Kann alleine

Die Leute von der Deutschabteilung der Uni Nanjing und vom Goetheinstitut sind wirklich reizend. Sie wären glatt mit mir zum Bahnhof gefahren, hätten mir eine Fahrkarte gekauft und mich in den richtigen Zug gesetzt. Ich fand aber, das müsste doch auch allein zu schaffen sein, und so bin ich also vorgestern mit der U-Bahn zum Nanjinger Bahnhof gefahren und habe gestaunt. Bahnfahren ist nämlich hier fast so ähnlich wie Fliegen. Man steht erstmal eine Weile in einer Schlange, und um ein Ticket zu bekommen, muss man seinen Pass vorzeigen und kopieren lassen. Die Chinesen können auch am Automaten ein Ticket kaufen und ihren Ausweis da auf die Scheibe legen, dann wird er direkt in den Automaten gescannt. Als Ausländer muss man an den Schalter.
Alsdann begibt man sich durch die Sicherheitsschleuse. Das Gepäck fährt durch so eine Maschine, wie am Flughafen, man selbst geht durch ein Tor, das piepst ziemlich zuverlässig bei jedem, dann hält einem noch jemand so ein Piepsgerät kurz vor den Bauch, wo es wieder piepst, und dann sind alle durch und gehen in die Wartehalle, wo alle paar Sekunden auf Chinesisch irgendwas durchgesagt wird. Ich warte nicht darauf, etwas zu verstehen, sondern gehe einfach schon mal mit meinem Ticket zu den Kontrolltoren, gucke fragend und werde durchgewunken. Mein Zug steht nämlich schon da. Dass ich auch eine Sitzplatzreservierung habe, kapiere ich erst, nachdem mich drei Beamte an drei Zugtüren jeweils weiterwinken.
In Suzhou werde ich abgeholt, das ist dann doch ziemlich hilfreich, zumal ich nicht mal weiß, wie mein Hotel heißt. Auch sonst ist es in der Tat nicht ganz einfach, sich allein zurechtzufinden, denn es spricht wirklich niemand Englisch, auch wenn der Student, der mich abholte, behauptete, in Suzhou würde nun wirklich jeder Englisch sprechen. Keine Ahnung, wie er zu der Behauptung kommt – meinen Einwand, das sei vielleicht nur an der Uni so, lässt er jedenfalls nicht gelten. Tatsache ist aber, dass von allen, mit denen ich außerhalb der Uni spreche, kein einziger auch nur ein Wort versteht. Der Mann an der Hotelrezeption versteht „toilet paper“ nicht, die Frau im Nudelrestaurant versteht „noodles“ nicht, der Taxifahrer versteht weder „railway station“ noch „trains“.

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Heute dann nochmal das gleiche Spiel mit der Bahnfahrt. Die Leute von der Deutschabteilung hätten das alles für mich gemacht, aber ich fand: kann alleine. Kann ich auch. Schlange stehen, Fahrkarte kaufen (Passkopie), am Bahnhof herumirren, Wartesaal, Zug, und jetzt bin ich in Shanghai.
Der erste Mensch, mit dem ich hier spreche, kann Englisch, jedenfalls ein paar Zahlen. Er ist Taxifahrer, ich steige am Bahnhof in sein Taxi, sage ihm, zu welchem Hotel ich will, und erfreulicherweise sagt er mir im Voraus, was das kostet, nämlich 150,- ¥. Nun bin ich bereits seit zwei Wochen in China und schon einige Male Taxi gefahren. Der Taxameter steht, wenn man einsteigt, auf 10,-, 12,- oder 14,- ¥, je nachdem. Dafür kann man eine gewisse Strecke fahren, und erst dann zählt es weiter hoch. Ich habe für eine längere Fahrt vielleicht schon mal 20,- bezahlt, aber meistens 12,- oder 14,- ¥. Für die 150,- ¥ lache ich ihn also angemessen aus. Okay, das Hotel, das ich ihm genannt habe, ist ein schickes, das wollte ich mir jetzt für zwei Tage mal gönnen. Verständlich, dass er mich für reich hält. Aber das zehnfache des normalen Preises? Nö. Was ich denn zahlen wolle, fragt er. Zwanzig, sage ich. Da lacht er bitter und sagt: hundert. Ich sage ihm dreimal, er soll den Taxameter anmachen, er sagt: da steht dann auch hundert. Ich weiß aber, dass das nicht stimmt. Er kommt von den hundert nicht runter, ich steige wütend aus dem Taxi aus. Weniger wegen des Geldes als aus Prinzip. Hundert Yuan sind 12,- €, die hätten mich jetzt nicht wirklich arm gemacht. Aber SO viel über dem üblichen Preis finde ich nicht okay. Mich verarschen ist nämlich auch so was, was ich alleine kann.
Dummerweise sind die anderen fünf Taxen, die dort noch stehen, damit für mich ebenfalls gestorben, denn die haben ja alle mitbekommen, dass ich wieder ausgestiegen bin. Sie winken alle ab. In ein Taxi, das gerade erst ankommt, steige ich ein, zeige dem Fahrer den Namen meines Hotels, und er schüttelt einfach den Kopf. Ich steige zum zweiten Mal aus einem Taxi wieder aus.
Ich stapfe über die große Straße, gehe ein paar Meter am Straßenrand entlang und stehe eine Weile unschlüssig herum. Und steige schließlich in ein Taxi, von dem ich nicht sicher bin, ob der Fahrer das Hotel wirklich kennt, aber er macht den Taxameter an. 14,- ¥ steht drauf. Die Fahrt ist etwas länger, am Ende bezahle ich 20,- ¥ und bin in meinem Hotel.

Das Hotel ist schick und hat Internet, aber nicht alle Seiten. Sieht also nach zwei Tagen Social-Media-Abstinenz aus. Hmpf.

Es ist gleich zwei Uhr. Was mache ich jetzt? Wieder allein da raus, hm? Na klar „kann“ ich alleine. Aber ehrlich gesagt, ich finde es anstrengend. Mich kaum verständlich machen zu können, nichts lesen zu können, nichts zu verstehen, angestarrt zu werden. Aber die Sonne scheint, und das Hotel liegt ziemlich direkt am Bund. Dann gehe ich mir den wohl mal angucken. Bestimmt finde ich auch was zu essen, das bräuchte ich jetzt dringend.

5 Kommentare

  1. serotonic Samstag, 16. November 2013 um 08:19 Uhr [Link]

    Ferndrückung!

  2. Mama arbeitet Samstag, 16. November 2013 um 10:34 Uhr [Link]

    Tapfer, das mit dem Taxi! Ich kann mir gut vorstellen, wie sich das angefühlt hat. Mir wird ganz heiss im Bauch vor Wut.

    Viele Grüsse, Christine

  3. Petra Berthold Samstag, 16. November 2013 um 12:24 Uhr [Link]

    Halt dich tapfer, liebe Isabel. Ich schick dir ein paar gute Gedanken rüber und freu mich über weitere Zeilen von dir. Petra

  4. Eva Brandecker Samstag, 16. November 2013 um 15:48 Uhr [Link]

    Oje, das kenne ich so gut, dieses alleine Rumziehen in der Weltgeschichte. Das darüber Schreiben und Fotografieren hilft ja, gottlob … Auch von mir ein virtueller Aufmunterer: deine Fans usw. sind in Gedanken bei dir :) Und das mit dem Taxi: da fühlt man sich wie Rumpelstilzchen, nicht wahr? Ich hatte das mal in Kairo und musste tatsächlich einen herumstehenden Herrn ansprechen, da man mich als alleinstehende Frau einfach ignorierte. Stay tuned!

  5. H. Birnbaum Montag, 18. November 2013 um 19:32 Uhr [Link]

    Ich habe erst am Ende meines Chinamonats gelernt: Es gibt an Bahnhöfen offizielle Taxiwarteschlangen. Da steht ein Beamter, der den eben angekommenen ein Taxi zuweist, und diese Taxis müssen den Taxameter anhaben. Ansonsten bieten alle Bahnhoftaxifahrer in China beim Anblick eines Westlers einen Fahrpreis von 100 Yuan an. Vielleicht hilft der Tipp ja noch.

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