Glen Hansard

Monate vorher. Ich frage den lustigen Mann, ob er mit mir zu Glen Hansard geht. Nein, sagt er, das ist ein Mittwoch kurz vor seinem eigenen Konzert, da muss er zur Probe. Ich frage halbherzig ein, zwei andere Leute und kaufe mir dann erstmal selbst ein Ticket. Wird sich schon wer finden, denke ich. Und dann denke ich nicht mehr dran, und es ist ruckzuck ausverkauft. Ich gehe also allein aufs Konzert.
Einlass 19:00 Uhr, Beginn 20:00 Uhr. Ich komme um 20:10 Uhr beim Docks an. Vor der Tür hängt eine Menschentraube, vielleicht 100 Leute. Komisch, denke ich, und frage jemanden. Ist noch nicht offen? Ja, sieht so aus. Es tut sich auch nichts. Die Türen sind durchaus offen, aber man darf nicht rein.

20:15 Uhr: Es geht das Gerücht, es seien zu viele Karten verkauft worden. Tatsächlich kann man von der richtigen Stelle aus durchgucken bis zur Bühne, da wird Musik gemacht. Verblüffenderweise hört man nichts, aber doch, da drin hat es offenbar schon angefangen. Der Saal scheint voll zu sein.

20:21 Uhr: Neuste Info vom Security-Mann: Tatsächlich wurden zu viele Tickets verkauft, sie würden auf Antwort warten, ob sie die restlichen Leute (uns) noch reinlassen sollen oder nicht. Ansonsten müssten wir uns bei eventim die Tickets erstatten lassen. Babysitter und Anfahrtskosten etc. ebenfalls. Die Stimmung ist leicht gereizt. Gehe ich jetzt nach Hause? Ich hab mich so aufraffen müssen, mir wär nach Badewanne gewesen, und jetzt das. Mimimi.

20:25 Uhr: Türen auf. Ich stehe ganz hinten, will als eine der letzten rein, da heißt es, mit Print-at-home-Ticket bitte am Schalter abstempeln lassen. Am Schalter steht noch eine Schlange, ich stelle mich an.
Ein paar Leute diskutieren mit den Securitys darüber, ob der Laden jetzt überfüllt ist, denn gerade war ja noch geschlossen wegen voll, und jetzt seien nochmal 200 Leute reingelassen worden. Man könne auch gleich die Feuerwehr rufen! Das sei ja unverantwortlich! Nein, sagt ein Zuständiger, sie würden schon immer nur gleichviele Leute reinlassen, aber das hätte sich heute komisch verteilt, die Leute drinnen hätten lockerer gestanden, mit mehr Abstand zueinander …bla.

20:28 Uhr: Mein Ticket ist abgestempelt, ich bin drin. Im Vorraum. Es ist gequetscht voll, ich stehe weit weg von der Bühne, aber um eine Stufe erhöht, ich kann also ganz gut sehen. Ich höre das letzte Drittel des letzten Liedes der Vorband, dann ist Umbaupause.

20:37 Uhr: Die Hitze ist überwältigend, es riecht nach Schweiß. Ich verspüre dennoch keinerlei Drang, mich etwa an eine Getränkestation vorzukämpfen. Auf der Bühne wird umgebaut. Spitzenabend bisher, ich versuche, mich darüber zu amüsieren und bin so mittelerfolgreich.

20:42 Uhr: Ein Rollstuhl wird rausgeschoben, ich mache Platz und lande hinter der Säule, von der aus ich die Bühne nicht sehen kann. Das ist beim Umbau auch nicht so spannend. Ruckle mich in den nächsten Minuten wieder ein Stück nach rechts, Bühne wieder in Sicht.

20:53 Uhr: Der Rollstuhl wird wieder reingeschoben, ich mache wieder Platz und lande wieder hinter der Säule. Mir ist heiß, ich habe Durst, es ist eng und dunkel und ich stehe weit weg und was für ein blöder Abend, ich beschließe, wenigstens eine halbe Stunde zu bleiben und dann nach Hause zu gehen und Once zu gucken. In der Saalmitte steigen Seifenblasen auf.

20:57 Uhr: Da kommt Glen Hansard. Und seine Musiker. NEUN LEUTE! Streicher, Blechbläser. Hammerbesetzung. Und dann spielen sie als erstes Bird of sorrow, und sofort weiß ich doch wieder, warum ich hier bin.

21:14 Uhr: Er spricht Deutsch, er hat „Ik bin Plattenspieler“ gesagt. Ich bin verliebt.

21:22 Uhr: Ich schwitze. Ich würde sehr gern etwas trinken. Aber mich zur Bar vorzukämpfen … nee.

21:30 Uhr: I don’t know you / but I want you / all the more for that. Instant Gänsehaut.

21:48 Uhr: Die ersten fallen in Ohnmacht. Mitten in einem ruhigen Lied sagt Glen Hansard plötzlich, ob mal bitte schnell jemand von der Security kommen könne, vor der Bühne sei jemand umgekippt. Ein Securitymann kommt, Glen Hansard zupft ein bisschen weiter auf der Gitarre, summt dazu, behält die Frau im Blick und sagt dann: „Oh, are you back? Good to see you!“, und lächelt sie so an, dass ich auch gern ein bisschen in Ohnmacht fallen würde.

21:56 Uhr: Leave.

Mir fehlt jemand zum Anschmiegen. Würde dafür auch Glen Hansard nehmen.

22:15 Uhr: Heiß. Durst. Knutschbedürfnis.

22:25 Uhr: Glen Hansard erzählt eine wundervolle Geschichte von einer sehr, sehr schönen Nacht, that started out as friends but then got romantic, und ich möchte spontan eine Flasche Rotwein klauen (from your friends’ band’s dressing room behind the pub) und auf einem Hügel sitzen und in einen Holzschuppen einbrechen. Well, basically, I fucked up.

22:30 Uhr: Eine überraschende Funk-Nummer, großartig. Überraschende Coverversionen. Van Morrisson. Bruce Springsteen. Aretha Franklin. R.E.S.P.E.C.T!

22:43 Uhr: Schluss.

22:47 Uhr: Zugabe. Say it to me now. Unverstärkt. Nur Glen Hansard und die kaputte Gitarre, the working horse.

Und damit ist es endgültig um mich geschehen, ich verdrücke ein Tränchen.
Es ist heiß, ich habe Durst, es gibt jetzt wirklich keinerlei Sauerstoff mehr, ich kann nicht mehr stehen. Es kann nichts mehr kommen. Es gibt noch weitere Zugaben, glaube ich, aber ich gehe nach Hause und bin ganz beglückt und verliebt und werde das nächste Glen-Hansard-Konzert mit Sicherheit auch wieder besuchen und wieder verliebt sein und mich wieder anschmiegen wollen, an den lustigen Mann, an Glen Hansard, oder zur Not an den nächstbesten im Publikum, aber das macht man dann ja doch nicht. Schade eigentlich.

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