Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher

Als ich vor ein paar Monaten in meiner Lieblingsbuchhandlung übernachtet habe, da habe ich schon mal kurz in dieses Buch reingelesen. Und schrieb: „gesammelte Blogtexte, schnarch, ich finde sie öde. Natürlich bin ich in Sven Regener verliebt, wenn er Musik macht, aber das Buch brauche ich nicht.“

Ich weiß selbst nicht, warum ich es jetzt doch gelesen habe, wahrscheinlich, weil ich halt in den Herrn verliebt bin (also, in seine Musik), jedenfalls: das ist total lustig! Sven Regener hat von 2005 bis 2010 immer mal wieder gebloggt. An unterschiedlichen Stellen, immer für eine begrenzte, meist recht kurze Zeit, dann aber sehr regelmäßig, teilweise mehrmals täglich. Vor Erscheinen der neuen CD, während der Buchmesse, auf Tour und so weiter. Dabei betreibt er einerseits zwar das klassische Tagebuchbloggen, teilt aber andererseits erstaunlich wenig von dem mit, was tatsächlich passiert. Und dabei ist er von absolut umwerfender und entwaffnender Belanglosigkeit. Kostprobe, beliebig aufgeschlagen:

    Montag, 18. Mai 2009
    Der Reiseneurotiker ist strukturell ein armer Willi
    Montag, 6.02 Uhr, Berlin
    Muss morgen ganz früh raus. Wie oft habe ich den Satz gestern gesagt? Wer hat sich diesen unendlich langweiligen Stuss von einem Satz alles anhören müssen? Muss morgen ganz früh raus. Um dann viel früher aufzustehen als nötig. Der Reiseneurotiker ist strukturell ein armer Willi und kennt keine Scham.

Das, liebe Leute, ist ja wohl sensationell. Und dann ruft auch noch dauernd Hamburg-Heiner an, kurz „Hamburg“ genannt, und erklärt ihm, wie er bloggen oder nicht bloggen soll. Wirklich unfassbar sinnlos und lustig, geschmückt mit irre schlechten Fotos. Toll! Ehrlich, das ist ganz, ganz großartig.

(Und dann komme ich am Freitag auf diese prominent besetzte Party, und der erste, der mir auffällt, ist Sven Regener, und ich gucke hin und dann schnell wieder weg und bilde mir ein, er hätte auch kurz geguckt, und dann fange ich schnell an zu summen „da wo du nicht hinsiehst, steht er und schaut weg“ und muss lachen, denn „geh doch hin“ kommt natürlich nicht in Frage. Dann sehe ich ihn für den Rest des Abends auch gar nicht mehr, er scheint früh gegangen zu sein. Vielleicht musste er früh raus. Hat er was verpasst, gegen ziemlich spät wurde noch mächtig getanzt, großer Spaß.)

Sven Regener wohnt im Regal zwischen Elisabeth Rank und Marcel Reich-Ranicki.

Bei Amazon kann man sich ein Stück von ihm vorlesen lassen.

Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. 432 Seiten. Galiani, 19,95 €. (Das finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen teuer für ein Taschenbuch, auch wenn’s die bessere Sorte Taschenbuch ist.)

Alan Bennett (Ingo Herzke): Vatertage

Irgendwie habe ich gerade ein Leseloch, ich hab das Gefühl, schon ewig nichts mehr gelesen zu haben, wie kommt das denn? Tst. Jetzt geht es aber wieder los, und Alan Bennett geht ja sowieso immer. Von Alan Bennett war ich schon dreimal sehr, sehr begeistert (Die souveräne Leserin, Così fan tutte, Handauflegen), jetzt also der vierte: Vatertage. Diesmal nicht eine durchgehende Geschichte, sondern zwei Texte: eine Geschichte und ein nicht-fiktionaler, erzählender Text über Bennetts Eltern.

Die Geschichte, „Vater, Vater, lichterloh“, fängt so an:

Jedesmal, wenn Midgley seinen Vater umgebracht hatte, war der Tod ganz leicht gewesen. Er war schnell, schmerz- und kampflos gestorben. Im Rückblick musste MIdgley zugeben, dass er seinem Vater nicht einmal mit diesen Todesphantasien gerecht geworden war. Es sah ihm gar nicht ähnlich, so zu sterben. Und er tat es auch nicht.

Midgley ist Lehrer, verheiratet, ein Sohn. Eines Tages erreicht ihn in der Schule ein Anruf, dass sein Vater im Krankenhaus liegt, er hatte einen Schlaganfall und liegt im Koma. Möglicherweise wird er die Nacht nicht überleben. Midgley fährt hin und hält Wache; der Vater überlebt die Nacht und noch ein paar Nächte mehr, und Midgley sitzt an seinem Bett oder draußen im Flur. Andere Verwandte kommen und gehen. Und wer das Ende nicht vorher wissen will, der lese keinen Klappentext, denn dann kommt es doch recht überraschend. Wie ich das hasse, wenn der Klappentext ausplaudert, was auf den letzten zwei Seiten passiert! Argh.
Der zweite Text dreht sich um Bennetts Eltern. Er heißt „Mr. Bennett, Sen.“, obwohl es genauso um die Mutter geht. Und mir ist nicht so ganz klar, was der Text soll, oder was ich damit anfangen soll. Gut geschrieben ist er, natürlich, ist ja Bennett (bzw. Herzke). Aber. Weiß auch nicht, vielleicht hatte ich einfach mit etwas Fiktionalem gerechnet und wollte keine Autobiografie lesen.
Insgesamt ist das nicht mein Lieblingsbennett. Die erste Geschichte ist natürlich toll, aber auch sie ist – bis auf einige nahezu Loriot-artige Dialoge – irgendwie anders als die anderen Bennetts, viel weniger ironisch und witzig. Dabei durchaus nicht humorlos, aber sie hat irgendwie so eine Grund-Traurigkeit. Was auch sehr schön ist.
Allen, die Bennett nicht kennen, lege ich die anderen drei Bücher dringend ans Herz. Dieses hier ist auch sehr schön, keine Frage, aber ich hatte eben ein bisschen was anderes erwartet. Was meiner Bennett-Liebe aber keinen Abbruch tut, ich habe noch die „Lady im Lieferwagen“ hier liegen und zwei weitere auf meinen Wunschzettel gesetzt. Bennett wohnt im Regal immer noch zwischen Benn und Bergengrün.

Alan Bennett (Ingo Herzke): Vatertage. Wagenbach, gebunden (und zwar in rotes Leinen, sehr schön, wie alle Bennetts), 14,90 €

Best of Klappentext

„Seit ihrem ersten Erscheinen vor zehn Jahren sind die „Lieblosen Legenden“ fast schon legendär geworden – und vielleicht auch die Welt, auf die ihre Lieblosigkeit gemünzt war. Aber die Liebe wie ihr Gegenteil klammern sich an ihren Gegenstand: so halten Hildesheimers Geschichten das Bild einer Welt fest, die es noch verdient, mit dem verwunderten Blick des Kindes und zugleich mit dem bösen des Satirikers angesehen zu werden; sie errötet unter diesen Blicken, aber das steht ihr.“

Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden. Bibliothek Suhrkamp, 1962.

Frank Schmeißer: Schurken überall!

Die streng geheimen, ultrawahren Aufzeichnungen des Superhelden „Das Gehirn“, alias Sebastian von Nervköter, und der unglaublichen Dreieinhalb

Die unglaublichen Dreieinhalb sind neben Sebastian von Nervköter auch noch Barbara Schwemme, genannt „Action-Bärbel“, weil sie so hibbelig ist und immer in Bewegung (was daran liegt, dass sie ihr Ritalin nicht nimmt), und Martin Koslowski, genannt „Das Chamäleon“, weil er so unauffällig, ja, geradezu unsichtbar ist. Der Halbe ist Martins imaginärer Freund Dieter, genannt „Der Hosenscheißer“, weil er noch mehr Angst vor allem hat als Martin. Da Sebastian und Action-Bärbel Dieter nicht sehen können, zählt er nur halb. Und das ist auch gut so, denn so gehen fast alle Abstimmungen im Superheldenteam zwei zu anderthalb aus. (Jaaa! Anderthalb! Hervorragend! Man könnte meinen, der Autor läse mein Blog. *hust*)
Eines Tages ist die supernette Klassenlehrerin der unglaublichen Dreieinhalb, Frau Daffodil, irgendwie nicht so fröhlich wie sonst. Die Dreieinhalb kriegen raus, dass aus ihrem Klassenzimmer bereits mehrfach Dinge gestohlen wurden: der Globus, das Lexikon, sowas. Und Frau Daffodil wird deswegen Ärger bekommen und womöglich ihren Job verlieren. Das wäre eine Katastrophe! Keine Frage, das ist ein Fall für die unglaublichen Dreieinhalb. Sie haben sofort die Schüler der Klasse 6b (b wie böse) in Verdacht, und ihren ebenso bösen Klassenlehrer Dr. Knarz gleich mit. Und dann passiert auch noch das, was Sebastian in dieser Situation am allerwenigsten gebrauchen kann: Tante Hella taucht auf. Oh weia. Tante Hella ist wirklich schlimm.
Und so müssen die unglaublichen Dreieinhalb bis zum finalen Showdown wirklich alle ihre Superheldenkräfte aufbringen und einige Rückschläge einstecken und ziemlich wilde Abenteuer überstehen. (Was möglicherweise auch daran liegt, dass ihre Pläne zum Teil ein klitzekleines Bisschen unausgegoren sind.) Bis dahin hat man sich jedenfalls prächtig amüsiert, und spannend ist es auch. Na gut: wenn man ungefähr 8-10 Jahre alt ist. Ich bin 43 und habe es trotzdem wirklich gerne und mit Vergnügen gelesen. Gott sei Dank! Denn ich fürchte mich ja immer ein bisschen, wenn mir jemand ein Buch schickt und hofft, dass ich drüber blogge. Weil, wenn ich es dann doof finde, dann ist das doof. Aber wenn es schön ist, umso schöner: Danke, Frank!
Wirklich wundervoll sind übrigens auch die Illustrationen von Jörg Mühle, über die habe ich sehr gelacht. Ich bestell gleich mal ein Exemplar für die Nichte, die neulich hier war und es angefangen hat und nicht mitnehmen durfte, weil ich selbst noch nicht durch war.

Frank Schmeißer (Jörg Mühle, Illustrationen): Schurken überall! Die streng geheimen, ultrawahren Aufzeichnungen des Superhelden „Das Gehirn“, alias Sebastian von Nervköter, und der unglaublichen Dreieinhalb. Ravensburger, 207 Seiten, 12,99 €

Adam Davies (Hans M. Herzog): Froschkönig

Irgendjemand hat mir dieses Buch empfohlen, ich weiß nicht mehr, wer. Und, äh: ich weiß auch nicht, warum. Ich habe es nach 50 Seiten beiseitegelegt. Der Erzähler ist ein ziemlich unangenehmer Typ – was allein kein Grund wäre, ein Buch nicht weiterzulesen, aber stilistisch ist es ebenso unangenehm, krampfhaft auf Pointe angelegt und vollgestopft mit Adjektiven und kruden Vergleichen. „Der Mond treibt sich wie ein billiger Freier um den Kirchturm herum“, du meine Güte! Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass verschiedene im Klappentext zitierte Rezensenten anderer Meinung sind, Meike Fessmann (SZ) beispielsweise hält es für „eine intelligente und originelle Liebesgeschichte mit betörenden Details“. Ich, öh, nicht.
Adam Davies kommt im Regal zwischen Rev. Christian Dabeler / Almut Klotz und Daniel Defoe. Und jetzt fragt bloß nicht wieder, warum ich Bücher, die ich nicht mochte, ins Regal stelle, statt sie gleich wegzuwerfen. *augenroll*

Adam Davies (Hans M. Herzog): Froschkönig. 382 Seiten. Diogenes Taschenbuch, 9,90 €.

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