Tag 7 – Ein Buch, das dich an jemanden erinnert

Im Japanologiestudium mussten wir auch ein Seminar in japanischer Geschichte machen. Unser Prof (es gab nur den einen) erzählte vom Ausbruch der Mandschurei-Krise zwischen Japan und China, davon, wie die Japaner eine nicht ganz so wichtige Teilstrecke der Südmandschurischen Eisenbahn gesprengt und das dann fürchterlich aufgebauscht und behauptet haben, das wären chinesische Terroristen gewesen, vor denen man die Chinesen nun beschützen müsste, und dann einmarschierten. Als das herauskam, sind sie aus dem Völkerbund geflogen.
„Wissen Sie, wo man das ganz toll nachlesen kann“, fragte er, und wir gähnten, nein, wussten wir nicht, interessierte uns auch nicht wirklich. „Bei Tim und Struppi: Der blaue Lotos. Kaufen Sie sich das ruhig mal!“ Huch! Das kann doch wohl nicht! Wahr sein! Unser Herr Professor Schamoni, ein Professor, wie er im Buche steht, der ungefähr alles weiß und unglaublich klug und gebildet und belesen und alles ist, empfiehlt uns einen Comic! Er sei, fügte er hinzu, kürzlich mit seinem Sohn extra nach Paris gefahren, um sich die Tim-und-Struppi-Ausstellung anzusehen. Da war ich platt.
Das war im ersten oder zweiten Semester. Zu Hause hatte ich gelernt, Comics seien pfui und dumm und überhaupt rundum verabscheuenswert. Jetzt aber zog ich mit professoraler Absolution los und kaufte mir den „Blauen Lotos“. Und dann nach und nach alle anderen Tim-und-Struppi-Bände. Ich habe sie alle mehrfach gelesen und denke heute noch beim Lesen an Professor Schamoni.
Und dann denke ich an Freundin A., der ich einmal den gesamten Stapel ausgeliehen habe. Habe ich da vorhin behauptet, ich hätte „alle Bände“ gekauft? Stimmt nicht ganz, es sind nur fast alle, drei fehlten. Als A. mir den Packen zurückgab, stellte ich ihn unbesehen ins Regal. Und entdeckte erst zwei Jahre später, dass da ein mir gänzlich unbekannter Band dabei war. Vorne drin klebte ein kleines Post-it, sonst hätte ich wohl an meinem Verstand gezweifelt. Sie hatte ihn einfach so dazugeschmuggelt, als Dankeschön fürs Ausleihen. Jetzt fehlen mir nur noch zwei Bände. Seither denke ich bei Tim und Struppi an meinen Prof und an A.

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2 Kommentare

  1. Ninette Sonntag, 17. Oktober 2010 um 12:48 Uhr [Link]

    Dass die Tintin-Comics ziemlich lehrreich sind, hat Arte ja auch schon in ein paar Dokus auseinandergenommen.. ich bin immer wieder überrascht, was so ein „schnöder Comic“ bieten kann. :-)

  2. Isabel Bogdan Sonntag, 17. Oktober 2010 um 12:51 Uhr [Link]

    Oh, habe ich nie gesehen. Aus heutiger Sicht sind sie allerdings auch einigermaßen rassistisch.

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