Flashback

Ich sitze auf dem Balkon und arbeite und werde von Mücken zerstochen. Irgendwo müssen doch noch … es gibt wahrscheinlich nur ein einziges Wort, das ich nur auf Japanisch kenne, aber nicht auf Deutsch oder Englisch. Irgendwo müssten doch noch Katorisenkô sein, nicht mehr aus Japan, sondern von Korfu vor ein paar Jahren. Ich suche sie, und tatsächlich ist da eine ganze Packung, auf Englisch heißen sie also mosquito coil, und jetzt sitze ich mit Katorisenkô auf dem Balkon und es riecht total intensiv nach Japan. Das passt ein bisschen, weil ich in der Übersetzung gerade in Hongkong bin, ich war noch nie in Hongkong, aber vielleicht riecht es da auch nach Katorisenkô.
Jetzt hätte ich vielleicht gern ein paar Sushi oder eine schöne Nudelsuppe, dazu würde man das Ding-ding-ding des nahegelegenen Bahnübergangs und die Zikaden hören.

Was ich so mache

Bloggen jedenfalls nicht, wie Ihr möglicherweise gemerkt habt. Manchmal frage ich mich selbst, was ich eigentlich mache, ich habe zum Beispiel in diesem Frühjahr gar kein Buch übersetzt, was mache ich eigentlich den ganzen Tag?

Mal kurz nachgezählt: Ich bin dieses Jahr schon 15 Mal verreist. Davon einmal für ein Interview nach Mannheim, mit Maximilian zusammen, morgens hin, Interview, nachmittags zurück. Alle anderen Reisen bedeuteten eine bis sieben Übernachtungen irgendwo, fast alle waren beruflich. Seminare, Workshops, Vorträge, Recherchen, Lektorat, und auch mal privat zu Eltern oder Schwiegereltern. Gerade war ich wieder in Klagenfurt, das war wieder super, mal sehen, ob ich noch darüber schreibe. Außerdem hatten wir zusammengerechnet mehr als zwei Wochen Besuch hier bei uns.

Wir haben neben unseren üblichen Wasmachendieda-Interviews noch sechs Folgen an Nido verkauft, da waren wir ein paarmal da, haben alles besprochen, die ersten Interviews sind geführt und befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Papierwerdung, weitere sind angeleiert oder geplant. Das wird alles total super, ich freue mich sehr.

Dann gebe ich zusammen mit Anne von Canal eine Anthologie heraus, die im nächsten Frühjahr erscheint (keine Ahnung, wie viel ich schon verraten darf, Ihr werdet es natürlich rechtzeitig erfahren), mit lauter Originalbeiträgen, also mit Geschichten, die eigens dafür geschrieben werden. Was bedeutet: Sack Flöhe. Ein Autor sagt erst zu, dann doch wieder ab. Eine sagt ab, und als wir alle beisammen haben, fragt sie, ob sie doch noch mitmachen kann. Einer schickt den Vertrag seinem Agenten, der dann Sonderkonditionen haben möchte. Eine gibt und gibt nicht ab, ich schicke alle zwei Tage freundliche Auf-die-Füße-tret-Mails. Einer gibt eine halbe Seite ab, was nicht ganz das war, was wir uns unter „nicht mehr als 15 Seiten“ vorgestellt hatten, aber wenn Ihr später seht, wer das war, wisst Ihr auch, dass es trotzdem in Ordnung ist. Und so weiter. Dann will das alles lektoriert und mit den Autoren besprochen werden, und dann muss ich auch selbst noch eine Geschichte schreiben. Oh. Ähm. Nun ja. Bisher jedenfalls haben wir nur tolle Geschichten, das wird ein wirklich schönes Buch.

Und schließlich das Größte: Ich bin mitten im Pfau-Lektorat, beziehungsweise kurz vor fertig. Alles wird noch mal gründlich überarbeitet. Am 13. August muss er endgültig abgegeben werden, dann geht er in Satz. Das ist eine tolle Arbeitsphase, mein Lektor hat mir Anmerkungen reingeschrieben, wo er meint, dass ich eine Szene noch auserzählen könnte, wo noch etwas unklar ist, wo mehr Pfeffer dran muss, das ist total hilfreich und super. Gleichzeitig habe ich natürlich das Gefühl, dass es nicht reicht, dass das alles nicht gut genug ist.
Die wundervolle Smilla Dankert hat sensationelle Autorenfotos von mir gemacht, wir denken über ein Bild für die Umschlagklappe und eins für die Vorschau nach, es wird plötzlich alles sehr konkret und greifbar. Und: Wir haben einen unfassbar schönen Coverentwurf, da kommt jetzt die Feinarbeit, und ich bin sehr glücklich und sehr aufgeregt. Es ist noch so entsetzlich lange hin, bis es endlich erscheint! Februar! Sieben Monate! Mannmann, kann mal jemand vorspulen, bitte?

PfauIsa

Nee, halt, doch nicht. Bis dahin muss ich ja auch noch zwei Bücher übersetzen. Ob ich bekloppt bin? Ach, naja.

Blumen kaufen

Wir waren auf dem Markt, Blumen für den Balkon kaufen. Vor uns war eine ältere Dame dran, die ein wenig umständlich war und ausführlich beraten werden wollte, der Verkäufer war also beschäftigt, und wir hörten unfreiwillig zu. Wir stellten ein paar fleißige Lieschen in unsere Kiste, ein paar Kapmargeriten, ein paar Blumen, deren Namen ich nicht kenne, und irgendwann kam auch die umständliche Dame endlich zum Ende ihres Einkaufs. Sie bezahlte, es gab keine Registrierkasse oder sowas, der Verkäufer hatte einen ledernen Geldbeutel umgebunden wie ein Kellner, er überschlug die Pflanzen, die sie in Taschen und Tüten hatte, rundete am Ende ein bisschen ab und sagte: „Sagen wir 18,- €“. Die Dame bat den Verkäufer, ihr das aufzuschreiben. Er schrieb den Gesamtbetrag auf ihren Einkaufszettel, 18,- €, dann bat sie ihn aber noch, die Preise für die acht Blumen doch bitte einzeln aufzuführen. Er war sehr freundlich, guckte nur etwas irritiert und notierte ihr dann die einzelnen Preise auf ihrem Zettel. Sie bemerkte entschuldigend, sie könne nichts dafür, ihr Mann habe das so bestimmt.

Ihr Mann habe das so bestimmt. Andererleuts Beziehungen gehen mich natürlich einen feuchten Kehricht an. Aber mich erschreckt so ein Satz so, ich war vollkommen verdattert, gleichzeitig voller Mitleid und Entsetzen und Wut, wie kann man sich sowas gefallen lassen, wie kann man so leben, es geht ja offenbar nicht darum, getrennte Kassen zu haben oder ein gemeinsames Haushaltsbuch zu führen, da könnte man ja einfach „Blumen, 18,- €“ reinschreiben. Schon das könnte ich nicht, weder getrennte Kassen noch Haushaltsbuch, weil ich finde, dass das Geld dadurch eine Wichtigkeit bekommt, die es nicht haben soll, jedenfalls in meinem Leben nicht, aber das können andere Leute ja anders machen, ich weiß ja, dass andere Leute ein anderes Verhältnis zu Geld haben. Und das ist erstmal vollkommen unabhängig davon, wie viel Geld man hat. Aber hier ging es offenbar darum, dass der Mann die einzelnen Preise der einzelnen Blumen wissen will. Was denkt er denn? Dass seine Frau heimlich beim Blumenkauf zwei Euro abzwackt und für sich beiseitelegt? Bis sie genügend beisammen hat, um ihn verlassen zu können? Oder dass sie es gleich verprasst und sich gar ein Eis davon kauft, oder eine Obdachlosenzeitung? Was ist denn, wenn sie sich ein Eis oder eine Obdachlosenzeitung kaufen möchte, muss sie das auch belegen? Darf sie sich überhaupt ein Eis kaufen? Darf sie einem Obdachlosen zwei Euro geben? Muss er ihr das dann quittieren, auf ihrem Einkaufszettel?
Aber das ist ein Nebenthema, der Punkt ist: Es genügt dem Mann offenbar nicht zu wissen, dass 8 Blumen für den Balkon 18,- € kosten, sondern er muss es einzeln wissen, das macht mich fertig, wie kann man in einer Beziehung mit so wenig Vertrauen leben? Wie kann der eine bestimmen, wie genau der andere etwas aufschreiben muss? Kann man da glücklich sein? Jaja, schon gut, das ist eine rhetorische Frage, ich könnte es nicht, andere können es vielleicht, und es geht mich in der Tat nichts an. Aber lieber Himmel, wenn man nicht mal sagen kann „ich habe 8 Blumen für 18,- € gekauft“, wie soll das gehen? Mein Eindruck war übrigens überhaupt nicht, dass sie etwa insgesamt zu viel Geld ausgegeben hätte, es ging nicht um die Gesamtsumme, es ging nicht darum, dass das Paar kein Geld für Blumen hätte, sie hat die Blumen nicht nach Preis ausgesucht, sondern nach Pflegeintensität und Standort. Es ging nicht ums Sparen, sondern darum, die Kosten en détail zu belegen. Und was mich so erschreckt hat, war wahrscheinlich das Verb: er hat das so bestimmt.

Und natürlich kann es auch alles ganz anders sein, möglicherweise will sie selbst die Einzelpreise wissen, vielleicht ist sie nicht fix genug im Kopf, um mal schnell überschlagen zu können, ob der Gesamtpreis richtig war, und will sich in Ruhe selbst zu Hause vergewissern und hat den Mann nur vorgeschoben, weil es ihr weniger peinlich ist zu behaupten, das hätte ihr Mann so bestimmt, als zuzugeben, dass sie selbst nachrechnen möchte. Weiß man alles nicht.

Immer wieder sonderbar, diese winzigen Fenster zu den Leben fremder Leute.

Liebe Kinder,

wenn zwei Menschen sich liebhaben, ist das toll. Also, eigentlich sollte man natürlich alle Menschen liebhaben, das wäre am allerschönsten. Aber manchmal haben sich zwei Leute eben ganz besonders lieb, und dann ist das besonders schön für die beiden. Und weil die beiden dann glücklich sind, ist das auch wieder schön für alle anderen.
Wenn die beiden wollen, können sie heiraten, um der ganzen Welt zu zeigen, dass sie für immer zusammenbleiben wollen. (Man kann natürlich nie wissen, ob das dann auch wirklich klappt, aber das ist ein anderes Thema.) Diese zwei Menschen sind ziemlich oft ein Mann und eine Frau, manchmal sind es aber auch zwei Männer oder zwei Frauen.

Eure Erwachsenengeneration

Es ist mir wirklich zutiefst unbegreiflich, was daran so schwer sein soll. „Wie soll man das denn den Kindern erklären?“ – ist das Euer Ernst? Was ist so schwer daran, es Kindern zu erklären, wenn zwei Menschen heiraten? Sie lieben sich und möchten zusammenbleiben und Verantwortung füreinander übernehmen. Fertig.
Anlass für meine aktuelle Fassungslosigkeit ist dieses Fundstück hier, das seit gestern durch die Medien geistert, wo ein Mann sich an die Beratungstante einer Zeitung wendet, weil er seine Töchter nicht zur Hochzeit seines Bruders mitnehmen will. Denn der Bruder heiratet einen Mann. Und die Beratungstante bestärkt den Briefschreiber darin, das müsse „bei allem Respekt“ nicht sein und würde die Töchter nur „durcheinanderbringen“. Na, auf die Sorte Respekt kann das Paar dann vermutlich auch verzichten.
Kinder in dem Alter müssten sich nicht mit sexueller Orientierung auseinandersetzen, heißt es. Ach nein? Erstens: Warum eigentlich nicht? Oder anders: Was gibt es da „auseinanderzusetzen“? Und zweitens: Bei einer Heterohochzeit setzen Kinder sich auch nicht mit Sexualität auseinander. Wenn sie in dem Alter sind, in dem sie darüber nachdenken, dann tun sie das so oder so. Wenn Kinder auf eine Hochzeit gehen, dann feiern sie ein Fest, sie machen sich schick, essen Kuchen, tanzen und freuen sich. Irgendwer schrieb: Kinder finden Liebe grundsätzlich super. So ist das nämlich. Kinder feiern auf einer Hochzeit die Liebe, nicht die Sexualität. Wie Erwachsene auch.
Maximilian erzählte mal diese Geschichte: Da ging es im Radio um das Adoptionsrecht für Homosexuelle. Die Söhne fragten nach, und er erklärte ihnen, es gebe Leute, die fänden, dass Kinder nicht zwei Väter haben sollen. Die Söhne fragten ganz erstaunt, wieso das denn nicht, es gebe doch auch Kinder, die zwei Mütter haben. So einfach ist das nämlich, Kinder haben da überhaupt kein Problem. Sie werden auch keineswegs „verwirrt“, wie es in dem Zeitungsartikel heißt. Wovon denn auch? Von der Liebe? Come on.

Also was um alles in der Welt kann so schwer daran sein, Kindern zu vermitteln: Wenn zwei sich lieben, werden sie ein Paar. Und wenn sie möchten, können sie heiraten.
Wir müssen mal von diesem Männer-Frauen-Ding runterkommen und stattdessen über Menschen sprechen.

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NACHTRAG: Das Westfalenblatt hat Stellung genommen, und das macht rein gar nichts besser.

NACHTRAG 2 (Danke für den Hinweis, Andrea!): Das Westfalenblatt hat die Zusammenarbeit beendet.

*seufz*

Ja, früher™ habe ich mal gebloggt. Manchmal täglich, manchmal alle paar Tage. Das war schön. Fand ich.
Irgendwie kriege ich es gerade nicht auf die Reihe. Kleine Ideen werden auf Facebook verballert, für größere habe ich das Gefühl, keine Zeit zu haben. Immer wieder nehme ich mir vor, dass es doch gehen muss, das bisschen Bloggen kann doch nicht so schwer sein, du meine Güte, ich mache das seit zehn Jahren, ich weiß doch, wie es geht.
Im Moment ist viel Kleinkram. Neben der *eigentlichen* Arbeit (die da gerade ist: den Pfau überarbeiten) kommt zusätzliche Arbeit für wasmachendieda auf uns zu, ich gebe eine Anthologie mit 15 Beiträgen heraus, und ich bereite ein 5-tägiges Seminar vor (26 Bewerbungen auf 12 Plätze), das alles zusammen fühlt sich an wie einen Sack Flöhe hüten. Ein Autor braucht Bedenkzeit, eine springt ab, eine Seminarbewerberin kann doch nicht, wir müssen einen Nachrücker aussuchen, die Termine funktionieren nicht, weil [noch geheim], ich muss zur Physiotherapie, ein Anthologieautor hatte schon abgesagt, will jetzt aber doch, einer hält den Abgabetermin nicht ein, die nächste Seminarbewerberin fragt, ob sie den Text nochmal nachbessern darf, ich habe eine Woche Nichtenbesuch, was natürlich super ist; dazu hier Termine, dort Rücksprache halten, da organisieren, jenes verschieben, und die Mail an Dings muss ja auch noch, und habe ich jetzt eigentlich X gefragt, ob Y, und Z Bescheid gesagt, dass *blubb*?
Lauter tolle Projekte, aber nebenbei noch Bloggen kriege ich irgendwie nicht recht auf die Reihe. Morgen fahre ich nach Berlin zu einem Seminar für Seminarleiter, dann bin ich also auch schon wieder unterwegs. Aber Ihr sollt wenigstens ein bisschen Pausenmusik haben! Ansonsten gelobe ich mal wieder Besserung, das kennt Ihr ja schon.

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