In Hamburg sagt man Tschüss

Natürlich, ich weiß seit Monaten, dass er stirbt, und schon seit erstaunlich vielen Wochen, dass es bald sein wird, sehr bald, und jetzt ist er gestorben, vor ein paar Tagen, und wir haben es gewusst und erwartet und natürlich war es trotzdem schlimm, aber dann ging es auch wieder, er war mein Onkel und wohnte weit weg und wird mir nicht im Alltag fehlen, aber er war viel zu jung, Mitte sechzig, Krebs halt, die Sau, wie meistens, wenn Leute viel zu früh sterben. Und natürlich hilft es kein Stück zu wissen, dass „das Leben nun mal so ist“, und dann kam heute die Todesanzeige mit einem Bild von ihm drauf, auf dem er pumperlgesund aussieht und lacht, wie er immer gelacht hat, so ein Strahlen, mit dem Schalk in den Augenwinkeln, und dieses Bild hat mir dermaßen die Schuhe ausgezogen, erstaunlich, was so ein Bild anrichten kann. Vor ein paar Wochen haben wir ihn besucht, er konnte die letzten Wochen zu Hause verbringen, er war abgemagert und ganz offensichtlich ziemlich schwach und voller Medikamente, aber er hatte immer noch dieses Blitzen in den Augen, wir haben ein Spiel gespielt, das hat er immer gerne getan, er war ein Spielkind, immer, und haben zusammen gelacht, er sah plötzlich aus wie mein Opa, dem er sonst nicht so sehr ähnlich sah, und er hat sich gefreut, uns zu sehen, und wir waren froh, dass wir noch mal hingefahren sind, wir hatten einen angesichts der Umstände wirklich netten Tag, und jetzt ist er tot und wird übermorgen beerdigt und er hat noch mit beschlossen, was es auf der Beerdigung zu essen geben soll und welche Musik gespielt wird, nämlich „What a wonderful world“. Das geht doch alles überhaupt nicht.

    Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
    die sich über die Dinge ziehn.
    Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
    aber versuchen will ich ihn.
    (Rainer Maria Rilke)

Das steht auf der Anzeige, ich nehme an, er hat es selbst ausgesucht, und das geht natürlich auch überhaupt nicht, wie das alles überhaupt nicht geht, wie soll das denn gehen. Ich muss immer an seine Frau denken, wie soll es denn für sie gehen, es war eine dieser großen Lieben, sie waren so toll zusammen, immer freundlich miteinander und scherzend und liebevoll, so überzeugend, sie haben zusammengehört und waren eine Einheit, wie soll sie denn jetzt allein sein, wie soll sie das aushalten, wie soll sie arbeiten und essen und schlafen, das ist doch alles eine große Scheiße.

Tschüss, H, gute Reise. Wir hätten dich gern noch länger hiergehabt.

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