Gunnhild Øyehaug (Ebba Drolshagen): Ich wär gern wie ich bin

Eins vorweg: liebe Verlage, was ist das eigentlich für eine grauenhafte Unsitte, in Titeln die Satzzeichen wegzulassen? Kommt mir nicht damit, die Coverdesigner würden keine Kommas mögen. Das ist Unfug, denn die beschließen ja auch nicht plötzlich, dass der Buchstabe E nicht schön aussieht und lassen ihn weg. „Frauen die Prosecco trinken“, „Alles was du siehst“, „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern“, und jetzt „Ich wär gern wie ich bin“ – was um alles in der Welt soll das? Es macht mich geradezu fertig, es führt tatsächlich dazu, dass ich schon einen sehr, sehr triftigen Grund brauche, um so ein Buch zu lesen. Ansonsten gehe ich mit hör- und sichtbar gerümpfter Nase, ja, durchaus mit lautstark geäußerter Empörung an diesen Büchern vorbei und kaufe sie sicher nicht. Was soll ein Buch schon taugen, bei dem nicht mal der Titel richtig geschrieben ist? Und ja, Zeichensetzung gehört zum Richtigschreiben. Ende der Durchsage.
Der triftige Grund, das Buch trotzdem zu lesen, war diesmal, dass die Übersetzerin Ebba Drolshagen so begeistert davon war. Begeisterte Übersetzer sind überhaupt immer ein guter Grund, ein Buch zu lesen. Denn niemand kennt das Buch so gut wie sein Übersetzer, und wir sind meist ziemlich kritisch. Weil wir gründlich sind und die ganzen Macken und Fehler und Unschärfen usw. bemerken, die man beim reinen Lesen leichter überliest. Beim Übersetzen kann man sie nicht überlesen. Wenn der Übersetzer das Buch also auch noch toll findet, nachdem er mit dem Übersetzen fertig ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein sehr gutes Buch handelt, ziemlich hoch.
Quod erat demonstrandum.
Und gleich noch eine Übersetzerbehauptung hinterher: wenn der Übersetzer das Buch liebt, wird die Übersetzung gut. (Diese Behauptung allerdings ist natürlich total wacklig und aus allen denkbaren Richtungen anfecht- und unhaltbar. Na und?) Will sagen: dies ist ein wundervolles Buch, und es ist wundervoll übersetzt. Demnächst muss ich unbedingt mal etwas darüber schreiben, wieso ich das einfach so behaupten kann, ohne dass ich auch nur ein Wort Norwegisch verstünde. Natürlich habe ich nicht ins Original geguckt. Aber dieses Buch hat einen sehr eigenen Ton, und das reicht mir, denn er ist wundervoll und überzeugend. So leise und innig und intensiv und leidenschaftlich und klug und manchmal verzweifelt – so wie die Frauen (und Männer), die hier beschrieben werden. (Wobei die nicht alle leise sind, manche sind eher laut.) Alle sind auf der Suche; zum einen nach der Liebe, oder nach Heilung von der zerbrochenen Liebe, und zum anderen nach künstlerischer und/oder intellektueller Erfüllung. Lauter kluge Frauen, und ich stelle sie mir alle vor wie die Autorin auf dem Foto hinten in der Klappe: wunderschön. Und keineswegs in zu großen Männerhemden. Was für ein wunderbares Thema für eine literatur- oder filmwissenschaftliche Arbeit! Der Roman beginnt so:

Hier sehen wir Sigrid. Es ist neun Uhr morgens, es ist Januar, und es ist das Licht im Januar 2008, das den Raum hart, aber verlässlich durchflutet, mit einer Farbtemperatur von 5600 Grad Kelvin, der Farbtemperatur von normalem Tageslicht und somit der großen Scheinwerfer, die man mitunter, um in einem Film Tageslicht zu simulieren, vor einem Fenster aufstellt und durch das Fenster strahlen lässt, deren Licht uns, die wir draußen verübergehen und nur die Scheinwerfer, nicht aber deren Effekt im Zimmer sehen, aber viel zu grell erscheint, um Tageslicht zu sein. In diesem natürlichen Tageslicht also sitzt Sigrid am Schreibtisch, der an der einen Wand steht. Sie schaut nachdenklich, die Haare hängen ihr ins Gesicht, hin und wieder zieht sie an den Haaren, vermutlich unbewusst, denn Sigrids Gesicht verrät, dass sie von all dem, was sie in der Hand hält und betrachtet, völlig absorbiert ist: ein Buch mit dem Schwarzweißportrait eines Mannes.

Damit ist ja schon einiges angelegt. Viele Kapitel beginnen mit Variationen des Satzes „Und hier sehen wir …“, auch diese Erklärung über das Licht deutet es an: man sieht das ganze Buch wie einen Film, teilweise inklusive Kamerafahrten. Andererseits lesen wir auch sehr viele Gedankengänge sämtlicher Personen mit, und das stört sich nicht im Geringsten. Um Film geht es auch inhaltlich immer wieder, vor allem um Kill Bill und Lost in Translation. Mehr will ich gar nicht erzählen – lest dieses Buch! Wunderschöne Sprache, wunderbare Geschichten über wundervolle Frauen. Und Männer. Und Fische. Und den Pferdekopfnebel und einen Zahn und George Bush (Vater und Sohn) und Sophia Coppola und Golf. Sehr toll.

Gunnhild Øyehaug (Ebba Drolshagen): Ich wär gern wie ich bin. Suhrkamp Taschenbuch, 272 Seiten. 13,90 €

Den Gamle By: Schilderbilder


 
Gibt es einen Namen für diese Schilder, die keine Schilder sind? Bestimmt.

Den Gamle By ist ein Museumsdorf mitten in der Stadt Århus. Sehr schön gemacht, ein komplettes Dorf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, bestehend aus teilweise sehr viel älteren Häusern, die aus ganz Dänemark zusammengetragen und hier wieder aufgebaut wurden. Darin sind alle möglichen Handwerkskünste vertreten, eine Post, ein Zollamt, eine Wassermühle, eine Bäckerei. Und ein Gemüsegarten, aus dem die Köchin des reichen Kaufmanns etwas gekocht hat und uns ein wenig zum Probieren anbietet.
Satz des Tages: „Alle Tabakspinnereien haben ihre eigenen geheimen Soßenrezepte.“ (Der Tabak wird nämlich gesoßt. In der Soßerei.)
Im Moment entsteht außerdem ein neues Viertel im Stil der 1970er Jahre, das wird auch toll.

Tag 5 – Ein Buch, das du immer und immer wieder lesen könntest

Das ist tatsächlich eine schwierige Frage – ich lese Bücher normalerweise nur einmal. Auch wenn ich sie super finde, und auch wenn mein Gedächtnis leider dafür sorgt, dass ich schon beim Zuklappen kaum mehr weiß, was drinstand. Trotzdem, mehrfach gelesen habe ich schon lange nichts mehr. Es gibt doch immer noch so viele tolle neue Bücher, die ich auch lesen will!
Aber die Kaltmamsell erinnert mich gerade an was, und zwar mit dem Eintrag zu ihrem Lieblingsautor. Das bringt mich darauf, von einem Buch zu erzählen, das ich dreimal gelesen habe, und einmal den Film gesehen. Das Buch heißt „Garp und wie er die Welt sah“ und ist von John Irving.
Meine Mutter hat es mir geschenkt, als ich mit knapp 20 Jahren oder so zum letzten Mal für ein paar Tage mit in den Familienurlaub fuhr, ich bin dann von da aus allein weitergefahren irgendwoanders hin. Man hat es ihr in unserer Dorfbuchhandlung, wo man mich kannte, für mich empfohlen, und so saß ich auf einem Campingplatz irgendwo in Frankreich, langweilte mich mit den kleinen Brüdern und las Garp. Und kam aus dem Staunen nicht mehr raus: was sollte das? Was um ALLES in der Welt war das für ein sonderbares, bescheuertes, uninteressantes, unwitziges und überhaupt durch und durch blödes Buch? Und wie konnte irgendwer darauf kommen, das wäre was für mich? Ich kam aus dem Kopfschütteln über diesen gequirlten Quark gar nicht mehr raus, hatte aber auch nichts anderes zu tun, als es zu Ende zu lesen.
Ein paar Jahre später hatte ich mehrfach Menschen von diesem Buch schwärmen hören, ein Kultbuch sei das, und total toll und so witzig und überhaupt, ganz groß. Ich kam zu dem Schluss, dass ich wohl zu jung gewesen sei und es irgendwie nicht verstanden hätte, und las es ein zweites Mal. Ich fand es uninteressant, unwitzig, gewollt, an den Haaren herbeigezogen und ganz generell fürchterlich.
Irgendwann lief der Film im Fernsehen, ich dachte, vielleicht war ich beim zweiten Lesen immer noch zu jung für das Buch, oder was weiß ich, ich habe dem Film auch noch eine Chance gegeben, weil doch alle es toll finden und es doch „Kult“ ist und alles, da muss doch was dran sein. Und? Scheiße gefunden. Hanebüchen. Grauenhaft.
Ich glaube, ich habe das Buch tatsächlich noch ein drittes Mal gelesen. Weil ich immer noch dachte, da muss doch was dran sein, wenn sich doch alle einig sind. Neinneinnein, das ist fürchterlich, sagte ich das schon? Mir war so. Inzwischen habe ich glücklicherweise noch mehr Leute getroffen, die es fürchterlich finden, da bin ich ganz beruhigt. Und nein, ich werde es nicht noch ein viertes Mal lesen. Ich besitze es nicht mal mehr; keine Ahnung, auf welche Weise ich es mal losgeworden bin. Wahrscheinlich Müll. Stimmt gar nicht. Steht im Schrank. Ich könnte also, wenn ich wollte. Noch eine Überraschung, denn ich habe natürlich erstmal nachgeguckt, wer das übersetzt hat: Jürgen Abel. Inzwischen ist er bei der Hamburger Kulturbehörde, und ich hatte keine Ahnung, dass er mal übersetzt hat.

Na los, steinigt mich.

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Tag 4 – Dein Hassbuch

Hass, meine Güte. Bisschen heftig für ein Buch, oder? Wenn ich ein Buch nicht mag, lege ich es beiseite. Aber ich riskiere doch keine Magengeschwüre deswegen. Ich mag schon das Wort hassen nicht, das ist mir nicht nur für Bücher zu heftig, sondern auch sonst.
So. Aber ein Buch hat mir wirklich einen Klumpen im Magen gemacht, und zwar eines, das ich übersetzt habe, dem ich also nicht ausweichen konnte. Das ist mir wirklich schwer gefallen, ich konnte es nicht leiden, ich fand alles daran schlecht, die Figuren unglaublich unangenehm, die Geschichte war schlecht, voller Klischees und logischer Unstimmigkeiten, und sie war schlecht erzählt, die Bilder stimmten nicht und jeder Satz fing mit „I“ an, und es war einfach von vorne bis hinten alles grauenhaft, und es war auch noch Winter und schlechtes Wetter und dunkel draußen und ich war mal wieder spät dran und unter Druck, und dann hat die Lektorin mir auch noch fürchterlichen Unfug reingeschrieben, sodass ich beim Fahnenlesen alles gleich noch mal doppelt furchtbar fand, das war wirklich, wirklich hart, und ich konnte das Buch einfach abgrundtief nicht leiden.
Und dann wurde es, als es eigentlich schon vorbei war, noch mal hart, als es nämlich ungefähr gleichzeitig mit meinem Lieblingsbuch (von meinen Übersetzungen) erschien, und das Hassbuch sieht schön aus, und das Lieblingsbuch ist optisch das hässlichste von all meinen Übersetzungen. Das hat mir wirklich das Herz gebrochen. Über das Hassbuch bin ich hinweg, der Stapel mit den Belegexemplaren liegt unverschenkt im Regal, ich denke nicht weiter daran. Ist auch schon eine Weile her. Das Lieblingsbuch hingegen bricht mir immer noch das Herz, weil es so ein wundervolles Buch ist und so schrecklich aussieht.
Manchmal werde ich gefragt, was man als Übersetzer macht, wenn man ein Buch nicht leiden kann. Gute Frage! Nach Möglichkeit gar nicht erst annehmen, natürlich. Wenn’s aber schon passiert ist: Augen zu und durch. Profi sein. Sich sagen, dass es ein Job ist und man dafür Geld bekommt, und man diesen Job ebenso professionell erledigt wie alle anderen. Wenn man Glück hat, hat man einen Mann, der einem sagt, ja, Du hast recht, das ist alles ganz schrecklich und Du bist ein armer kleiner Hase, aber komm, mach noch eine Seite, ich koch Dir Pudding.
Bevor Ihr fragt: ich werde hier sicher nicht öffentlich sagen, welches Buch ich so schrecklich fand. Schlimm genug, dass ich überhaupt so rumschimpfe.
Und jetzt wird wieder gutgefunden statt gehasst.

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