Film: 3
Neuerdings bin ich ja so voll crazy drauf und mache total verrückte Sachen. Heute Abend zum Beispiel war ich einfach alleine im Kino. Ich! Alleine! Im Kino!
Ich gehe nie ins Kino. Ich sehe ja nicht mal fern. Irgendwie habe ich gar keine Beziehung zum Medium Film. Und alleine schon gar nicht, ich mein, echtmal, alleine ins Kino? Wer macht denn so was?
Heute war ich also alleine im Kino, im Passage-Kino in der Mönckebergstraße, da war ich noch nie. (Logisch, ich war in fast sechs Jahren Hamburg genau zweimal im Kino.) Und stehe also erstmal etwas blöd in der Eingangshalle mit den prächtigen echtgoldenen Tapeten herum und weiß nicht, wo man eine Karte kauft. Da ist nur eine Bar und ein Tresen für Chips und Getränke. An dem allerdings an einer Seite eine Schlange steht, sehe ich und reihe mich artig ein, um gefühlt Stunden später zu kapieren, dass das nur die Deppen tun und alle anderen sich ohne Anstellen an den Tresen begeben und Karten kaufen. Und Bier und Limo und Tacos und ach, geben sie mir noch ne Tüte Gummibärchen, macht auch nichts, wenn es etwas länger dauert. Als ich irgendwann schließlich dran bin, sagt die unendlich langsame Bedienung, es seien nur noch Plätze in der ersten und zweiten Reihe frei. Na, sage ich, dann nehme ich doch die zweite. Das könne sie mir aber nicht raten, das sei nicht gut, sagt die Bedienung. Jenun, sage ich, die Alternative sei wohl, gleich wieder nach Hause zu gehen, und das hätte ich nicht vor, sie möge mir also bitte freundlicherweise eine Karte für die zweite Reihe verkaufen. Sie weist noch einmal darauf hin, dass ich dann aber nicht hinterher das Geld zurückkriegen könne, sie habe mich gewarnt. So als Kinobetreiber freut man sich bestimmt über solche Angestellten.
Der Saal ist sehr klein, acht Reihen mit jeweils vielleicht sechs Plätzen. In Reihe zwei ist nur noch mein Platz frei, gleich der erste. ’N Abend, sage ich. Auf dem Platz daneben sitzt ein gutaussehender, gepflegt gekleideter, ziemlich junger Mann, der mir zuruft, Reihe zwei, Platz eins? Ja, das ist hier! Äh, danke. Das sehe ich. Hier kriegt man voll die Genickstarre!, ruft er. Wird schon gehen, sage ich. Ich überlege kurz, ob er womöglich etwas doof ist, aber so wirkt er nicht. Er riecht nach Alkohol und Rauch, und er lallt. Ob ich den Film auch sehen wolle. Wie ich darauf gekommen sei. Haha, er auch! Er habe auch was darüber gelesen! Wenn er einschlafe, solle ich ihn nach Hause schicken. Eine Dreiecksgeschichte solle das sein, da ginge es auch um Lesben, oder nee, hier, Schwule! Schwul! Ich werde schnell einsilbig, was sonst gar nicht meine Art ist. Und jetzt, ruft er freudig, als das Licht ausgeht, fange es gleich an! Mit der Werbung!
Er kommentiert die Werbung. Ich ahne einen anstrengenden Abend. Dann fängt der Film an, mein Nachbar singt die Filmmusik mit. Gar nicht mal so leise. Ground Control to Major Tom. Passt, denke ich, Du hast wohl auch ein bisschen den Bodenkontakt verloren.
Als der Film wirklich losgeht, hält er zum Glück weitestgehend die Klappe, er stöhnt nur mal oder lacht. Nach einer Viertelstunde geht er. Grußlos! Ich bin empört. Erst labert er mich voll, dann verabschiedet er sich nicht mal. Kein Benehmen, die jungen Leute.
Es war dann ein sehr schöner Film. Er heißt 3, ist von Tom Tykwer, und man kann ihm sicher alles mögliche vorwerfen. Mir hat sich zum Beispiel der Sinn der über-kitschigen Momente nicht erschlossen, diese Engelserscheinung etwa – hallo? Was sollte das denn? Außerdem glänzen die ganze Geschichte und die Figuren nicht gerade durch Plausibilität oder psychologische Tiefe, aber hey, das brauchen sie ja auch gar nicht. Dafür sind sie hölle klug und intellektuell, die Figuren, und das macht die Dialoge teilweise hochkomisch. Und es gibt wunderschöne Bilder und drei tolle Hauptdarsteller mit drei umwerfenden Lächeln (Sophie Rois, Sebastian Schipper, Devid Striesow). Und reichlich Sex, denn darum geht es schließlich auch. Und dieses Schwimmbad sieht total toll aus, da will ich auch hin. (Haha, schon gut. Zum Schwimmen!)
Mir hat das alles sehr gefallen, vielleicht schaffe ich es ja doch öfter mal ins Kino.
PS: Zahnwart hat den Film auch gesehen.
Markus Montag, 3. Januar 2011 um 01:10 Uhr [Link]
Den Film will ich mir auch noch anschauen, alleine wegen der wunderbaren Sophie Rois. Schade, dass ich heute nicht in Hamburg war.
Oliver Montag, 3. Januar 2011 um 09:29 Uhr [Link]
War das die neue Folge von „Sachen machen“? Nächste dann bitte „Allein zuhause sitzen“!
Isabel Bogdan Montag, 3. Januar 2011 um 10:02 Uhr [Link]
Habe ich da gerade einen schnippischen Unterton gesehen? Nee, oder? (Neinnein, es ist der Auftakt zu einer Reihe umfangreicher, fundierter, kompetenter und kritischer Filmbesprechungen.)
sven Montag, 3. Januar 2011 um 10:46 Uhr [Link]
Ich gehe ständig alleine ins Kino. Was ist denn daran komisch? Verstehe ich nicht.
Isabel Bogdan Montag, 3. Januar 2011 um 10:52 Uhr [Link]
Ich kann natürlich demnächst auch so Zwinkersmilies in den Text machen. (Nicht.)
Leseempfehlungen | DENKDING Montag, 3. Januar 2011 um 11:22 Uhr [Link]
[...] 1. Isabel war im Kino. Der erste Absatz hätte genau so von mir stammen können, falls ich in den letzten acht Jahren ein Kino betreten hätte. Herrlich. Den Rest bitte hier lesen. [...]
Zahnwart Montag, 3. Januar 2011 um 13:43 Uhr [Link]
Auch beim zweiten Schauen hat mich „3″ nicht überzeugt. Der Kitsch, die Engelserscheinungen, der Eso-Dreier am Ende! Wobei ich Tykwer noch zugestehen möchte, da ein paar bewusste Störer eingebaut zu haben, ein paar Sachen, bei denen der Zuschauer denkt „Ne, oder? Einen Engel traut er sich jetzt aber nicht wirklich?“ Das darf der Regisseur natürlich, finde ich sympathisch. Dass mich die Schauspieler durch die Bank gepackt haben – geschenkt. Und dass ich mit der Darstellung von Hannas und Simons Position im Leben sehr glücklich war, habe ich ja selbst geschrieben.
Was für mich aber gar nicht funktionierte, war die Figur Adam. Ein Naturwissenschaftler, der im Chor singt, Fußball spielt, Fan (ausgerechnet!) des Nazi-Proll-Vereins „Eisern Union“ ist, sich für Kunst interessiert, segelt, Motorrad fährt, in einer voll coolen Platte wohnt, als einziger mit seinem pubertierenden Sohn klar kommt („Wenn du es nicht schaffst, mit ihm zu reden, wer dann?“), ein gutes Verhältnis zur Ex-Partnerin (und derem neuen Freund) pflegt … habe ich etwas vergessen? Ach so, er sieht auch noch zum Niederknien aus und hat allem Anschein nach eine Potenz, die, naja, durchaus beeindruckend ist. (Nur von Safer Sex scheint er wenig zu halten, aber das ist ein anderes Thema.) Tut mir leid, das ist zuviel.
(Und was das Kreuzberger Badeschiff der Produktion fürs Product Placement gezahlt hat, möchte ich auch nicht wissen. So ziemlich jeder meiner Freunde kam aus dem Kino und dann so: „Boah, was für ein cooles Schwimmbad, ich will auch!“)
Aber immerhin beschäftigt mich der Film jetzt schon seit zwei Monaten. Das ist doch auch was.
Jens Montag, 3. Januar 2011 um 14:50 Uhr [Link]
Hm. Sollte ich mir den vieleicht doch anschauen? Ich hab ja nicht das Problem mit Kitsch und Pathos in Filmen, das die ganzen kritischen Menschen dieser Welt haben.
Ich hatte schlagartig das Interesse verloren, als es mir zum Ersten mal als „Referenz für Polyamory“ angepriesen wurde. Von Leuten, bei denen ich denke „Wenn die das gut finden wird’s mir wahrscheinlich viel zu evangelistisch und selbstgerecht.
Naja, irgendein Sender hat ja wahrscheinlich geld reingesteckt und dann kommt er zu ostern auf 3sat oder arte.
Isabel Bogdan Montag, 3. Januar 2011 um 15:34 Uhr [Link]
Ja, Zahnwart, Du hast natürlich mit allem recht. Ich habe den Engel aber eher als eine Art Hinweis drauf verstanden, dass er das alles nicht so furchtbar ernst meint. Diese Gespräche über Kunst und Zellbiologie und Ethik waren doch auch völlig überzeichnet, und eben Adam, der schwimmende, singende, motorradfahrende, segelnde, fußballspielende, gutaussehende, superpotente usw. Charmeur, das kann ja nicht alles „ernst“ im Sinne von plausibel gemeint gewesen sein.
Kann aber auch sein, dass ich von Kino eh nicht unbedingt mehr erwarte als schöne Bilder und gute Unterhaltung. Und das war es für mich auf jeden Fall.
Jens, kannste schon gut gucken. Eine echte Auseinandersetzung mit polyamourösen Beziehungen ist das nicht, auch kein Plädoyer für oder gegen irgendwas. Denn da, wo diese Beziehung erst anfangen würde, ist der Film zu Ende.
Oliver Montag, 3. Januar 2011 um 17:19 Uhr [Link]
Nix schnippischer Unterton. War doch ein sehr vergnüglicher Bericht! Und das Schwierigste sind vergnügliche Berichte über nichts. Deshalb mein Vorschlag (s.o.) für die ultimative Herausforderung.
Gaga Nielsen Montag, 3. Januar 2011 um 18:14 Uhr [Link]
Und als nächstes der doppelte Rittberger: abends alleine in einem bodenständigen Traditions-Restaurant mit hochgradiger Pärchen-Frequentierung essen gehen. Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. So als Tipp, ein sehr gutes Hafenrestaurant in Jasmund auf Rügen. Drei verschiedene Kellner erkundigen sich besorgt, ob wirklich keine Begleitung mehr zu erwarten sei und man tatsächlich schon bestellen wolle. Total super.
Isabel Bogdan Montag, 3. Januar 2011 um 18:23 Uhr [Link]
Oje. Aua.
Christiane Montag, 3. Januar 2011 um 23:52 Uhr [Link]
Aber, aber! Man latscht doch in Hamburg nicht einfach so in das nächste (und nicht unbedingt) beste Kino, wenn man einen bestimmten Film sehen will. Vor allem nicht, wenn solche Besuche Seltenheitswert haben. Nein, entscheidend sind Ambiente, Flair und Retrocharme. Schließlich nimmt man ja auch nicht mit einer x-beliebigen Imbissbude vorlieb, wenn man mal schlemmen möchte. Sonst hat ja der prächtige und womöglich sogar weltberühmte Vorhang (da vermutlich einzig in seiner Art) im Holi* mit seinen glitzernden Hamburg-Motiven auf goldglänzendem Grund überhaupt keine Chance, von Dir jemals bewundert zu werden? Und rate doch mal, was da gerade läuft. Ja, genau.
Was erkennst Du nun auf dem edlen hauchzarten Gewebe? Das Chilehaus? Den Dampfer? Was noch? Sicher schwirren noch bessere Aufnahmen im Netz herum. Gerade als Quiddje sollte man sich keine Gelegenheit entgehen lassen, die Stadt von ihren schönsten Seiten – innen wie außen – kennenzulernen. Vom Abaton und seinen illustren Premieregästen fange ich gar nicht erst an.
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* Nichts Heiliges, bedeutet nur Hoheluft-Kino und befindet sich neben der U-Bahn Hoheluftbrücke)
Christiane Montag, 3. Januar 2011 um 23:55 Uhr [Link]
Typisch! Den Link hab ich natürlich vergessen. Voilà: http://cdn1.venyoobot.de/images/gj/ll/gjll36_504_370.jpg
Isabel Bogdan Montag, 3. Januar 2011 um 23:56 Uhr [Link]
Aber ich muss natürlich alle Kinos erst einmal ausprobiert haben, um mein liebstes zu finden. Nur drei U-Bahnstationen entfernt ist schon nett. Und die güldene Tapete!
Fürderhin werde ich natürlich andauernd ins Kino gehen und mir eine Meinung bilden.
Zahnwart Dienstag, 4. Januar 2011 um 10:16 Uhr [Link]
Ich stimme Christiane zu: Der Vorhang im Holi ist wirklich schön. Allerdings gehört das Holi zur cinemaxx-Gruppe, die bis vor einem Jahr auch die Passage betrieb – um sie dann schnöde eingehen zu lassen, und nur durch den selbstlosen Einsatz eines (leider anscheinend christlich-fundamentalistisch motivierten) schwäbischen Kinobetreibers existiert die Passage heute wieder. Daher umgehe ich cinemaxxe (und entsprechend auch das Holi) nach Möglichkeit, zumal die Passage auch für mich die nächstgelegene Leinwand ist.
Inhaltlich geht wenig übers Abaton, welches außerdem eines der zwei Kinos in Hamburg ist, die Filme im Original zeigen (das andere ist das Streits, ein schönes, altes Großkino, das leider hauptsächlich Hollywood-Kram spielt). Nett abgerockt sind 3001 und B-Movie, und die Zeise ist zwar ein wenig clean, hat aber charmante Mitarbeiter (und außerdem arbeite ich in direkter Nachbarschaft, was das abendliche Fallen vom Büro in den Kinosaal erleichtert). Schließlich hoffe ich inständig, dass das Studio-Kino endlich wieder öffnet.
Und das war es, leider. Hamburg ist Kino-Ödland, fürwahr.
kid37 Dienstag, 4. Januar 2011 um 13:15 Uhr [Link]
Das „Metropolis“ (derzeit am Steindamm) darf man ruhig erwähnen. Und gegen das „Passage“-Kino ist doch nicht viel einzuwenden, zentral gelegen immerhin – und über das Programm redet man in HH ja sowieso nicht mehr. Da herrscht allgemein viel Dunkelheit.
Isabel Bogdan Dienstag, 4. Januar 2011 um 13:25 Uhr [Link]
Ich habe noch einen Gutschein für zwei Cocktails zum Preis von einem im Cinemaxx am Dammtor. Dachte, das interessiert Euch bestimmt.
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Moment! Ich habe überhaupt auch noch Kinogutscheine! Auch fürs Cinemaxx! Ich sehe da Möglichkeiten!
Zahnwart Dienstag, 4. Januar 2011 um 13:49 Uhr [Link]
Stimmt! Metropolis, unverzeihlich, dass ich das vergessen habe! (Noch unverzeihlicher, dass ich seit dem Umzug an den Steindamm nicht mehr dort war.) Und wenn man einen Programmkino-Hit verpasst hat, bleibt auch immer noch die Nachspielstation Alabama in Winterhude eine charmante Alternative.
Elvira Veselinovic Donnerstag, 6. Januar 2011 um 11:59 Uhr [Link]
Habe den Film gestern auch endlich gesehen, fand die Darsteller ganz zauberhaft, obwohl Devid Striesow für mich ewig der Typ aus „So glücklich war ich noch nie“ bleiben wird. Der Film war OK, da habe ich den Vorkommentierenden nicht viel hinzuzufügen.
Eine Bemerkung zum Badeschiff: das ist gerade geschlossen und ein Freund, der da regelmäßig hingeht, erzählte mir, der Betreiber sei pleite und es sei nicht abzusehen, wann es wieder aufmacht. Soviel zum product placement. Aber ich war letzten Winter dort und kann bestätigen, dass es wunderschön ist. Isa, wenn es wieder aufmachen sollte – be my guest!
Der Bowie-Song ist wohl auch eine von vielen Referenzen des Herrn Tykwer – hat Bowie nicht seine erste Frau, die Mutter von Zowie, kennengelernt, weil sie beide mit dem gleichen Mann geschnakselt haben? Oder so ähnlich…
Ansonsten gehe ich selbst sehr gerne seit ca. 25 Jahren alleine ins Kino und finde da auch nichts schlimmes bei. Ich konnte schon als Teenie nicht verstehen, warum Leute ins Kino gehen um zu knutschen, essen, rascheln o.ä.
Isabel Bogdan Donnerstag, 6. Januar 2011 um 12:20 Uhr [Link]
Muss man denn immer seine Witze erklären. Natürlich ist es nicht „schlimm“, nicht mal sonderbar oder ungewöhnlich, sondern vielmehr ziemlich normal, alleine ins Kino zu gehen. Nur ich habe es noch nie gemacht, wie ich ja überhaupt ungefähr nie ins Kino gehe. Wenn ich tatsächlich etwas Ungewöhnliches oder Sonderbares tue, leite ich den Artikel doch nicht mit dem Hinweis ein, dass jetzt was total Ungewöhnliches und Sonderbares kommt. Ich könnte zum Beispiel auch darüber schreiben, wie ich mal VOLLKRASS meine persönliche Abneigung überwunden, all meinen Ekel niedergekämpft und heldenhaft eine ganze Flasche Bier allein ausgetrunken habe, ohne damit das Biertrinken an sich für sonderbar zu erklären.
Jens Freitag, 7. Januar 2011 um 17:32 Uhr [Link]
WAS HAST DU DENN JETZT SCHON WIEDER GEGEN BIERTRINKEN?
Isabel Bogdan Freitag, 7. Januar 2011 um 21:05 Uhr [Link]
Jetzt geht er auch noch auf die Vögel los!