Interview: Ursula Gräfe

Ursula Gräfe wurde 1956 in Frankfurt am Main geboren und studierte dort Japanologie, Anglistik und Amerikanistik. Seit 1988 arbeitet sie als Literaturübersetzerin. Ihr zweites Interessengebiet neben Japan ist Indien. Ins Deutsche übertragen hat sie u. a. Haruki Murakami, Yasushi Inoue, Hiromi Kawakami, R. K. Narayan und O. V. Vijayan. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.


Foto: privat

Was hat Dich nach Japan getrieben, wie bist Du darauf gekommen, Japanologie zu studieren und Übersetzerin zu werden?

Eigentlich war das Glückssache, ich wollte – neben Anglistik und Amerikanistik – eine östliche Philologie studieren, ich glaube, um wenigstens drei Erdteile voll zu machen. Indologie gab es nicht und bei Sinologie hatte es mir nicht so gefallen. Ein bisschen Fernweh war auch dabei. Von Japan hatte ich nur eine äußerst vage Vorstellung, ganz zu schweigen von Japanisch.
Übersetzerin bin ich durch einen Glücksfall geworden: Das japanologische Institut, das mittlerweile abgerissen ist, lag damals nicht weit vom Suhrkamp Verlag, der mittlerweile in Berlin ist. Eines Tages fragte eine Lektorin bei unserem Prof. nach, ob jemand The World of the Shining Prince von Ivan Morris, eine Art kleine Kulturgeschichte über die japanische Heian-Zeit (794-1185), ins Deutsche übertragen könne – und weil ich gerade eine Hausarbeit über die Naturvorstellungen dieser Epoche geschrieben hatte und außerdem Anglistik studierte, bekam ich den Leuchtenden Prinzen.

Als ich vor fast zehn Jahren zum letzten Mal versucht habe, etwas aus dem Japanischen zu übersetzen, gab es kaum Fachwörterbücher, oder nur Japanisch-Englisch. Man musste also vieles „um die Ecke“ nachschlagen.
Und: die wichtigsten Englisch-Nachschlagewerke (und Deutsch) habe ich auf dem Computer, da ist alles sehr fix nachgeschlagen. Wie ist das bei Japanisch? Hat sich auf dem Wörterbüchermarkt etwas getan? Das Internet ist sicher eine Erleichterung, aber man wird ja immer noch dauernd Striche zählen müssen, oder?

Es ist ein sehr umfangreiches Großes japanisch-deutsches Wörterbuch (Hg. Irmela Hijiya-Kirschnereit) in Arbeit, Bd. A-I ist erschienen. Ich persönlich arbeite sehr gern mit dem NJStar Wordprocessor, das Programm ist auf meinem Laptop, und mit dem Internet-Wörterbuch http://www.wadoku.de (unschlagbar, größter Dank den Herausgebern). Mit NJStar kann man sehr schnell nachschlagen, auch Kanji nach einem Ratz-Fatz-Radikalsystem, ohne Zählen. Als Riesenerleichterung, abgesehen vom Vergnügen, empfinde ich die Möglichkeit, Bilder zu bestimmten Suchbegriffen zu googeln. Man weiß es ja: Einmal sehen ist besser als hundert Mal hören oder lesen in unserem Fall.

Du arbeitest viel im Team, übersetzt zusammen mit Kimiko Nakayama-Ziegler. Ist Deutsch oder Japanisch ihre Muttersprache? Wie läuft diese Zusammenarbeit ab?

Kimikos Muttersprache ist Japanisch, aber sie lebt schon sehr lange in Deutschland, hat auch Germanistik studiert. Wir kennen uns noch von der Uni. Ich habe unglaublich viel von ihr gelernt – sie ist ein äußerst kultivierter Mensch und richtig umfassend gebildet. Früher saßen wir immer am Küchentisch und haben Satz für Satz vorgelesen und gemeinsam übersetzt. In der letzten Zeit haben wir immer mehr geteilt, das alte System war zwar fruchtbar, ist aber inzwischen zu aufwändig.

Die japanische Kultur ist von unserer ja recht weit entfernt. Wie gehst Du mit Realien um, die hier nicht bekannt sind, oder mit Anspielungen, die Japanern etwas sagen, aber uns nicht? Wie oft und nach welchen Kriterien fügst Du unauffällige Erklärungen in den Text ein? Hast du Faustregeln für die Gratwanderung zwischen „Fremdheit stehenlassen“ einerseits und „den Text zum Leser bringen“ andererseits?

Tatsächlich bemühe ich mich, möglichst wenig Fremdheit stehen zu lassen, denn es bleiben sowieso noch immer genug „komische“ Sachen stehen. Gerade bekam ich einen sehr stark wegen solcher „Fremdheit“ redigierten Text von einer Lektorin zurück – sie hat dieses Wort benutzt. Ich fand den betreffenden Autor Taichi Yamada – obwohl Drehbuchautor – auch wirklich sehr schwer. Vielleicht liegt es an seinem Alter (Jahrgang 1934) oder den Sujets (realistische, aber mit Okkultem durchsetzte Handlung). Ohne Kimiko hätte ich manches gar nicht verstanden. Du kennst das sicher auch: Eine Figur sagt „Ah, sore wa …“ (Ah, das ist …), und im Kontext heißt das dann „wie traurig, dass Sie keinen Vater haben“ oder so was. Außerdem ist die Grenze zwischen dem, was real und dem was illusionär sein soll, schwer zu ziehen. Alles hochgradig suggestiv.
Wenn es um reale Bezüge geht und kein Glossar gemacht wird, füge ich meist unauffällig passende Erklärungen (sogar bis hin zur Entstehungszeit) in den Text ein. Zum Beispiel dreht sich in 1Q84 von Murakami eine Stelle um das Heike monogatari, auf deutsch Die Geschichte der Heike. Wenn ich das so schreibe, fragt sich natürlich ein großer Prozentsatz der Leser: Hä? Was für eine Heike? Wie sollen sie wissen, dass es sich um ein wichtiges Kriegerepos (quasi das japanische Nibelungenlied, haha) handelt, das in Japan jedes Kind kennt.

Bekanntlich werden Übersetzer schlecht bezahlt, und Japan ist ein teures Land und weit weg. Wie machst Du es, den Kontakt zur japanischen Sprache nicht zu verlieren?

Vor Kurzem habe ich das japanische Hörbuch für mich entdeckt, zwar boomen Hörbücher in Japan nicht so wie hier, aber für mich genügen die, die es gibt, für dieses und mehrere nächste Leben. Im Augenblick reise ich (aus familiären Gründen) nicht nach Japan oder in mein Lieblingsland Indien, aber durchs Übersetzen, Internet und den Kontakt zu Freunden geht das schon. Bis vor zweieinhalb Jahren konnte ich noch sehr viel und oft Monate lang verreisen.

Im Moment arbeitest du an der Übersetzung einer Trilogie von Murakami Haruki mit dem Titel 1Q84. Was bedeutet dieser Titel, worum geht es in dem Buch? Was ist das Besondere an der Übersetzung?

Die japanische Ausgabe von Murakamis 1Q84 – die Aussprache (ichikyuhachiyon) ist im Japanischen die gleiche wie bei 1984 – umfasst drei Bände, die insgesamt etwas über 1500 Seiten haben. Die deutsche Übersetzung (in Worten „Ku-zehnhundertvierundachtzig“) der ersten beiden Bände erscheint im Oktober bei DuMont und zwar in einem dicken Band. Die Geschichte spielt 1984 (bezieht sich auch auf Orwell, Stichwort Gedankenkontrolle). Die beiden Hauptfiguren – Aomame, die im Auftrag einer reichen alten Dame wüste Vergewaltiger ermordet, und Tengo, ein junger Mathematiklehrer ohne Festanstellung, aber mit schriftstellerischen Ambitionen – verbindet eine außergewöhnliche Seelenverwandtschaft. Obwohl die beiden sich zuletzt als Zehnjährige begegnet sind, verzehren sie sich auch als Dreißigjährige noch nacheinander. Ihre Aufgabe ist es also, zueinander zu finden und der unheimlichen Welt von 1Q84 zu entkommen, in die sie irgendwie geraten sind (und in der natürlich viele Hindernisse und Gefahren lauern: ein übermenschmäßiger Sektenführer, der Kinder vergewaltigt und den Aomame töten soll, seltsame „Little People“, die aus dem Maul einer toten Ziege in die Welt krabbeln, um dort an geheimnisvollen Kokons aus Luftfäden zu spinnen, und zwei Monde, die über allem stehen.) Mehr verrate ich nicht.
Als schwierig empfinde ich zum Beispiel den sehr freien Wechsel zwischen indirekter, direkter (mit und ohne Anführung) und erlebter Rede im Japanischen. Im Original gefällt mir das sehr gut, weil es die Gedankenwelt der Figuren lebendiger macht. Im Deutschen muss man mitunter abwägen, sonst wirkt es unnatürlich oder sogar wie ein Fehler.

Welches ist von all Deinen Übersetzungen Dein Lieblingsbuch?

Immer das, an dem ich gerade übersetze …
Sehr gern mag ich die Reifeprüfung (engl. The Bachelor of Arts) von R. K. Narayan, wo ein unglücklich verliebter indischer College-Student, seine stets besorgten Brahmanen-Eltern verlässt und als Wanderasket durchs Land zieht. Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß (jap. „Die Mappe des Lehrers“) von Hiromi Kawakami handelt von einer unverheirateten Enddreißigerin, die durch Zufall ihrem inzwischen pensionierten Japanischlehrer wiederbegegnet. Zwischen den beiden entspinnt sich trotz aller (komischen und manchmal rührenden) Hindernisse eine Liebesgeschichte.
Beide Bücher sind leicht humorvolle Entwicklungsromane, deren mit viel Witz gepaarte Warmherzigkeit und psychologische Einsicht mir gefällt.

Vielen Dank für das Gespräch, Ursula!

Und hier gibt es weiteres Interview mit ihr über die Murakami-Übersetzung.

Jahrestagung der Literaturübersetzer, Wolfenbüttel, Juni 2010

Zum Übersetzen braucht man Talent und Handwerkszeug. Talent hat man, oder man hat es nicht, Handwerkszeug kann man lernen. Zum Beispiel auf der Jahrestagung des Literaturübersetzerverbands VdÜ.

Der durchschnittliche Übersetzer sitzt 362 Tage im Jahr allein zu Hause an seinem Schreibtisch. Die restlichen drei Tage des Jahres verbringt er in Wolfenbüttel, einer beschaulichen Kleinstadt in Niedersachsen, in der Nähe von Braunschweig. Als die VdÜ-Jahrestagung vor sieben Jahren zum ersten Mal in Wolfenbüttel stattfand, betraten wir zu dritt, alle unter vierzig, die Touristeninformation, als eine Angestellte gerade in ihr Telefon sprach: „Irgendwie dachte ich, die Übersetzer sind lauter verhutzelte alle Männer.“ Ihr Blick fiel auf uns, und wir mussten allesamt lachen. Seitdem haben die Wolfenbütteler sich an uns gewöhnt und wir uns an sie; sie denken nicht mehr, wir wären lauter alte Hutzelmännchen, und wir kichern nicht mehr über „Was Bismarck unter den Fürsten, ist Mecky’s Wurst unter den Würsten“.
Als Dank für die Gastfreundschaft geben wir der Stadt freitags mittags immer zuerst ein kleines Konzert mit dem Titel „Konzert für 180 Rollkoffer auf Kopfsteinpflaster“, begleitet von freudigen Begrüßungen, schließlich haben die meisten sich 362 Tage lang nicht gesehen. Die Tagung selbst beginnt diesmal damit, dass sie nicht beginnen kann; unser Vorsitzender Hinrich Schmidt-Henkel und ein Vertreter der Stadt begrüßen uns, aber der Herr, der den Einstiegvortrag halten soll, ist nicht da. Kollege Hartmut Fähndrich springt ein; er schüttelt einfach einen launigen und hochinteressanten Ersatzvortrag über die Übersetzungsgeschichte der „Märchen aus 1001 Nacht“ und wie diese „Übersetzungen“ bis heute unser Orientbild prägen aus dem Ärmel. Sehr beeindruckend.
Am Freitag Abend findet traditionell das Lesefest statt, bei dem in vier verschiedenen Räumen zu vier verschiedenen Themen jeweils vier Kolleginnen lesen. Dieses Jahr gab es „Meilensteine meiner Laufbahn“, eine Lesung mit Texten, in denen es um Musik geht und eine mit populären Sachbüchern. Ich war bei „Elfen, Geister und Vampire“, der Fantasylesung, die sehr schön und für mich neu war, denn Fantasy hat mich nie sonderlich interessiert. (Und tut es, ehrlich gesagt, immer noch nicht, obwohl die Lesung ebenso spannend wie lustig war.)
Samstag ist Workshoptag: jeweils acht Workshops am Vormittag und ebensoviele am Nachmittag stehen zur Auswahl, dieses Jahr geht es von der Tempusverwendung im Arabischen über die Kunst des Moderierens und Taiji/Qigong bis zur Internetrecherche, das Angebot ist jedes Jahr anders. Es waren schon Polizeikommissare da und haben uns etwas über Waffen erklärt, oder jemand von der Spielbank, der uns Pokern und Roulette beibrachte; einmal konnte man erfahren, wie amerikanische Sportarten funktionieren (Baseball! Football!), einmal etwas über das amerikanische Schul- und Hochschulsystem, vor Jahren gab es sogar mal einen Sex-Workshop (ohne praktische Anwendungsbeispiele, angeblich) – alles wiederkehrende Themen in der Literatur. Dann gibt es natürlich reichlich Workshops zur deutschen Sprache: Metaphern, Konjunktiv, Relativsätze, Tempus, Anglizismen. Und immer einen für eine „kleine“ Sprache, damit nicht immer nur die Englisch-Übersetzer zum Zuge kommen. Ich habe dieses Jahr in „Frust und Freude mit Futilitäten“ Limericks und Schüttelreime und Anagramme geschrieben und dabei viel gekichert. Nicht, dass wir das beim Übersetzen konkret dauernd bräuchten, aber gelegentliche Lockerungsübungen halten das Gehirn gelenkig.
Am Samstag Abend wird gefeiert. Es gibt zwei zweijährlich vergebene Übersetzerpreise, die im Wechsel bei unserer Jahrestagung in Wolfenbüttel verliehen werden. Zum einen der Hieronymusring, das ist gewissermaßen unser interner Wanderpokal; ein Ring, der jeweils von einer Übersetzerin an eine Kollegin weitergereicht wird, die sie für besonders preiswürdig hält. Für viele ist das der ehrenvollste Preis – zwar nicht dotiert, aber Komplimente von Kollegen sind besonders wertvoll. Der Ring ist auch ein Zeichen dafür, dass wir Kollegen sind und nicht in erster Linie Konkurrenten. Im Wechsel mit dem Hieronymusring wird der Helmut M. Braem-Preis verliehen, den in diesem Jahr Vera Bischitzky für ihre Neuübersetzung von Gogols „Tote Seelen“ erhielt. Der Preis ist mit 12.000 € dotiert und wird vom Freundeskreis zur internationalen Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen vergeben. Wie immer, wollte ich auch in diesem Jahr das gepriesene Buch sofort lesen.
Nach der Preisverleihung wird gefeiert. So richtig, mit lauter Musik von den DJs Lang und Scheidt und mit Tanz bis um drei. Als kurz vor Schluss „So many men“ läuft, gibt es ein bisschen Gelächter auf der Tanzfläche.
Am Sonntag Morgen sind dann alle ein wenig erschöpft, erscheinen aber trotzdem pünktlich zur traditionellen Sonntagsveranstaltung „Ein Autor trifft seine Übersetzer“, einem Podiumsgspräch mit jeweils einem deutschen Autor und zwei bis dreien seiner Übersetzer in andere Sprachen. Dieses Jahr plaudern Wilhelm Genazino, sein niederländischer Übersetzer Gerrit Brussink und seine Übersetzerin ins Französische, Anne Weber, sehr charmant und anregend über die Übersetzung von „Die Liebesblödigkeit“. Genazino stellt fest, dass echter Humor immer aus dem Ernst erwachsen müsse, um nicht in dummen Witzen zu enden, und schließt: „Die Welt ist ja auch ironisch gemeint.“
Mit diesem Schlusswort im Ohr geben wir zum Abschied noch einmal das Rollkofferkonzert und entschwinden für die nächsten 362 Tage wieder an unsere Schreibtische.

Das Böse

Wahrscheinlich gibt es so viele Übersetzungsansätze wie Übersetzer. Jeder hat seine eigenen Theorien, Vorlieben und Vorgehensweisen; viele – Übersetzer, Lektoren, Kritiker, Leser – haben sogar eigene Wahrheiten, die sie für die allein gültigen halten. Die Wahrheiten des einen müssen aber nicht die Wahrheiten des anderen sein. Nur bei einem Thema sind sich scheinbar alle einig: wir alle wissen, was Das Böse™ ist, das Schlimme, das no-go, was überhaupt niemals nicht geht. Und wenn es uns doch einmal passiert, versehentlich, schämen wir uns in Grund und Boden, und zwar, findet die versammelte Gemeinde, zu Recht. Das Böse™ sind (man stelle sich hier einen langsamen, unheilverkündenden Basslauf vor): Anglizismen.
Anglizismen kommen in unterschiedlichen Darreichungsformen und Packungsgrößen daher. Manchmal werden einfach englische Wörter benutzt, das lässt man uns noch am ehesten durchgehen. Cool zum Beispiel streicht einem keine Lektorin mehr raus, Mum und Dad haben sich längst eingebürgert, oder in bestimmten Büchern sogar die Cops. Hier und da ein englisches Wort verleiht einem Text ja auch Lokalkolorit, das hat man ganz gerne. Solange es in einem gesunden Maß verwendet wird, versteht sich. Wieviel „gesund“ ist, ist natürlich eine Gratwanderung.
Jil Sander sagte einmal: „Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 1996.) Meine kleine Privatmeinung hält diese Menge englischer Vokabeln jedenfalls nicht für „gesund“.
Eine andere Sorte Anglizismus ist es, wenn man zwar die Wörter übersetzt, dann aber mit deutschen Wörtern den englischen Satzbau nachbildet („Es ist, ist es nicht?“ Überhaupt: Asterix bei den Briten!). Dann liest sich der Text nicht flüssig, sondern „irgendwie übersetzt“, das möchte niemand, das versuchen wir alle zu vermeiden.
Und dazwischen gibt es alle möglichen Arten von Lehnübersetzungen und -übertragungen von Wörtern und Grammatik und so weiter, keine Sorge, das soll hier keine sprachwissenschaftliche Abhandlung werden.
Ich gehe davon aus, dass kein Übersetzer, keine Lektorin, kein Leser möchte, dass wir so schreiben wie Jil Sander im obigen Beispiel spricht. Es möchte auch niemand, dass unser Satzbau immer den englischen nachbildet, es soll ja ein deutscher Text sein. Wahrscheinlich herrscht in diesen beiden Punkten Einigkeit. Interessant wird es dazwischen, in der Mitte. Denn in Wahrheit gibt es Das Böse™ nur im Märchen. Sprache funktioniert nicht so. Vieles mag richtig oder falsch sein, aber dazwischen verläuft keine Grenze, sondern eher eine Schnittmenge. Dinge, die weder richtig noch falsch sind, oder sowohl richtig als auch falsch, und die je nach Kontext ganz unterschiedlich behandelt werden müssen. Und das ist der Punkt, an dem das Übersetzen (ebenso wie das Schreiben) interessant wird.
Sprache ist nichts Statisches, Sprache hat sich schon immer verändert und weiterentwickelt. Und zwar vornehmlich unter dem Einfluss anderer Sprachen. Ein Wort oder eine Formulierung dringt aus einer anderen Sprache ein – früher war das Französisch oder Latein, heute eben vor allem das Englische – wird assimiliert und gehört irgendwann zu unserer Sprache, als wäre es schon immer dagewesen. Die grundlegende Frage ist also: wie lange empfinden wir Anglizismen als „falsch“ (und damit verachtenswert und zu vermeiden), und ab wann akzeptieren wir sie als Sprachwandel und nehmen sie in unseren Wortschatz auf? In wieweit wollen, sollen, müssen wir als Übersetzer sprachbewahrend wirken und die deutsche Sprache vor ausländischen Einflüssen schützen, und in wieweit wollen wir eine plausible Sprache schreiben, so, wie sie nun mal verwendet wird, mitsamt Anglizismen?
Denn die Leute sagen nun mal „das macht Sinn“ und „nicht wirklich“. Diese Leute, die so was sagen, sind zum Beispiel ich. Jawohl, ich sage, wenn ich spreche, „nicht wirklich“. In einem eigenen Text würde ich es vielleicht sogar schreiben. In einer Übersetzung vermutlich eher nicht. „Das macht Sinn“ sage ich ebenfalls, würde ich in einer Übersetzung aber auf keinen Fall verwenden. Denn vor meinem geistigen Auge sehe ich sofort empörte Studienräte den Kopf schütteln. Ich höre sie murmeln „eine Übersetzerin muss doch bitte wissen, dass das ein Anglizismus ist.“ Ja herrje, weiß sie auch – na und? Wenn man nun mal so spricht, was ist daran so schlimm?
Aber auch der Einsatz dieser Sorte von Anglizismen ist natürlich eine Frage der Dosierung. „Ich habe gerade realisiert, dass das nicht wirklich Sinn macht“ wäre auch mir too much, wenn Sie verstehen, was ich meine. Überhaupt gibt es auch bei Anglizismen starke persönliche Vorlieben und Abneigungen. Manche benutzt man selbst, manche sind einem egal, manche machen einen wahnsinnig. Bei denen, die man selbst benutzt, versteht man nicht, wieso andere sich so darüber aufregen. Und umgekehrt.
Eine Lektorin strich mir „Sex haben“ aus einem Text, weil das ein Anglizismus (wir erinnern uns: Das Böse™) sei. Ich weiß, dass vor allem einige ältere Kolleginnen das auch so sehen. Ich bin aber der Meinung, dass es erstens schon so fest und so lange eingebürgert ist, dass das schon nicht mehr als Anglizismus gelten kann, und es zweitens schlicht kein vergleichbares „deutscheres“ Wort gibt. Geschlechtsverkehr haben? Klingt nach Biounterricht, aber das sagt doch niemand. „Mit jemandem/einander schlafen“, na gut, aber das ist so brav und außerdem sperrig. Die Lektorin schrieb mir „bumsen“ ins Manuskript, da musste ich dann doch mal kurz lachen. Wann hat man das gesagt, in den Siebzigern? Neeneenee, es heißt „Sex haben“, fertig. An dieser Stelle jedenfalls, anderswo gibt es noch andere Möglichkeiten, klar.
Eine befreundete Autorin hingegen hatte einmal in wörtlicher Rede geschrieben: „Du siehst ja mal wieder schlimm untervögelt aus“, und ihre Lektorin hatte daraus gemacht: „Du siehst aus, als hättest Du schon länger keinen Sex mehr gehabt.“ Da drängt sich doch – obwohl es natürlich eine andere Lektorin war – der Verdacht auf, dass die Anglizismusangst bei Übersetzungen viel tiefer sitzt als bei Originaltexten. Mir wird „Sex haben“ rausgestrichen, der Autorin hingegen wird es reingeschrieben. Wohl aus Angst, „untervögelt“ sei zu vulgär, was natürlich Absicht war, weil die Figur … aber ich schweife ab. Desweiteren habe ich den Verdacht, dass Anglizismen – also die eingebürgerten, die wir in gesprochener Sprache täglich benutzen – bei Übersetzungen aus dem Französischen oder Japanischen vielleicht gar nicht weiter auffallen. Ebenso wenig wie in deutschen Originalen. Aber was aus dem Englischen übersetzt ist, muss in jeder Hinsicht so deutsch wie möglich sein.
Ich will hier gar nicht dafür plädieren, unbedingt mehr Anglizismen zu verwenden. Sondern dafür, sich mal lockerzumachen. Bisschen relaxen, you know? Denn krampfhaftes Anglizismenvermeiden führt nur dazu, dass der Text hinterher glattgebügelt und leblos wirkt. Das gefürchtete „Übersetzerdeutsch“, womöglich ohne Fehl und Tadel, aber eben auch ohne Leben. In diesem Sinne: Anglizismen for the win! Lasst uns für es gehen!

Lotterleben

Wer zu Hause arbeitet, kann jeden Morgen ausschlafen. Und überhaupt den ganzen Tag tun und lassen, was er will. Strenggenommen arbeitet so ein Freiberufler eigentlich gar nicht. ISABEL BOGDAN führt ein Lotterleben.

Natürlich schlafe ich aus. Ich schlafe sogar so fest, dass ich es gar nicht höre, wenn der Wecker des Gatten klingelt, ich höre es nicht, wenn er aufsteht, sich anzieht und so weiter, ich schlafe. Ich wache erst dann auf, wenn er mich weckt, um sich zu verabschieden, weil er nämlich pünktlich um halb acht losmuss, einer geregelten Arbeit nachgehen. Dann sage ich Tschüss, drehe mich um und schlafe weiter.
Bis ich von allein wieder aufwache. Ich schlurfe in die Küche, hole mir einen Becher Kaffee, den der Mann zwei Stunden vorher freundlicherweise in die Thermoskanne gefüllt hat, und setze mich damit an den Rechner. Lese die ersten Mails, lese ein paar Blogs, gucke nach, was bei Facebook so los ist, beantworte ein paar Mails, fange dann aber bestimmt gleich an zu arbeiten, aber erstmal hole ich mir noch einen Kaffee. Es gibt weitere Blogs zu lesen, Perlentaucher, bei Facebook hat auch schon wieder jemand was gepostet, ich schiebe ein paar Zettel auf dem Schreibtisch hin und her, und übrigens ist es irgendwie plötzlich schon zwölf, ich könnte mir mal Frühstück machen. Überhaupt wäre es auch nett, nicht mehr im Schlafanzug zu sein, wenn der Mann nach Hause kommt, und so bin ich am frühen Nachmittag immerhin geduscht und angezogen, und die To-Do-Liste ist auf dem neusten Stand. Naja, und so weiter.
Es ist hauptsächlich eine Frage des Drucks. Wenn ich mit einem neuen Buch anfange, mache ich erstmal gar nichts. Irgendwann lege ich langsam los, werde im Laufe der Zeit immer schneller – nicht, weil ich besser „drin“ wäre, sondern weil der Druck steigt – und kurz vor dem Abgabetermin kette ich mich am Schreibtisch fest und mache nichts anderes mehr. Gesund ist das nicht. Erst hat man dauernd ein schlechtes Gewissen, weil man immer noch nicht angefangen hat oder immer noch nicht weitergekommen ist, und dann legt man los und macht sich den Rücken kaputt.
Natürlich mache ich mir, bevor ich anfange, einen Plan. Daran halte ich mich aber schon am ersten Tag nicht, und am zweiten nicht, und nicht am dritten. Zwei Wochen später mache ich einen neuen Plan, an den ich mich … genau.
Die klugen Ratschläge kenne ich auch. „Zur Arbeit gehen“ soll man – das heißt, man steht auf, zieht sich an und geht eine Runde um den Block, um symbolisch zur Arbeit zu gehen, und dann setzt man sich hin und arbeitet. Und wäscht nicht zwischendurch Wäsche. Klingt vernünftig, habe ich trotzdem noch kein einziges Mal gemacht. Bei mir hat es nicht mal funktioniert, als ich tatsächlich eine Zeitlang einen Büroplatz gemietet hatte. Im Büro hatte ich ja auch Internet. „Internet ausmachen“ ist natürlich ein guter Ratschlag, ich habe sogar ein kleines Programm, das mich für eine von mir selbst festgelegte Zeitspanne nicht ins Netz lässt. Hilft manchmal. Allerdings muss ich natürlich dauernd recherchieren, ohne Internet kann ich praktisch gar nicht arbeiten. Ehrlich! Es nutzt auch nichts, von Twitter loszukommen, weil man dann bei Facebook herumlungert. Es nutzt nichts, die Kartenspiele auf dem Computer zu löschen, weil man dann halt bunte Kügelchen abschießt. Wer ein Aufschieber ist, wird immer etwas finden.
All die schönen Vorteile des Freiberuflertums sind gleichzeitig die Nachteile. Sich immer wieder selbst zu motivieren, sich zusammenzureißen, zu arbeiten, obwohl man noch schnell die Fenster putzen könnte oder noch ein Stündchen schlafen, das Dokument auf- und das Internet zuzumachen, obwohl einem kein Chef über die Schulter guckt, all das ist verdammt harte Arbeit. Und das ist mein Ernst. Angestellte verstehen das oft nicht, aber die meisten Freiberufler können ein Lied davon singen.
Der fatalste Fehler allerdings ist, es zuzugeben. Denn offenbar ist es sowieso schon schwer zu begreifen, dass Zuhausearbeiten auch Arbeiten ist. Die protestantische Ethik sitzt tief, scheint’s, und wer nicht um acht irgendwo sein muss, um einem Chef zu dienen, der arbeitet nicht. Da muss man sich dann schon mal Sätze anhören, die mit „solange du Hausfrau bist“ anfangen. Oder solche, in denen die Formulierung „ein bisschen was dazuverdienen“ vorkommt. Und wenn man sagt, man hätte keine Zeit, man müsse arbeiten, kommt bestenfalls ein „Wieso, hast du wieder geschlampt?“
Liebes Umfeld, „zu Hause arbeiten“ ist nicht „nicht arbeiten“. Und „sich die Zeit frei einteilen können“ ist nicht „immer Zeit haben“. Das ist ein Missverständnis, und es nervt. Und man selbst nervt sich auch, also ich mich jedenfalls, wenn ich erst nicht zu Potte komme und dann wieder die Nächte kurz werden und ich Einladungen absagen muss. Solche Sprüche wie oben fehlen einem dann gerade noch.

„Weißt du was, du musst eine Diät machen. Brigittediät!“, sagt eine Kollegin. Ich gucke an mir runter und verstehe nicht, was sie meint, da sagt sie: „Nein, nein, nicht wegen deiner Figur. Aber wenn man eine Diät macht, hat man fünfmal am Tag einen Termin. Das gibt dem Tag Struktur. Ich mache immer Brigittediät, wenn ich wieder anfange zu verlottern. Dann schafft man vormittags schon was weg, weil man weiß, dass man um zwölf anfangen muss zu kochen. Und nachmittags genauso.“
Klingt schlau, einerseits. Andererseits ist das natürlich so ähnlich wie mit den Plänen. Pläne funktionieren aber nur bei Leuten, bei denen Pläne funktionieren. Einmal jaulte ich und fragte, ob ich nicht endlich erwachsen werden und meine Zeitplanung in den Griff kriegen könnte. Da sagte eine Kollegin, Erwachsenwerden habe doch nichts damit zu tun, dass man seine Zeitplanung im Griff hat, sondern damit, dass man endlich akzeptiert, dass man eben so arbeitet. Im ersten Moment fand ich das lustig. Dann fand ich, sie hat recht, und seitdem bemühe ich mich zu akzeptieren, dass ich eben so arbeite.
Das System funktioniert ja auch. Dass mir hier keine Missverständnisse aufkommen: ich habe noch immer pünktlich abgegeben. Wenn ich einen Termin habe, funktioniere ich. Ohne Termin keine Chance. Ich brauche die Last Minute Panic.
Aber manchmal denke ich dann doch, ich sollte es weiterhin versuchen, das mit dem strukturierteren Arbeiten. Für das vorletzte Buch hatte ich natürlich auch einen Termin, und zwar einen so knappen, dass ich mir einen Plan gemacht habe. Als er fertig war, habe ich nach Luft geschnappt, denn der war ganz schön ehrgeizig. Und dann habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben an den Plan gehalten, von Anfang an, bis fast zum Ende. Weil ich musste, weil der Druck hoch genug war, oder keine Ahnung warum. Mehrfach hatte ich das Tagespensum bereits abends um acht oder neun geschafft, dann hatte ich Feierabend. Feierabend! Großartiges Konzept, es fühlt sich super an, das Tagwerk getan und dann frei zu haben. Vollkommen neues Lebensgefühl. Kurz vor Schluss, wirklich nur zwei oder drei Arbeitstage vor Abgabe, kam ein neuer Auftrag, sehr eilig. Den Roman, sagte die Lektorin, könne ich dafür erstmal beiseiteschieben, der hätte „alle Zeit der Welt“, der Erscheinungstermin sei nämlich auf nächstes Frühjahr verschoben.
Der Eilauftrag ist längst erledigt (pünktlich). Danach hatte ich kurz Pause, dann kamen die Korrekturen, die sind auch erledigt. Zwischendurch Kleinigkeiten, nicht wirklich viel zu tun. Der Roman liegt da immer noch. Seit Wochen. Ich bräuchte noch zwei oder drei Tage. Es ist schönes Wetter, ich gehe ein Eis essen, der Roman hat ja alle Zeit der Welt.

Unsichtbar

„Der XYZ-Verlag bringt den Roman ABC nun auf Deutsch heraus.“ – „Jetzt in neuer Übersetzung.“ – „Den deutschen Text liest B. Kannter-Schauspieler.“ – „Endlich auf Deutsch erschienen.“
Immer diese Erscheinungen! Ja, ist die Übersetzung denn vom Himmel gefallen? Uns ist eine Übersetzung erschienen, Halleluja? Nein, verdammt noch mal! Ist sie nicht! Da hat jemand monatelang dran gearbeitet, Ihr Pfeifen! Entschuldigung, aber ist doch wahr. Da hat jemand gerungen und gehadert, geackert, gegrübelt, recherchiert, sich am Schreibtisch festgekettet, mit Autor und Lektor konferiert und zum Schluss nur noch von Kaffee und Zigaretten gelebt, damit das deutsche Publikum ein Buch lesen kann, und was ist? Erst bekommt er ein reichlich knappes Honorar, und dann: „Endlich auf Deutsch erschienen.“ „Jetzt in neuer Übersetzung.“ „Vorgelesen von.“ Als wäre er gar nicht da. Schönen Dank auch.
Jawohl, das ist ein Rundumvorwurf. Pauschal an, ach, alle. Mir doch egal, ob das unfair ist. Unfair-popunfair. Fair wäre, wenigstens den Namen des Übersetzers zu nennen. „Wissen Sie“, sagte mir mal ein Kritiker, „das Übersetzen interessiert die Leute eben nicht so.“ Das ist zwar irgendwie wahr, aber gleichzeitig auch überhaupt nicht wahr. Tatsächlich interessiert es die Leute nicht so sehr, weil sie noch nie drauf gekommen sind. Sobald sie auch nur anfangen, über das Thema nachzudenken, sobald sie sich mit Übersetzern unterhalten oder Übersetzerlesungen besuchen, sind sie nämlich ruckzuck interessiert. Weil sie plötzlich merken, dass das eine kreative Arbeit ist, und dass es nicht nur darum geht, Inches in Zentimeter umzurechnen. Dass das nicht demnächst eine Software machen kann. Den meisten Leuten geht sofort etwas auf, wenn man nur das kleine, nicht besonders anspruchsvolle Beispiel bringt, dass man als Übersetzer aus dem Englischen entscheiden muss, welche Figuren sich duzen und welche sich siezen. Und dass man dann möglicherweise einen eleganten und unauffälligen Übergang vom Sie zum Du in den Text kriegen muss, ohne wirklich einzugreifen und „nennen Sie mich doch Karl-Heinz“ reinzuschreiben. Schon da sieht man den Leuten an, dass ihr Gehirn anfängt zu rattern, und dass sie eine Ahnung kriegen, was Übersetzen bedeutet. Und dann haben sie plötzlich lauter Fragen.
Es interessiert die Leser also durchaus. Man muss das Interesse nur wecken. Solange es aber Kritiker regelmäßig schaffen, in epischer Breite die „wunderbare Sprache“ eines Autors zu loben, wenn sie doch in Wahrheit die Sprache eines Übersetzers gelesen haben, solange werden auch Leser nicht wahrnehmen, was sie da eigentlich lesen.
Es geht ja gar nicht darum, dass jede Literaturkritik auch eine Übersetzungskritik sein müsste. Muss sie ja gar nicht. Aber! Man kann doch von einem Kritiker bitte erwarten, dass er, sobald er ein Wort über die Sprache eines Buches verliert, sich bewusst ist (und dem Leser bewusst macht), dass die Sprache nicht die des Autors ist. Sondern die des Übersetzers. Das kann doch so schwer nicht sein!
Ach so, Entschuldigung, ist es ja auch nicht. Wenn der Übersetzer nämlich ungeschickt war, oder gar, Gott behüte, einen Fehler gemacht hat, dann, DANN! wissen Rezensenten meist sehr genau, wer „schuld“ ist. Seht einmal, da steht er! Pfui, der Überseh-tzer! An den Pranger!
Aber wenn der Übersetzer gut gearbeitet hat, wird der Autor gelobt. „Ja, klar“, erklärt man mir tröstend, „das liegt daran, dass ein Übersetzer eben dann gute Arbeit geleistet hat, wenn man sie nicht bemerkt.“
Hallo? Warum das denn! Das ist doch Quark! Und Käse ist es auch! Aber nicht Wurst! Ob man den Übersetzer „bemerkt“, hängt mit der eigenen Aufmerksamkeit und der Sensibilität für das, was man da liest, zusammen. Nicht damit, wie gut der Übersetzer seine Arbeit gemacht hat. Himmel, man würde doch auch nicht behaupten, ein Autor habe seine Arbeit gut gemacht, wenn man ihn nicht bemerkt. Oder ein Schauspieler. Was für ein Unsinn!
Wenn die Sprache eines Buchs gelungen ist, dann hat der Übersetzer seine Arbeit gut gemacht. Nicht, wenn er unsichtbar ist.
Und die Literaturkritik ist ja nur das eine. Es geht weiter in den Presseabteilungen der Verlage. Und bei den Literaturveranstaltern. Man könnte doch beispielsweise den Übersetzernamen als Marketinginstrument einsetzen. (Wird ja auch gemacht. Bei einem einzigen Kollegen.) Es müsste vorne auf den Büchern draufstehen: Übersetzt von Isabel Bogdan. (Drei-vier Verlage tun das.) Und warum werden Übersetzer eigentlich nicht gefragt, ob sie das Hörbuch lesen wollen? Warum werden sie so selten zu Lesungen gebeten? Jaja, schon klar: weil noch der unbekannteste Schauspieler ein paar Leute zieht, die nur seinetwegen kommen. Angeblich. Was natürlich wieder daran liegt, dass niemand die Übersetzer kennt. Teufelskreis. Neulich sagte mir tatsächlich ein Buchhändler, man wisse ja nicht, ob der Übersetzer gut vorlesen kann. Als wüsste man das bei Autoren! Als wären Schauspieler zwangsläufig gute Vorleser! Als würde man es bei Übersetzern nicht rauskriegen können! Tatsächlich stellte sich heraus, dass der Buchhändler keine Ahnung hatte, wer die Übersetzerin war, und schon gar nicht, dass sie direkt um die Ecke wohnte. Der Übersetzer ist derjenige, der den Text am besten kennt, er ist in seiner individuellen Sprache verfasst, es ist sein Text. Er ist geradezu prädestiniert, ihn zu lesen. Stattdessen wird bei den allermeisten Veranstaltungen der Name des Übersetzers nicht mal erwähnt. Man macht sich schon gar nicht die Mühe, ihn einzuladen, nicht mal als Gast. In sämtlichen Veranstaltungsankündigungen und auf allen Hörbuchcovern steht, wer den deutschen Text liest. Und natürlich, wer das Original verfasst hat. Das Bindeglied dazwischen, derjenige, der dafür gesorgt hat, dass es überhaupt einen deutschen Text gibt: Fehlanzeige. Der hat unauffällig zu sein und die Klappe zu halten. Warum eigentlich?
Ach, und übrigens. Als Kundin, die Bücher kauft, möchte ich auch gern wissen, wer sie übersetzt hat. Das macht nämlich etwas aus. Ich kaufe durchaus Bücher wegen des Übersetzers, oder eben gerade nicht. Es nervt kolossal, wenn ich bei jedem Buchhinweis, den ich irgendwo lese, erstmal selbst herauskriegen muss, wer es übersetzt hat. Nun bin ich auch selbst Übersetzerin und deswegen besonders sensibel für das Thema. Jeder andere passionierte Leser wird aber ebenfalls sagen, jawohl, die Übersetzung ist wichtig, sehr sogar – und gleichzeitig wird er fast keinen Übersetzernamen kennen. Warum? Da stimmt doch was nicht, das passt doch nicht zusammen!
Es kann doch nicht wahr sein, dass man die Übersetzer nur dann wahrnimmt, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Das ist allein eine Frage des Bewusstseins. Liebe Leser, liebe Kritiker, liebe Literaturveranstalter: Huhu! Hier sind wir! Ohne uns könntet Ihr das alles gar nicht lesen!
„Der Autor“, sagte Nobelpreisträger José Saramago einmal, „schafft mit seiner Sprache nationale Literatur. Die Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht.“

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