Nochmal Suna

Letzte Woche war ich auf einer Beerdigung in meinem Heimatdorf. Der Vater meiner ältesten Schulfreundin ist gestorben; also niemand, der mir im Alltag fehlen wird, aber jemand, der doch irgendwie auch zu meinem Leben gehört hat. Ich kannte ihn, seit ich sechs Jahre alt war, seine Tochter war jahrelang meine beste Freundin („erstbeste Freundin“), und sie ist die einzige, die mir aus der Schulzeit geblieben ist. Manchmal telefonieren wir zwei Jahre lang nicht miteinander – aber wenn, dann nicht unter drei Stunden. Und es ist immer gleich wieder eine Nähe da.
Mein Heimatdorf ist vier Zugstunden entfernt, ich hatte also viel Zeit zum Lesen. Suna habe ich gelesen. Eine Familiengeschichte; eine Mutter erzählt ihrem Kind die Geschichte ihrer Vorfahren. Auf eine unglaublich innige und zu Herzen gehende Weise.
Dann war die Beerdigung, auf der natürlich ebenfalls Geschichten erzählt wurden. Geschichten, die mit „weißt Du noch“ anfingen. Ich weiß noch, dass der verstorbene Vater seinem Sohn die Beinamen „Erwin Cäsar Tütenfrosch“ gegeben hat, einfach so aus Quatsch. Er war ein großer Quatschmacher, der Vater. Auf der Traueranzeige steht hinter dem Vornamen des Sohnes die Abkürzung „E.C.“, und ich glaube kurz, womöglich heißt er wirklich Erwin Cäsar, und nur ich habe das für Quatsch gehalten. Erwin Cäsar ist ein Adoptivkind, vielleicht hieß er ja schon so, bevor er in die Familie meiner Freundin kam. Erwin Cäsar war außerdem lange Jahre der beste Freund meines jüngsten Bruders. Ich habe nachgefragt, er heißt nicht wirklich Erwin Cäsar, sie haben die Initialen nur als Hommage an den Humor des Vaters mit auf die Trauerkarte geschrieben. Den Tütenfrosch haben sie weggelassen, der wäre dann doch zu dicke gewesen.
Ich habe auch eine Adoptivschwester. Sie führt einen häuslichen Pflegedienst in unserem Dorf und hat den Vater meiner Freundin gepflegt. Nicht sehr lange, aber die paar Tage vor seinem Tod. Er hatte sich gewünscht, dass sie ihn pflegt. Er kannte sie seit dem Tag, an dem sie in unsere Familie kam.
Auf dem Rückweg wieder Suna gelesen. Suna ist auch ein Adoptivkind. Vier Stunden auf der Rückfahrt war ich, von der Trauerfeier schon gehörig emotionalisiert, vollkommen gefangen von diesem Buch und der Familiengeschichte. Dann kam ich nach Hause und habe Maximilians Geschichtsstunde mit seinem großen Sohn gelesen und noch mal Tränen vergossen, nicht die ersten an diesem Tag. Abends im Bett Suna ausgelesen. Und am nächsten Morgen versucht, eine Rezension zu schreiben, in der vielleicht meine Aufgewühltheit rübergekommen ist, ich dem Buch aber bestimmt nicht gerecht geworden bin.
Inzwischen ist eine Woche vergangen, ich habe längst anderes gelesen. Aber an Suna denke ich immer noch. An die Beerdigung und an die Familie meiner Freundin natürlich auch. Vielleicht ist es ganz in Ordnung, wenn sich in meiner Erinnerung das Buch mit der Beerdigung verknüpft, auch wenn die Geschichten gar nichts miteinander zu tun haben.
Maximilian hat das Buch jetzt ebenfalls besprochen. Wir sind uns nicht besonders oft einig, was Bücher betrifft. Diesmal schon. Wer noch überlegt, ob er Suna lesen soll, der lese bitte Maximilians Besprechung. Und dann Suna. Unbedingt. Wirklich.

(Noch eine Besprechung bei der Textzicke.)

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