Sonderausgabe Bücherstöckchen: Von der Schule, Büchern und dem Erwachsenwerden
In der siebten oder achten Klasse mussten wir Bücher vorstellen. Man sollte sich selbst ein Buch aussuchen, kurz etwas über Inhalt und Autor sagen und warum man das Buch mag, und dann ein Stück vorlesen. Jeweils zwei oder drei Schüler zu Beginn einer Stunde, dann normaler Unterricht. Es zog sich über einige Wochen hin, bis die ganze Klasse durch war.
Mein Nachname war weit vorne im Alphabet, ich war eine der ersten, mit mir zusammen waren Nicola und Anouschka dran. Anouschka stellte „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth vor. Ein Thriller. Ich kannte nicht mal das Wort „Thriller“. Ein richtiges Erwachsenenbuch, es klang irgendwie spannend und nach einer vollkommen fremden Welt.
Nicola hatte „Verwirrung der Gefühle“ von Stefan Zweig dabei. Eine Dreiecksgeschichte! Und dann kommt auch noch raus, dass einer schwul ist! Unfassbar. Klang ebenfalls sehr erwachsen, sehr beeindruckend und sehr fremd.
Während die beiden vortrugen, wurde ich auf meinem Stuhl immer kleiner. Das Buch, das ich mitgebracht hatte, hieß „Britta und ihr Pony“*. Es war aber nicht nur irgendein blödes Pferdebuch! Sondern es ging unter anderem um ein blindes Mädchen, das trotzdem reiten konnte, obwohl es nichts sah. Das fand ich total toll und interessant, sie hat zum Beispiel eine Uhr zum Tasten, und wenn sie auf dem Platz reitet, hängt sie so knackende Dinger in zwei Ecken, damit sie immer hören kann, wo sie ist. Und dann passiert irgendwas Gefährliches, habe ich jetzt vergessen, und am Ende rettet das Pony das blinde Mädchen irgendwie, glaube ich. Das war damals mein Lieblingsbuch, und ich fand, man könnte sich auch ruhig mal damit beschäftigen, wie es ist, blind zu sein. Und dann auch noch Pferde, ist doch super.
Bis zu dem Morgen war ich überzeugt gewesen, dass dieses Buch eine gute Wahl war. Ich hatte mir die rührendsten Stellen über das blinde Mädchen rausgesucht, sie gekürzt, um möglichst viel unterzubringen, ohne zu lang zu werden, und das Vorlesen geübt. Ich habe mich darauf gefreut, meiner Klasse dieses tolle Buch vorzustellen. Während Anouschka und Nicola ihre Bücher vorstellten, merkte ich sehr genau, dass ich jetzt würde tapfer sein müssen. Augen zu und durch.
*Laut Amazon stimmt das anscheinend gar nicht, es dürfte ein anderer Band aus der Britta-Reihe von Lisbeth Pahnke gewesen sein. Vielleicht „Britta reitet in den Sommer“, da kommt mir das Cover so bekannt vor. Ist aber auch nicht so wichtig.
Alexander Freitag, 29. Oktober 2010 um 13:13 Uhr [Link]
Ach, mit der „Akte Odessa“ kann man aber auch nicht immer punkten: Als ich mir das Buch mal aus der Stadtbücherei (für Hamburger: Bücherhalle) ausgeliehen habe, sah die Frau an der Ausleihe zuerst das Buch an, dann mich, bevor sie den Satz sagte, der mir immer noch im Gedächtnis brennt: „Na immerhin ist es auf Englisch.“.
Isabel Bogdan Freitag, 29. Oktober 2010 um 14:34 Uhr [Link]
Respekt. So zickig muss man erst mal sein.
(Unser damaliger Deutschlehrer ertrug unsere Bücherauswahl einigermaßen stoisch, wenn ich mich recht erinnere. Es ging eher darum, das Präsentieren zu üben, vor der Klasse sprechen, Referate halten und so.)
Lydia Freitag, 29. Oktober 2010 um 17:23 Uhr [Link]
Ja – und dann??? Wie kam dann die Britta an in der Klasse? Das will ich jetzt schon noch wissen. Wenn auch Kurt Schwitters meint, der Leser habe kein Recht, zu erfahren, wie’s weitergeht.
Isabel Bogdan Freitag, 29. Oktober 2010 um 17:45 Uhr [Link]
Ehrlich gesagt: keine Ahnung mehr. Ich erinnere mich nur noch an das Gefühl, entwicklungsmäßig hoffnungslos hinterher zu sein. Vermutlich habe ich auch niemanden gefragt, wie sie’s fanden.
serotonic Mittwoch, 3. November 2010 um 13:24 Uhr [Link]
Die Britta-Reihe! Die habe ich völlig vergessen, weil mir dieser blöde überflutete Keller all meine Kinder- und Jugendbücher geklaut hat („Damals war es Friedrich“ war übrigens auch darunter), jedenfalls, äh, habe ich Britta sehr gemocht und erinnere mich auch zu gut an die Teilgeschichte mit dem blinden Mädchen, die hat mich damals auch sehr beschäftigt. Da habe ich tatsächlich das erste mal darüber nachgedacht, wie sich die Sinne untereinander ergänzen, und mir versucht vorzustellen, wie sehr es mich wohl verändern würde, würde mir plötzlich einer fehlen – weshalb ich vergleichsweise versuchte, eine Runde mit geschlossenen Augen auf meinem Fahrrad zu drehen. Ich scheiterte natürlich kläglich an meinem Gleichgewichtssinn, und so konnte meine Bewunderung für das blind reitende Mädchen nicht größer sein.
Nicole Borheier Mittwoch, 4. September 2013 um 13:25 Uhr [Link]
Ichhabe viele Büchrt aus der Britta-eihe gelesen – Hauptsache,Pferde! :) (Reiten habe ich aber erst als Erwachsene gelernt.)
Wibke Donnerstag, 8. Dezember 2016 um 18:04 Uhr [Link]
Ok, ich möchte lösen: Die Story mit dem blinden Mädchen und den Knackdingern war in einer anderen Schneider-Reihe, der von Tulla Hagström um Petra. Sie hatte ein schwarzes Pony namens Svala und gab es an Astrid weiter, einem blinden Mädchen, das zu Svala Vertrauen gefasst hatte. Petra läuft in einem späteren Band ein grauer Hengst zu. Sechs Bände gab es, glaube ich. Sie waren nur lange nicht so bekannt wie Britta.
In der Britta-Reihe gab es kein blindes Mädchen. Aber neben Bille & Zottel ist das immer noch die allerbeste Pferdebücher-Reihe und ich habe sie alle noch.