Interview mit mir selbst zu Jonathan Safran Foers „Tiere essen“

Die Medien überschlagen sich mit Berichten über Jonathan Safran Foers Tiere essen. Worum es geht, dürfte bekannt sein: Was ist eigentlich Fleisch, woher kommt es? Wie haben die Tiere gelebt, wie sind sie gestorben? Welche Auswirkungen hat die moderne Massentierhaltung auf die Umwelt und den Einzelnen?
Ich habe all den Rezensionen (hier die gesammelten Links) nicht viel hinzuzufügen, was den Inhalt des Buches angeht – aber man stellt mir als Übersetzerin natürlich immer wieder dieselben Fragen. Da dachte ich, ich kann sie mir auch gleich selbst stellen.

Umfeld: Hey, Du bist ja plötzlich berühmt.

IB: Ja! Also, nein, natürlich nicht. Aber schon irre, was für Wellen dieses Buch schlägt. Ich sitze fasziniert vor dem Computer und beobachte den Medienwirbel. Im Moment steht es auf der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch auf Platz drei.

U: Ist es denn wirklich so toll?

IB: Ja, ist es. Weil es so sachlich und unaufgeregt ist, kein Pamphlet mit erhobenem Zeigefinger, nicht religiös, sondern gründlich recherchiert und aufklärend. Und außerdem hervorragend geschrieben. (Und natürlich super übersetzt.) Liest sich sehr gut.

U: Aber da steht doch sicher nichts Neues drin, das weiß man doch alles schon, oder?

IB: Vieles hätte man sicher wissen können, wenn man es hätte wissen wollen. Aber aufgedrängt werden uns diese Informationen ja normalerweise nicht gerade, es ist sehr einfach, die Augen zuzumachen. Ich zum Beispiel habe immer gern und viel Fleisch gegessen und es hemmungslos bei Penny und Aldi gekauft. Ich wusste natürlich so ein Diffuses „ist nicht alles schön“, aber von den Details hatte ich keine Ahnung. Ich bin vierzig Jahre lang prima mit der Einstellung „will ich gar nicht wissen“ zurechtgekommen. Foer sagt das auch: wir wissen vieles nicht. Aber wenn jemand ankündigt, uns einen Film darüber zu zeigen, woher unser Fleisch kommt, dann wissen wir, dass es ein Horrorfilm sein wird. Ich habe den Film jetzt gesehen, im übertragenen Sinne, und hatte im Detail nicht damit gerechnet, wie schlimm es ist, und wie kalt es mich erwischen würde. Da war ich sicher naiv. Aber ich dürfte nicht die einzige sein. In sofern: mag sein, dass man vieles hätte wissen können. Aber so geballt und so übersichtlich dargeboten sicher nicht.
Mein Freund Stevan Paul zum Beispiel beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Essen. Er schreibt: „Ich bin nicht zart besaitet, und ich gehöre nicht zu den Menschen, die emotionale Bindungen zu Tieren eingehen. Ich bin gelernter Koch, ich habe Tiere getötet und Tiere zerlegt, ich habe noch Anfang dieses Jahres an einer Schweineschlachtung teilgenommen, ich dachte, mich haut nichts um. Ich dachte auch, ich wäre ein informierter Kulinariker und bewusster Genießer. Das war doch sehr naiv, ich kannte leider nur Teile des Puzzles. Ausmaß, Härte und Dimension des Ganzen haben mich ehrlich überrascht.“

U: Aber werden in dem Buch nicht vor allem amerikanische Verhältnisse beschrieben? In der EU ist doch bestimmt vieles strenger geregelt.

IB: Ja, und das hat man beim Lesen natürlich auch immer im Kopf. So als Hintertürchen – Gott sei Dank, ist ja nur in den USA so schlimm, hier ist das ja alles anders. Aber dann findet man plötzlich am Ende, hinter Foers eigenem Anhang, einen vom deutschen Vegetarierbund zusammengestellten weiteren Anhang über die Verhältnisse in Deutschland. Und findet dort Sätze wie: „Bis 2011 ist beim staatlichen Biosiegel die Kastration ohne Betäubung erlaubt“, und die hübsche, kleine Hintertür schlägt mit einem lauten Knall zu. Dass hier das ein oder andere ein kleines bisschen strenger geregelt ist, ändert nichts am großen Ganzen.

U: Ihr habt das ja zu dritt übersetzt, mit Brigitte Jakobeit und Ingo Herzke. Wie geht das denn? Muss ein Buch nicht aus einem Guss sein?

IB: Normalerweise ja. Bei Belletristik noch mehr. Aber „Tiere essen“ ist eine Art Collage. Da gibt es erzählende Teile, eine Wörterliste mit Definitionen, Monologe, in denen andere zu Wort kommen – Tierschützer, Fleischfabrikanten, Biofarmer usw. – dann gibt es eher philosophische Teile, dann wieder journalistische, reportageartige … All diese Teile haben sowieso einen etwas unterschiedlichen Sound, da konnte man das ganz gut aufteilen.
Wir haben dann viel gemailt, Vokabellisten hin- und hergeschickt, uns zwischendurch auch getroffen und uns abgesprochen. Wir kannten uns und vertrauen einander, und ich hatte nie ein schlechtes Gefühl dabei. Die Lektorin hatte dann natürlich auch noch mal die Aufgabe, alles zu vereinheitlichen.

U: Ich hab Angst. Wenn ich das lese, mag ich dann hinterher keine Currywurst mehr? Bist Du Vegetarierin geworden?

IB: Die Angst hatte ich auch, und ich mag tatsächlich keine Currywurst mehr. Und darüber bin ich froh. Ich verkneife sie mir ja nicht, sondern ich möchte sie gar nicht mehr. Ich möchte mir das nicht antun, und ich möchte nicht mehr an diesem System teilnehmen. Ich bin nicht Vegetarierin geworden, aber ich esse nur noch ganz wenig Fleisch, und dann tatsächlich nur noch Bio. Anfangs fand ich es etwas schwierig, ohne Fleisch zu kochen. Da stand ich mit Kohlrabi und Kartoffeln in der Küche und dachte: da fehlt doch was. Aber das hat man ganz schnell aus, beim Kochen fehlt es mir längst nicht mehr, und es fällt mir auch überhaupt nicht schwer, kein Fleisch zu kaufen. Schwieriger ist es, wenn welches da ist – mein Mann kauft manchmal Aufschnitt (Bioladen!), dann esse ich auch schon mal eine Scheibe Schinken auf dem Brot. Ansonsten haben wir, seit ich dieses Buch übersetzt habe, tatsächlich ein Gemüseabo, das ich heiß und innig liebe. Da lerne ich auf meine alten Tage glatt noch das Kochen, wir haben schon so tolle Sachen ausprobiert! Dass das Buch diese Auswirkung haben würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Es ist von all meinen Übersetzungen dasjenige, das tatsächlich einen Einfluss auf mein Leben hatte.

U: Meinst Du, ich soll es lesen? Also, echtjetzma?

IB: Unbedingt. Echtjetzma. KiWi startet übrigens nächste Woche eine Lesecommunity und verlost zur Feier des Tages 50 Exemplare. Hier geht’s zum Gewinnspiel.

Übersetzerbarke an Jürgen Dormagen

Die Übersetzerbarke, der vom Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ) seit 2004 alljährlich ausgelobte Preis für besonders übersetzerfreundliche Verleger oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, geht 2010 an Jürgen Dormagen, der seit 1984 als verantwortlicher Lektor das lateinamerikanische Literaturprogramm des Suhrkamp- und Insel-Verlags betreut.

Damit ehrt der VdÜ einen Verlagslektor, der sich durch seinen kundigen und respektvollen, inspirierten und inspirierenden Umgang mit Übersetzern und ihrer Arbeit große Anerkennung erworben hat, der sich darüber hinaus innerhalb seines Verlages mit umsichtiger Beharrlichkeit und mit Erfolg für die Belange der Übersetzer eingesetzt hat und der obendrein nicht müde wird, sein Wissen, seine Erfahrung und sein feines Gespür für Texte immer wieder auch in Übersetzerseminaren mit anderen zu teilen.

Die undotierte Auszeichnung in Form eines Kunstwerks wird Jürgen Dormagen am 6. Oktober 2010 auf der Frankfurter Buchmesse verliehen.

Herzlichen Glückwunsch!

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