgesamt mit dem kraftlosen Ende.
    Bin gespannt, was du hinterher sagst!

  3. Elvira Samstag, 15. September 2012 um 12:12 Uhr [Link]

    Ich bin sehr gespannt. Hatte das Buch, da er ein überzeugter Wolf-Haas-Fan ist, dem Gatten als Reiselektüre für die Flitterwochen geschenkt (nicht des Titels wegen natürlich, hihi), er hat es schnell durchgelesen, war aber wohl auch nicht so überzeugt. Ich habe es gerade selber angefangen und musste schon ein paar Mal kichern. Bin aber, wie gesagt, noch ganz am Anfang. Werde berichten. Erinnere mich dran, sollte ich zwischenzeitlich an verruckte-Kuhe-Erkränkung erkränken.

  4. Elvira Mittwoch, 19. September 2012 um 15:10 Uhr [Link]

    Also ich fand das letzte Drittel auch gut, da er erst in diesem so richtig in die von mir so geliebte Brennersche Syntax verfällt. Ansonsten hast du natürlich Recht – viele Dinge verzeiht man ihm nur, weil er Wolf Haas ist. Wahrscheinlich verstehen viele Dinge auch nur abgebrühte (gescheiterte?) Linguisten.

  5. Isabel Bogdan Mittwoch, 19. September 2012 um 16:35 Uhr [Link]

    Ja, das brennert ein bisschen, aber nur ein bisschen, und es *ist* ja nicht Brenner, deswegen fand ich das auch irgendwie nicht gut. Weil, Brenner ist Brenner. Und Benjamin Lee Baumgartner ist nicht Brenner. Hmpf.

  6. lady grey Sonntag, 14. Oktober 2012 um 11:48 Uhr [Link]

    Titel, Cover, erstes, zweites, drittes Drittel – alles super. Bin wohl noch größerer Fan von Wolf Haas.
    Nee, im Ernst – je später die Seiten, desto mehr kicherte ich vor mich hin … Ich fand das voll ok, dass es aufs Ende zu immer abstruser und furioser wurde (Luft ging da gar nicht raus, fand ich). Geniale Idee, ihn im Norden dann in einem Duweißtschon-Betrieb arbeiten zu lassen! Haha! Aber vielleicht bin ich auch nur einfacher gestrickt und man kriegt mich mit jedem kleinen Scherz …
    Jedenfalls hab ich mich gefreut, dass mir das Buch dann doch besser gefallen hat als ich dachte, dass es mir gefallen würde, nachdem ich deine Rezension las.

  7. Isabel Bogdan Sonntag, 14. Oktober 2012 um 15:51 Uhr [Link]

    Gegen Baumgartners letzten Job habe ich auch gar nichts, im Gegenteil. Das fand ich auch super. Aber das Ende der Autoren- oder Erzählerperson, und der Mutter, das war mir alles zu dick aufgetragen.
    Aber ist doch super, wenn’s andere super finden. Denis Scheck hat sich ja auch kaum eingekriegt vor Begeisterung.

  8. Reinhard Rustemeyer Dienstag, 6. November 2012 um 18:50 Uhr [Link]

    Wolf Haas – kannte ich bislang nicht, werde ich aber auch ganz rasch wieder vergessen. Selten lese ich ein Buch nicht ganz zu Ende, dieses ging mir seiner penetrant gewollten Komik und Pseudooriginalität dermaßen auf den Sack, dass ich demnächst ein Stück Tapete (in die ich es entnervt gepfeffert habe) ausbessern muss, sonst erinnert es mich am Ende doch noch an diesen spätpubertierenden Autor. Wolf Haas? – Nee, nie gehört!

  9. Verteidigung der Missionarsstellung – Wolf Haas (2012) | schöner lesen Montag, 23. Juni 2014 um 13:17 Uhr [Link]

    […] isabelbogdan.de […]

  10. Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im Juni | Herzdamengeschichten Samstag, 28. Juni 2014 um 09:19 Uhr [Link]

    […] Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. Dazu hat Isa bereits eine Zwei-Drittel-Positiv-Rezension geschrieben. Im ersten Drittel ist alles richtig, was sie schreibt. Zwischendurch gelacht, ich habe das Buch […]

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