Sylvie Neeman Romascano (Claudia Steinitz): Nichts ist geschehen

Der Roman beginnt so:

Dass es eines Tages geschieht, dass man hier, in diesem losfahrenden Zug sitzt, Kopf und Herz in Aufruhr, es ist, als hätte man es immer gewusst, als wäre jede Stunde des Lebens nur dazu da gewesen, uns nun dieser ein Stück näher zu bringen, die man so oft sich ausgemalt und gefürchtet, vielleicht auch geträumt hat, und man dachte sich schon, dass ein Telefonanruf das alles in Gang bringen würde, zu spät am Abend oder zu früh am Morgen, als dass das Herz ruhig bleiben könnte – das kann nur eine schlechte Nachricht sein, gute Nachrichten halten sich an die Bürozeiten und den Beamtenschlaf, gute Nachrichten können immer ein, zwei Stunden, auch bis morgen warten, man behält sie gern noch eine Weile für sich, ich bin die Einzige, die es weiß, ich treffe Leute, die Ahnungslosen, sie sehen mich, aber sie ahnen nicht, was meine Brust schwellen lässt, natürlich werde ich es sagen, aber nicht jetzt, jetzt noch nicht.

Die schlechte Nachricht, die Dora in der Schweiz aufschreckt, ist, dass ihr Vater in Süditalien im Sterben liegt. Sie wirft schnell ein paar Sachen in eine Tasche und fährt Hals über Kopf los, mit dem Zug. Es ist eine lange Reise mit dem Zug aus der Schweiz nach Süditalien, sie weiß nicht, ob sie noch rechtzeitig kommen wird; und irgendwie weiß sie auch nicht, ob sie das wirklich will. Und dann passieren unterwegs Dinge, sie verpasst einen Anschluss, der Zug bleibt eine Weile stehen, sie lernt im Speisewagen einen Mann kennen und steigt mit ihm aus.
Wie in dem Anfang schon zu sehen ist, geschieht das alles in endlosen, ratternden Sätzen, in denen das Zugfahren irgendwie durchklingt, ich zitiere mal den Klappentext:
„In einem ganz eigenen Ton, einer originellen, rhythmischen Sprache und köstlichen Dialogen gelingt ihr die Nahaufnahme einer Frau in einer dramatischen Lebenssituation.“
Ja, lieber Klappentextschreiber, das stimmt und ist schön ausgedrückt, aber diese Sprache hier, das Deutsche, das kommt nicht direkt von der Autorin, sondern von Claudia Steinitz, die also ebenso mitzuloben ist wie die Autorin. Denn: ein wundervolles Buch, keins, das Getöse macht, sondern leise dahinreist, mit dem Zug, das rattert und zweifelt und weiterfährt und ganz viel nicht sagt, was wundervoll ist, und das voller ganz zarter Momente ist. Und in dem Dora nur manchmal Dora ist, manchmal ist sie auch „man“. Wenn irgendwer immer noch nicht verstanden haben sollte, was ich immer mit dem eigenen Ton meine, mit dem Sound oder Rhythmus eines Buchs, der soll das hier lesen. Für mich macht die erzählte Geschichte ja immer nur den kleineren Teil eines Buchs aus (der hier aber auch super ist), viel mehr interessiert mich die Sprache. Lest dieses Buch, es ist eins dieser kleinen Wunder.
Und währenddessen geschieht irgendwo anders etwas ganz anderes, und auch das ist eine wirklich wundervolle Idee.

Silvie Neeman Romascano wohnt im Regal zwischen Natsume Sôseki und Pablo Neruda.

Silvie Neeman Romascano (Claudia Steinitz): Nichts ist geschehen. Rotpunktverlag, 148 Seiten, 19,50 €

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